Im Aufnahmezentrum für Asylsuchende von Mineo kommen die am 18. Mai in Catania angelangten Geflüchteten an. Berichte von Gewaltanwendung bei Identifizierungen.

Zwischen vergangenem Wochenende und Montag haben ungefähr 50 Geflüchtete den Bahnhof von Catania passiert. Sie waren aus Mineo geflüchtet, wo man sie nach ihrer Ankunft am 13. Mai untergebracht hatte. Wie seit Monaten angekündigt, laufen im dortigen Aufnahmezentrum die Vorbereitungen für die Einrichtung eines Hotspots; doch in Wirklichkeit fungiert das Zentrum für Neuankömmlinge bereits als solcher. Diese klare Anpassung an die Funktionsweise eines Hotspots ist, abgesehen von der physischen Struktur, auch bereits an der Laderampe zu erkennen oder in Zentren, die nicht für diesen Zweck vorgesehen sind. Gleichzeitig stellt der Vorschlag nach neuen Hotspots nach wie vor eine starke und realistische Bedrohung für die in Zukunft ankommenden Flüchtlinge dar.
Laut einer politischen Vereinbarung sollen Hotspots Identifikations-, Auswahl-, Kontroll- und Ausweisungsfunktionen übernehmen. Dabei basieren sie auf noch keiner juristische Grundlage, die ihre Funktionsweise regelt, eine Tatsache, die allzu oft vergessen wird.
Die letzten Ankünfte eritreischer und somalischer Geflüchteten haben das Totalversagen der Migrationspolitik sowie die andauernden Menschenrechtsverletzungen seitens der Festung Europa aufgezeigt. Humanitäre Verpflichtungen müssen immer öfter Gewaltanwendung und der Deportation weichen. Die eritreischen, äthiopischen und somalischen Geflüchteten haben uns berichtet, dass sie mit Gewalt dazu gezwungen wurden, ihre digitalen Fingerabdrücke zu hinterlassen, mit Stößen, Tritten und teilweise sogar mit elektrischen Schlagstöcken. Viele von ihnen verfolgen weiter mit Nachdruck ihr Fluchtvorhaben, für welches sie auf dem Weg nach Italien Folter und Tod ins Auge haben blicken müssen.
Die absurden europäischen Relocation-Maßnahmen entpuppen sich als katastrophale Abkommen, welche dazu dienen, die Wege der Geflüchteten kontrollieren, so als seien sie keine Menschen sondern Ware ohne jegliche Rechte oder Wahlfreiheit. „Als ich in Italien angekommen bin, dachte ich Demokratie vorzufinden, nicht weitere Gewalt und Zwang“, berichtet einer der Migranten am Bahnhof von Catania. „Ich frage mich nachwievor, wo ich den Respekt meiner Rechte finden werde.“
Unter den Geflüchteten die am Montag in Catania angekommen sind, befinden sich auch Frauen und Jugendliche, welche sich jedoch als volljährig ausgewiesen haben oder zumindest als solche registriert wurden. Glücklicherweise wurden keine schweren Krankheits- oder Verletzungsfälle vorgefunden. Wir haben diese Nachricht an das UN-Hochkommissariat für Geflüchtete weitergegeben. Dieses hat daraufhin seine Aufklärungsbeauftragten für Mineo informiert, war jedoch nicht in Kenntnis der vorliegenden Rechtsverletzungen.
Nachdem sie gezwungen worden waren ihre Fingerabdrücke vor Ort zu hinterlassen, haben viele Geflüchtete trotz der möglicherweise damit verbundenen Risiken beschlossen, weiter ihren Zielort anzustreben, wo sie von Verwandten seit Jahren erwartet werden. Grundrechte für Europäer*innen, aber nicht für denjenigen, der vor Krieg und Zerstörung flieht. Und der nicht selten die die Nerven verliert, eingefangen in einem Schutzsystem, welches ihn jahrelang an eine Situation der Hilflosigkeit fesselt. Von gestern stammt die Nachricht eines versuchten Suizids seitens eines malischen Asylsuchenden. Er hatte versucht, sich aus einem Fenster des Gerichts von Catania zu stürzen, nachdem er erfahren hatte, dass der Termin der Anhörung seines Berufungsverfahrens auf 2017 verschoben wurde. Wie er, leiden viele unter den Folgen des zunehmend zeitintensiven und verworrenen Systems.

Am Vormittag des 18. Mai sind am Hafen von Catania an Bord des Schiffes Pelusa des italienischen Grenzschutzes 201 Geflüchtete eingetroffen. Als sie die Laderampe erreichen, wissen wir, dass sie vor zwei Tagen in Libyen gestartet sind. Sie stammen vorrangig aus Somalia und Eritrea, aber auch aus Mauretanien und einigen Ländern Nord Afrikas. Unter ihnen befinden sich rund 45 Frauen und 11 unbegleitete Minderjährige, sowie andere kleinere Kinder, die zu Familien gehören. Am Hafen sind zahlreiche Mitglieder der Ordnungskräfte sowie Frontex-, EASO* und Europolbeamt*innen im Einsatz. Gleichzeitig nehmen die Verantwortlichen von IOM*, UNHCR und Save The Children ihre Aufklärungsarbeiten auf. Die Ausladung und Erstidentifizierung gehen schnell von statten. Zeitgleich stehen bereits vier Busse bereit, die die Neuankömmlinge in das Aufnahmezentrum von Mineo bringen sollen, gemäß der inzwischen etablierten Vorgehensweise. Zurück auf der Laderampe bleiben die jungen unbegleiteten Eritreer, für die man noch nach einer geeigneten Aufnahmestätte sucht. Unsere Sorge gilt denjenigen, die nun mit der Gewalt der Identifikationsprozessen und Aussortierung konfrontiertwerden. Eine Einrichtung, wie die von Mineo, symbolisiert erneut einen Ort der Verletzung der Menschenrechte und jeglicher Form von Legalität, anstatt eine Aufnahmestätte für Schutzsuchende zu sein.

Lucia Borghi
Borderline Sicilia

*EASO: European Asylum Support Office – Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen
*IOM: International Organization for Migration

Aus dem Italienischen von Giulia Coda