Pian del Lago: Abschiebungshaft mit höchster Sicherheitsstufe

Artikel vom 4. Oktober 2021

Wir waren in Caltanissetta, um die Lage im Aufenthaltszentrum für Rückführung (CPR) Pian di Lago zu beobachten. Der Besuch fand wenige Tage vor dem Fluchtversuch von rund 30 Personen statt, die in Abschiebungshaft festgehalten wurden und die versuchten, dem Freiheits- und Bewegungsentzug zu entgehen.

Das Zentrum besteht derzeit aus drei Bereichen: Aus der Einwanderungsbehörde, aus dem derzeit als Corona-Zentrum genutzten Aufnahmezentrum für Asylsuchende (CARA) und der Erstaufnahmezentrum (CPA), und zuletzt aus dem Aufenthaltszentrum für Rückführung (CPR), das sich hinter dem Aufnahmezentrum für Asylsuchende befindet.

Nachdem das Aufenthaltszentrum für Rückführung infolge zahlreicher Brandvorfälle geschlossen worden war, ist es nun wieder geöffnet und läuft auf Hochtouren. Die Brandvorfälle waren oft infolge tragischer Ereignisse aufgetreten, wie z. B. der Tod eines tunesischen Mannes, der dort festgehalten wurde, im Januar 2020. Der Tod wurde zwar als „natürlich“ angegeben, es besteht aber der Verdacht, dass er auch aufgrund der mangelnden, angemessenen Behandlung im Inneren des Zentrums ausgelöst wurde.

Auch wenn der italienische Staat erklärt, dass es „Nachrüstungs- und Verbesserungsarbeiten“ gegeben habe, hat unser Monitoring-Besuch gegen Ende September vor allem offenbart, wie sehr die neuen Arbeiten auf die Überwachung und die Kontrolle der festgehaltenen Personen, hauptsächlich im Hinblick auf deren Bewegungsfreiheit, ausgerichtet sind (mittels neuer Überwachungskameras und einer Verstärkung der Barrieren). Wir fragen uns also: In welchem Sinne handelt es sich um eine „Verbesserung“ und für wen eigentlich? Wie uns einige Tunesier*innen hinter zwei enormen Zäunen gesagt haben: „Hier sitzen wir wirklich in der Scheiße“.

Seit 2016 sind alle bei der Präfektur gestellten Anfragen von Verbänden bezüglich einer Prüfung und Inspektion des Zentrums abgelehnt worden.

In den vergangenen anderthalb Jahren haben sich die Zugangs- und Kommunikationsschwierigkeiten mit den festgehaltenen Personen weiterhin verstärkt, wobei der Corona-Virus als Rechtfertigung herangezogen wurde. Es ist also eine nahezu konsolidierte Vorgehensweise, bei der die Gefahr besteht, dass es nach der Pandemie so weitergeht und Rechtswidrigkeiten normalisiert werden. Der fehlende Zugang ins Innere macht die Kommunikation mit den Menschen nahezu unmöglich, und es macht das CPR noch weniger „sichtbar“.

Wie viele andere Migrant*innenzentren befindet sich Pian del Lago in abgelegener Lage: In einer Zone, die komplett vom Rest der Stadt isoliert ist und, die vor allem nicht an die öffentlichen Verkehrsmittel angebunden ist. Wir haben mehrere Personen getroffen, die sich zur Einwanderungsbehörde wegen derer Handhabung der Verwaltungstätigkeiten begeben hatten und, die ein Taxi riefen, um ins Stadtzentrum zurückzufahren.

 

 

Aus der externen Beobachtung geht hervor, dass Menschen mit tunesischer und gambischer Herkunft im Zentrum festgehalten werden. Ein tunesischer Herr hat uns sagen können, dass er seit drei Monaten dort ist, was der Höchstfrist der Abschiebungshaft entspricht. Vor dem Hintergrund jener Informationen, die wir in den vergangenen Monaten über die Situation tunesischer Menschen in Italien erhalten hatten – nämlich, dass aufgrund der sofortigen Rückführungsflüge ihr Aufenthalt in Abschiebungshaft meist nur auf wenige Tage beschränkt war –, stellt eine tunesische Person, die seit drei Monaten festgehalten wird, eine Neuigkeit dar. Vielleicht handelt es sich dabei um einen besonderen Fall, doch gleichzeitig gibt es ein Element, dass nicht unterschätzt werden darf. Das Zentrum Pian del Lago ist in der Lage, alle „Eindämmungsfunktionen“ an einem einzigen Ort durchzuführen.

Ein logistisches Drehkreuz, das die Menschen von einem Bereich des Gebäudes zum anderen verlegt, als wären sie Waren: Identifikation in den Büros des Polizeipräsidiums, Quarantäne im mittlerweile umfunktionierten Erstaufnahmezentrum, und dann – je nach durch den Identifikationsvorgang definierten Status – in Abschiebungshaft oder ins Aufnahmezentrum für Asylsuchende. Vor diesem Hintergrund kann es also möglich sein, dass eine tunesische Person mehr als drei Monate im Inneren des Komplexes von Pian del Lago bleibt und vor allem, dass sie – von der Ankunft auf Lampedusa bis zur Rückführung nach Tunesien – kein einziges Mal in Kontakt tritt mit Organisationen, Anwält*innen oder juristischen Fachkräften, die überprüfen können, ob das Recht auf Zugang zum Anerkennungsverfahren des internationalen Schutzes gewahrt ist.

Unsere Monitoring-Aktivität wurde abrupt durch Soldaten und durch die Polizei unterbrochen, die dann die Digos* gerufen haben, um uns zu identifizieren.

Pian del Lago – und die Aufenthaltszentren für Rückführung im Allgemeinen – ist weiterhin ein unzugänglicher Ort, wo Gespräche mit den eingesperrten Menschen um jeden Preis verhindert werden. Der Austausch lediglich weniger Worte mit vier festgehaltenen Personen hat schon gereicht, um deren Freiheitswillen herauszuhören. In dem durch die Autoritäten auferlegten Schweigen bleiben dies kleine Widerstandshandlungen.

 

CPR Pian del Lago – CARA

 

Redaktion Borderline Sicilia

 

CARA: Centro di accoglienza per richiedenti asilo – Aufnahmezentrum für Asylsuchende

CPA: Centro di prima accoglienza – Erstaufnahmezentrum

CPR: Centro di permanenza per il rimpatrio – Abschiebungshaft

DIGOS – Divisione Investigazioni Generali e Operazioni Speciali: Abteilung für allgemeine Ermittlungen und Sonderoperationen; eine auf Terror- und Extremismusbekämpfung spezialisierte Einheit der italienischen Staatspolizei

 

Übersetzung von Katharina F.