Das Weihnachtsfest und die Einsamkeit der Unsichtbaren

Artikel vom 30. Dezember, 2020

Der Rummel, der die Vorbereitung der Festtage in Zeiten der Pandemie begleitet hat, passt nicht zusammen mit den wegen oder an Covid-19 Verstorbenen. Darüber hinaus wird er noch einmal lächerlicher, wenn man diejenigen in den Blick nimmt, die sich nicht einmal erlauben können, sich das Weihnachtsfest vorzustellen.

Adama wird es im Wagon eines verlassenen Zuges verbracht haben. Peter, zusammen mit 18 Unsichtbaren wie er selbst, in einem Landhaus auf dem Land in der Gegend von Marsala. Osas in den Klauen eines Mannes, der sie ausbeuten wird, vielleicht nachdem er zur Heiligen Weihnachtsmesse in der Kirche war. Amadou wird sicher in seinem Ghetto von Campobello geblieben sein, in seiner Bruchbude aus Holz und Zeltbahnen. Und Malik wird auf einer der zahlreichen Bänke in Palermo Erholung gesucht haben. Wie warme Semmel gehen die im Augenblick weg unter den Unsichtbaren, die die Stadt in den Quarantäne-Nächten beleben.

Vor allem Malik lächelt über meine Frage nach Weihnachten: „Ich lächele, weil ich ganz viele Leute höre und sehe, die besorgt sind wegen des Festes, weil sie das in der Familie verbringen müssen. Hätte ich doch bloß die Möglichkeit mit meiner Familie zusammen zu sein, und das nicht nur an Weihnachten. Dies ist mein achtes oder neuntes Weihnachten, das ich auf der Straße verbringe; vielleicht gibt es in diesem Jahr dank des Virus keine Menschen, die mich mit ihren Knallern stören. Ich habe den Überblick verloren, weil ich immer alleine bin oder in Gesellschaft von einigen Säufern. Wir sind wirklich alleine und wir haben kein Haus, in dem wir uns aufwärmen können. Ihr dagegen spielt dieses Jahr wegen Covid-19 verrückt; versucht mal daran zu denken, auf welche Weise viele von uns, die du die Unsichtbaren nennst, die Feste am Jahresende verleben, das Weihnachtsfest und die ganzen anderen. Für uns ist es jedes Mal der gleiche elende Abend, allein unter einer Decke und einem Karton, in der Hoffnung, dass es nicht regnet: Das ist mein Weihnachten.“

Adama und Peter sind nicht besonders erfreut darüber, von ihrer Situation zu erzählen. Sie fühlen sich immer verlassener, weil auch die Freiwilligen wegen Covid-19 immer weniger werden. So haben sie keine Gelegenheit andere Menschen zu sehen und mit ihnen zu sprechen. Auch für sie ist es ein Weihnachten der Entbehrung und der Einsamkeit. Selbst Peter, obwohl er mit anderen Unsichtbaren in dem Landhaus wohnt, fühlt sich alleine. Und er wird nicht gefeiert haben, weil er und die anderen kein Geld haben, um etwas Besonderes anlässlich des Festes zu kaufen; wenn es gut gehen wird, wird ein bisschen vom üblichen Reis zum Essen gehören, das er selber kochen wird.

Amadou hat keine Lust zu feiern, weil er in Campobello geblieben ist und darauf wartet, dass sein „Arbeitgeber“ ihn endlich bezahlt, damit er weiterziehen kann zur nächsten Etappe im Kreislauf der Ausbeutung. Darüber hinaus ist er beunruhigt, weil einige seiner Freunde fortgegangen sind, um in Rosarno Arbeit anzunehmen und er zurückgeblieben ist, um auch das Geld für seine Freunde entgegenzunehmen. Aber diese Gelder kommen nicht an. Es kommen nur Versprechen für die Zahlung, die Woche um Woche hinausgeschoben wird. Er hat keine Lust zu feiern.

Für Osas gibt es kein Weihnachten, das stimmig ist: „Ich bin der Weihnachtsmann für ganz viele Männer, für meine weißen und auch schwarzen Brüder; ich bin es, die ihnen einen Moment der Freude schenkt. Aber ihr wisst nicht, dass ihr mich jedes Mal mit Wunden zurücklasst, die ich nicht heilen kann. Nicht einmal mit Covid-19 hört ihr auf und viele sind nach der Messe zu mir gekommen, um sich ein Geschenk abzuholen. Nein, für uns Sexsklav*innen gibt es kein Weihnachten.“

Das sind einige Geschichten von Menschen, die die Festtage wie jeden x-beliebigen Tag verleben, unterdrückt von einem System und einer Gesellschaft, die sie zerquetscht und zu unsichtbaren Sklav*innen gemacht hat. Neben ihnen gibt es viele andere „Letzte“ in unseren Städten, die mit der Angst leben, nicht zu wissen, was aus ihnen wird. Da sind zum Beispiel die vielen Menschen, die in den Quarantäne-Herbergen weggesperrt sind, die, noch positiv, allein sind in einem Zimmer. Einige von ihnen sehen seit vierzig Tagen kein Sonnenlicht, ein Zustand fortgesetzter Vorhölle. Immer wieder gibt es in den Quarantäne-Herbergen Migrant*innen, die, auch wenn sie Covid-19 negativ sind, Gefangene bleiben, weil sie die Einrichtung nur verlassen können, wenn sie einen Wohnsitz haben. Aber die Menschen, die gerade in Italien angekommen sind, verbleiben Tage um Tage ohne irgendeine Erklärung, in der Erwartung, dass die Präfektur sie einem CAS* zuweist.

Es wird für die vielen kein Fest geben, die jeden Tag ohne Abstand vor den Quästuren Schlange stehen, mit Polizist*innen, die Leute beobachten, die sich zusammendrängen, weil sie an der Reihe sind oder um eine Antwort auf so viele Anfragen zu bekommen; diese werden aber aufgrund der Probleme, die Covid-19 geschuldet sind, nicht beantwortet. Entnervende Aufschübe und bürokratische Hindernisläufe machen vielen Migrant*innen das Leben unmöglich. Quästuren, die doch sichere Orte sein sollten und in denen die Legalität garantiert werden sollte, sind stattdessen Orte, an denen eine Frau mit einem Neugeborenen mitten auf der Straße im Regen stehen muss.

Wir haben mehrfach die Umstände angeprangert, unter denen Menschen vor dem Immigrationsbüro der Quästur von Palermo in der Schlange warten müssen. Die Quästur bleibt bei ihren Praktiken, die nicht nur die Würde der Menschen verletzen, sondern darüber hinaus ihre Gesundheit aufs Spiel setzen. Nach der x-ten Verschiebung hat ein Migrant in den sozialen Medien geschrieben: „Wir sind keine Tiere der Regierung, die uns in Gefahr bringen. Wir stehen draußen, wo wir uns das Virus einfangen können, sie sind drin. Ihre Gesundheit ist wichtiger als unsere. Die Quästur ist weiträumig, aber sie geben uns drinnen keinen Raum, wir bleiben draußen. Dann sagen sie, wenn sie zwei Personen zusammen auf der Straße sehen, wegen Covid-19 sei es nicht gut, zusammen zu gehen. Stattdessen lassen sie uns zu hunderten draußen vor der Quästur, damit wir uns das Virus einfangen.“

Für all die Menschen, die vor kurzem auf Lampedusa angekommen und in Covid-Zentren oder auf Quarantäneschiffe verlegt worden sind, wird es überhaupt kein Fest geben. Gruppen bestehend aus unterschiedlichen Menschen werden für 14 Tage zusammen in die Covid-Zentren verbracht: unbegleitete Minderjährige, Frauen, auch Schwangere, Menschen mit psychischen oder physischen Problemen. Im Fall eines positiven Tests geht die Isolation weiter. Was danach wird, ist Lotterie, aber ohne irgendein Preisgeld, nur mit dem Risiko mit einem Abschiebungsbescheid auf der Straße zu enden; denn über die Festtage ist es noch schwieriger eine Verlegung zu organisieren und einen Ort zum Bleiben zu finden.

2020 hinterlässt uns als Erbschaft auch eine Reihe von gesetzeswidrigen Praktiken der Institutionen; einige Betreiberfirmen von Aufnahmezentren haben uns auch von Verlegungen – irrtümlicherweise angeordnet – von Personen erzählt, die nicht getestet waren oder sogar ein positives Ergebnis hatten. In Konsequenz wurde dann die ganze Einrichtung unter Quarantäne gestellt.

Was dagegen die Verlegung von unbegleiteten Minderjährigen in Erwachsenenzentren angeht, handelt es sich nicht um einen Irrtum, sondern um die Durchführung einer Anordnung, autorisiert vom Jugendgericht von Palermo. Ein Mitarbeiter berichtet uns: „Es gibt welche, die in einem Monat 18 werden, oder in zwei oder drei Monaten. Die haben sie zu uns verlegt, auch wenn sie nicht in unserer Einrichtung bleiben können. Aber wir können nicht ablehnen.“ Wie es scheint, war das nicht das erste Mal, dass das in dieser Zeit vorgekommen ist. Der Grund dafür ist, dass es in den Zentren an Plätzen fehlt für die unbegleiteten Jugendlichen, die nach der Quarantäne verlegt werden müssen.

Und genau dieser Mangel an Plätzen führt zur Ermächtigung, in den vorhandenen Einrichtungen die Plätze zu verdoppeln. Einige von ihnen sind wegen der Notfallsituation von einer ursprünglichen Kapazität von 15 auf 30 aufgestockt worden.

Ein System, das wie gewöhnlich den Notfall als Rechtfertigung anführt, damit es die Rechte nicht garantieren muss, die vom Gesetz vorgesehen sind. Sie berichten uns, dass viele Minderjährige bei ihrer Ankunft erklären, dass sie Familienangehörige in Italien hätten. Aber die Zusammenführungen werden nicht vollzogen; und man zieht es vor, sie für Monate oder für Jahre in den Zentren FAMI* auf Sizilien zu parken, die übervoll sind.

Ein zerstörtes Aufnahmesystem, bei dem man, mit dem Veränderungsdekret für die Sicherheitsdekrete, die Gelegenheit verpasst, einen Eingriff vorzunehmen, der zu wirklicher Verbesserung und zu einem Strukturwechsel führt.

Covid-19 oder nicht, Lockdown oder nicht, für sehr viele Menschen sind die Festtage wie jeder andere Tag, ohne die Hoffnung, das Geschenk zu bekommen, dass sie sich seit langer Zeit wünschen: Die Möglichkeit, ein Leben in Würde zu führen.

 

Alberto Biondo
Borderline Sicilia

 

*CAS: Centro di accoglienza straordinaria – außerordentliches Aufnahmezentrum
*FAMI: Fondo Asilo, Migrazione e Integrazione 2014-2020 – ein Fond des Innenministeriums für Asyl, Migration und Integration

 

Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Grüber