Wir rauben ihnen die Hoffnung. Schlechte Aufnahme in der Gegend von Trapani.


Straße zur Residence Marino

„Ich finde mich hier wieder, eingeschlossen und wartend auf ein Dokument, das mir helfen soll, Arbeit zu finden, die mir die Möglichkeit geben soll, Geld nach Hause zu schicken; ich denke manchmal den ganzen Tag an meine Familie, die ich enttäuscht habe und die ich seit mehr als einem Jahr nicht mehr gesehen habe; warum muss ich so lange warten? Warum braucht ihr in Italien so lange um zu begreifen, dass wir von euch nur die Freiheit und Arbeit brauchen und uns dann um Essen und Unterkunft selbst kümmern? Ihr lasst uns die ganze Zeit hier, eingeschlossen wie im Gefängnis, weil ihr von unserem Leid profitiert und viel Geld verdient; und unterdessen sterben wir hier langsam; ihr seid gut darin, uns auch noch die Hoffnung zu rauben“, so David aus Nigeria.

Dies ist eine der vielen Klagen/Proteste, die wir aufnehmen, wenn wir Migranten außerhalb oder im Zentrum begegnen. Angesprochen wird hier ein Aspekt, auf den Viele mit dem Finger zeigen: Die bürokratische Langsamkeit, welche die Geduld der Menschen strapaziert, sie protestieren lässt und der Mehrheit derer, die wir in solchen Orten „einschließen“, welche auch die Stärksten unter ihnen auf eine harte Probe stellen, die Hoffnung raubt.


Straße zur Residence Marino

Leider erhalten wir weiterhin Protestanrufe aus vielen Gegenden, von Palermo bis Trapani, von Catania bis Agrigent, bis nach Ragusa, immer mit den gleichen Bitten um Hilfe. „ES GIBT NIEMANDEN, DER UNS ZUHÖRT.“ Wir können das tatsächlich bestätigen. Das Hauptproblem in den Fällen des „guten Willens“ ist das Zuhören, der Wille der Mitarbeiter, Mediatoren und Verantwortlichen, sich neben einen „Gast“ zu setzen und ihm zuzuhören. Dies alles geschieht zwar vielleicht in den ersten Tagen nach der Eröffnung eines Zentrums, nach einem Monat aber, ändert sich die Musik; die Anliegen der jungen Leute aus Nigeria, Gambia, Pakistan oder Mali, wer sie auch seien, hingegen nicht; die „Betreibergesellschaft“ wird ungeduldig, wird nervös, verstummt und in manchen Fällen zeigt sie sich für längere Zeit nicht mehr im Zentrum – aus unterschiedlichen Motiven. Erstens, weil sie angesichts der ellenlangen Bearbeitungszeiten der Territorialkommissionen nichts mitzuteilen hat; zweitens, weil in vielen Fällen die Vorbereitung und Ausbildung der Mitarbeiter unangemessen kurz ist; und schließlich, weil in einigen Fällen ein unterschwelliger Rassismus zugrunde liegt, der keinen Dialog zulässt.

Die Nichtaufnahme ist in Italien unterschiedlichen Einrichtungen übertragen worden: den wiederverwerteten (recycelten) Kooperativen (zuvor haben sie Dienstleistungen erbracht) und den verwandelten (konvertierten) Kooperativen (zuvor haben sie Altenheime verwaltet) sowie Wohngemeinschaften für einheimische Minderjährige, die jetzt nur noch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufnehmen; hinzu kommen Agriturismi (Einrichtungen für Urlaub auf dem Land) oder Hotels, die sich von einem auf den anderen Tag zur Aufnahme „berufen fühlen“.

Dies ist zum Beispiel sinnbildlich der Fall beim Hotel Acos von Marsala, in dem eine Einrichtung von der Kooperative Vivere Con. verwaltet wird, die seit Jahren diese Art Aufnahme zwischen Hotel und CAS* voran treibt. Schon im Jahr 2009 hat die Kooperative Migranten aufgenommen, um dann wieder touristische Aktivitäten zu verfolgen. Ich vermute, je nach Zustrom der Touristen oder Zustrom der Migranten, oder auch je nach Übereinstimmung mit den Eigentümern der Einrichtungen; wir haben das nicht klären können, weil die Antwort der Betreibergesellschaft ausgeblieben ist. Der letzte Eintrag eines Touristen, der vor dem letzten Wechsel über das Acos geschrieben hat, ist mit Mai 2014 datiert (es reicht, auf Google zu recherchieren, um die Meinungen der Touristen über das Hotel zu erfahren – wie dies bei allen touristischen Einrichtungen der Fall ist). Die Einrichtung wurde ab dem 1. Juni 2014 von der Kooperative Vivere Con. wieder in ein CAS zurückverwandelt. Von diesem Moment an sahen sich die Mitarbeiter, die bis zum 31. Mai mit Touristen zu tun hatten, in eine unbekannte und sehr andersartige Welt katapultiert, wie uns Pietro, ein Mitarbeiter der Einrichtung, erzählt. Seit dem bereits weit zurück liegenden 1. Juni 2014 sind viele Migranten durch das Hotel Acos und durch das Hotel Concorde (von derselben Kooperative geleitet und auch in Marsala liegend) gegangen. Zur Zeit befinden sich dort circa 130 Personen in einem Zustand der Vernachlässigung, oder besser: Dies ist das Gefühl, das sie haben und das sie dazu gedrängt hat, Kontakt mit uns aufzunehmen. Sehr viele von ihnen haben keine Dokumente (fast alle) und nach 10-11 Monaten hat noch immer fast keiner einen Termin für die Anhörung vor der Kommission. Aber noch dramatischer ist die Situation einer hohen Anzahl von Personen, die nach 4-5 Monaten noch keinen formellen Antrag auf Asyl durch das Ausfüllen des Formulars C3 gestellt haben. Diese Verzögerung ist schwerwiegend und die Gründe dafür liegen beim Polizeipräsidium von Marsala (und nicht nur), das sich schwer tut, entsprechend der Zuweisungen die Gelder für die Mediatoren aufzubringen. Aber am Ende zahlen die Migranten die Rechnung für die mangelnde Fähigkeit unserer Politiker und Regierenden zu planen, ohne die enorme Verschwendung öffentlicher Mittel in Betracht zu ziehen, wenn man Hunderte von Menschen in einer juristisch und existentiell unsicheren Lage parkt.

Offensichtlich ist die Situation wegen dieser bürokratischen Hindernisse bedrückend; die jungen Leute fühlen sich aufgrund der Nutzlosigkeit, in der sie gezwungen sind, ihre Zeit zu verbringen, wie im Käfig. Zu diesem gewaltigen Problem gesellt sich die Tatsache, dass der Einrichtung ein Direktor vorsitzt, der lange nicht im Zentrum anwesend war. Die Migranten, die wir getroffen haben, sprechen von mindestens 3 Monaten, ein Umstand, der von der anwesenden Mediatorin abgestritten wurde, die uns keine weiteren Informationen geben wollte. So fühlen sich die Migranten verlassen und denken, dass die Verzögerungen durch die Betreibergesellschaft selbst verursacht werden. Darüber hinaus haben wir mindestens zehn Jugendliche getroffen, die uns gesagt haben, dass sie minderjährig seien; sie haben noch keinen Anwalt getroffen und behaupten, dass ihnen noch niemand gesagt habe, dass sie ein Recht darauf haben.

Eine weitere schwierige Situation, welche die Minderjährigen erleben, haben wir in Trapani, in der Einrichtung „Residence Marino“ angetroffen. In der Vergangenheit war es ein IPAB*, das alte Menschen in einem kleinen paradiesischen Winkel beherbergte, während es sich heute für minderjährige und erwachsene Asylsuchenden zu einem Gefängnis unter freiem Himmel verwandelt hat.

Die Einrichtung, die im Obergeschoss circa 18 unbegleitete Minderjährige in zwei Wohngemeinschaften beherbergt, wird von der sozialen Kooperative „Dimensione Uomo 2000“ verwaltet und wurde im Februar 2014 eröffnet. Im unteren Geschoss leben dagegen 100 Migranten, die vom IPAB verwaltet werden, welche sich der „Migration“ seit Juni 2014 zugewandt hat (also 3-4 Monate nachdem die Wohngemeinschaften eingezogen sind, die für die Nutzung des Raumes eine Pacht an die IPAB zahlen).

In dieser wahrlich großen Einrichtung befinden sich folglich Minderjährige und Erwachsene; was Probleme für die leitende Gesellschaft mit sich bringt, welche verschiedene vorhandene Einrichtungen verwaltet. Gleichzeitig erzeugt dies Probleme der Vermischung zwischen Ober- und Untergeschoss in der Einrichtung selbst. Die Betreibergesellschaften der IPAB sprechen uns gegenüber vor allem von Verwaltungsschwierigkeiten, die sich dadurch ergäben, dass häufig Migranten anwesend seien, die aus anderen Zentren kämen, sich angesichts der Größe der Einrichtung aber gut verstecken könnten.

Aber die nach unserer Meinung schwierigste Situation (und die Betreiber stimmen zu), ist der Standort der Einrichtung, weit entfernt von bewohnten Orten, nicht verbunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die, auch wenn sie wollten, das Zentrum nicht erreichen würden, weil sich die Straße vom Molo Ronciglio zur Einrichtung in einem katastrophalen Zustand befindet. Beim Befahren, gehen Autos leicht kaputt (man bräuchte einen Allradantrieb); es handelt sich um eine insgesamt nicht nutzbare Straße, nicht beleuchtet, von zahlreichen Straßenhunden umschlichen; durch die winterlichen Regenfälle hat sich die Situation nur noch signifikant verschlechtert, sodass die Straße und ihre direkte Umgebung zu einem großen Fluss geworden sind.

Um ein Beispiel anzuführen: Die Jugendlichen der Wohngemeinschaften können nicht zur Schule gehen, weil der Bus, der für die Fahrt genutzt wird, mehrmals kaputt gegangen ist und jetzt darauf wartet, zum x-ten Mal repariert zu werden.

Nicht nur, dass die Minderjährigen sich wie im Käfig fühlen; weder Hafenbehörde noch Kommune noch das Ordnungsamt denkt daran, einzugreifen, den Straßenzustand zu verbessern und den jungen Leuten Gelegenheit zu geben, sich frei zu bewegen (seit 2002 herrscht ein Verwaltungsstreit über die Zuständigkeit).

Dies alles führte zu wiederholten Protesten der erwachsenen „Gäste“ des IPAB, wie auch der minderjährigen Bewohner der Wohngemeinschaften.

Leider gibt es nicht nur in der Gegend von Trapani viele Proteste, sondern auch und vor allem in der Gegend von Palermo, wo nicht nur die Migranten aus den CAS sondern auch jene aus den SPRAR* (beide verwaltet vom selben Konsortium Sol.co) demonstrieren. Der letzte Protest ist leider aus dem Ruder gelaufen und vier Nigerianer aus der Einrichtung Borgetto – CAS „Vogliamo volare“ („wir wollen fliegen“) – sind festgenommen worden. Voranzustellen ist, dass die Migranten in dieser Einrichtung nicht zum ersten Mal demonstrierten, sei es wegen der bürokratischen Langwierigkeiten oder der Lebensbedingungen in der Einrichtung oder wegen des Verhaltens der Mitarbeiter. Besonders geklagt haben die jungen Leute über das Desinteresse der Mitarbeiter an ihrem Gesundheitszustand und sie beklagen die mangelnde Begleitung in die Gesundheitseinrichtungen für die schon vorgemerkten Arzttermine. Wir haben nachprüfen können, dass einige Praxen der ASP* in Palermo die Betreibergesellschaften auf versäumte Arztbesuche der Jugendlichen hingewiesen haben.

Offensichtlich schaffen diese Bedingungen des Stillstands und der Unzufriedenheit eine innere Leere bei den Betroffenen und befördern gewalttätige Aktionen wie eben in Borgetto.

Aber wir fragen uns, wieviel Schuld tragen wir gegenüber diesen Menschen, denen wir weiterhin die Hoffnung rauben?

Alberto Biondo

Borderline Sicilia Onlus

*CAS – außerordentliches Aufnahmezentrum

*IPAB – italienische öffentliche Einrichtung der Wohlfahrt und Unterstützung

*ASP – Agentur für öffentliche Gesundheit

*SPRAR – Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge

Aus dem Italienischen von Rainer Grüber