Warten ohne Ende

Endlich, nach einem Jahr und drei Monaten langer Wartezeit geht es weiter in der Aufnahmeprozedur mit einer ihr weiteres Schicksal bestimmenden Unterredung vor der territorialen Subkommission in der Präfektur von Agrigento. Für einige Gäste der Einrichtungen für Asylbewerber und Flüchtlinge in Piana del Belice (die von der Kooperative Quadrifoglio geführt werden), wird sich dann entscheiden, ob ihr Asylantrag angenommen oder zurückgewiesen wird.

Obwohl die Anhörungen schon auf morgens um 9 Uhr festgesetzt waren, mussten einige der Asylbewerber stundenlang auf ihre Unterredung warten. Bis heute sind es 1500 Asylanträge, die die Kommission in Agrigento begutachten muss. Seit letzten Mai wurden gerade mal 60 davon behandelt. Wenn man zu den sich bereits angehäuften Gesuchen die Asylanträge der neu angekommenen Bootsflüchtlinge dazuzählt und die vorgezogenen Anträge der besonders Schutzbedürftigen miteinbezieht, kann sich die Wartezeit auf die Behandlung der bereits eingereichten Anträge noch mehr verlängern. Wie kann und soll man reagieren, in einer solchen Situation, die gezeichnet ist von Unsicherheit und Leiden? Einige schaffen es, die Spannungen abzubauen und trotzdem ein Stück geistiges und psychisches Gleichgewicht zu finden. Einem jungen Mann aus Ghana, zum Beispiel, ist das gelungen. Mit Hilfe seiner Musik verarbeitet er die Frustrationen statt an ihnen zu zerbrechen. Aber wer keine künstlerische Begabung besitzt, “hat nicht einmal mehr Lust zu lächeln”, und lässt sich von der Frustration und dem unerträglichen Gefühl der Machtlosigkeit auffressen. Die, welche ein Datum für die Anhörung haben, sind hoffnungsvoll. Zu viele andere warten auf diesen verheissungsvollen Termin, wie wenn das der einzige Sinn ihres Daseins wäre, ohne zu ahnen, dass dieser Tag nur den Anfang eines langen juristischen Verfahrens in Gang bringen wird.

Aber auf den Strassen, in den Bars und Restaurants ist die Einwanderung ein Thema. Vor allem die Touristen erkundigen sich über dieses in allen Medien omnipräsente Thema und erwarten auch Antworten von den Einheimischen. Ich beziehe mich hier auf eine Unterhaltung zwischen einem Fremden und einem Mann aus Agrigento, die als Beispiel dienen kann, für die übliche Argumentationsweise, die sich aus Gemeinplätzen, Stereoptypen und Fehlinformationen zusammensetzt. Der Mann aus Agrigento (er erklärt, nicht rassistisch zu sein, aber…) meint, dass diejenigen, die einen Hauszins bezahlen müssen, auf Lohnarbeit angewiesen sind, um sich ihre Lebenskosten zu verdienen. Den “Andern”, denen in den Aufnahmezentren, gehe es eigentlich gut in Italien. “Der Staat bezahlt ihnen 70 Euro am Tag, sogar 110 Euro für Minderjährige” und befreie sie von der Notwendigkeit zu arbeiten, was ihnen erlaube, den ganzen Tag in der Stadt ziellos herumzuschlendern. Die Anspielungen auf die zwielichtigen Kreise, in denen sie verkehren, auf die Unterwelt, den Drogenhandel und ihre Aggressivität mündeten in der abschliessenden Frage: “Wer nimmt in Mailand noch die U-Bahn?” Ja, ich nehme sie, auch um Mitternacht, allein, ohne Probleme. Das Argument der (Un)sicherheit hören wir bis zum Überdruss am Fernsehen und in der Politik. Aber ist das nicht alles das gleiche Vorgehen? Vielleicht hat sich Italien noch nicht vom Schock erholt, dass der Vergewaltiger der jungen Frau in Rom ein italienischer Armeeangehöriger war? Es waren nicht die gewalttätigen Immigranten…
Dazu mache ich mir folgende Überlegung: Ab welchem Moment hat die Frage der Nationalität Einzug gehalten in den Diskursen “wir und die Andern”, “die Guten und die Bösen”, die “Reichen und die Armen” und ist schwerwiegender, relevanter geworden, als das eigentliche Verbrechen selbst?

Nebenbei bemerkt scheint das grosse Dilemma unseres Jahrhunderts zu sein, jedes Individuum nach seiner geographischen Herkunft zu beurteilen – vielleicht noch vor seiner Hautfarbe – um seinen Wert und seine vermutete Gefährlichkeit festzustellen; Wir kategorisieren die Migrationsströme in Wirtschaftsflüchtlinge, solche des Familiennachzugs, in politische Flüchtlinge und andere mehr. Manchmal frage ich mich, ob die Welt nicht besser wäre, wenn wir aufhören würden, die Dinge mit Gewalt in einen Rahmen zu pressen, wenn wir akzeptieren würden, das bestimmte Phänomene, Ideale, Theorien veränderbar, durchlässig und unkontrollierbar sind. Migration ist wie fliessendes Wasser. Es ist möglich mit technischen Mitteln die Flussmenge zu steuern aber aufhalten kann man das Wasser nicht – es wird sich immer einen Weg bahnen zur Überwindung der Barrieren – es wird durch winzige Fugen dringen oder sich über lange Zeit neue Wege graben. Das gleiche gilt für die Migration. Man kann Mauern errichten, die Grenzen militärisch sichern, restriktiven Gesetzen zustimmen – aber man kann keinem Menschen verbieten sich zu bewegen.

Caterina Bottinelli
Borderline Sicilia

Übersetzung von Susanne Privitera Tassé Tagne