Wo die Zelte standen. Von der Ausbeutung auf den Feldern

In Campobello di Mazara hat es Demonstrationen zur Unterstützung der Saisonarbeiter gegeben, Solidaritätsbekundungen mit denen, die in den drei Monaten der Olivenernte unzählige Mühen und Widrigkeiten über sich ergehen lassen mussten. Es waren Menschen dabei, die ihre Zeit und ihren Einfallsreichtum investierten, um den Saisonarbeitern wenigstens ein winziges Stückchen ihrer Würde zurückzugeben. Die Behörden hingegen – die Präfektur, die Gewerkschaften, das Arbeitsamt und der Stadtrat – glänzten durch Abwesenheit. Sie wurden erst aktiv, als die Ernte vorbei war und das Lager geräumt werden musste.

Was vom Lager „Erbe Bianche“ in Campobello di Mazara (Provinz Trapani) bleibt

Wir haben das Zeltlager „Erbe Bianche“ nie gutgeheißen. Kein Arbeiter, keine Arbeiterin sollte jemals unter solchen Bedingungen leben müssen, sondern vielmehr das erhalten, was ihm oder ihr rechtmäßig zusteht: Unterkunft und Verpflegung. Kein Arbeitgeber, keine Arbeitgeberin dieses Lagers hat dies jemals gewährt. Die Menschen auf den Feldern haben in Stille gearbeitet und die Region mit ihrem Schweiß, mit ihrem Blut und mitunter sogar mit ihrem Leben reich gemacht – wie Ousmane, der junge Senegalese, der 2013 bei der Explosion einer Gasflasche im Zeltlager „Erbe Bianche“ ums Leben kam.

Nun aber haben die Behörden – die Präfektur der Stadt Trapani zusammen mit den Bürgermeistern von Campobello und Castelvetrano, den seit Jahren still mitwissenden Gewerkschaften und den Zuständigen des italienischen Sozialversicherungsträgers INPS – beschlossen, die ausgebeuteten Arbeiter einfach so gut wie möglich zu verstecken. So haben jene entschieden, die eigentlich dafür da sein sollten, diesen Menschen die Gewährung ihrer Rechte und ihrer Legalität zu garantieren. Deswegen darf es jetzt keine provisorischen Unterkünfte auf dem Gelände von „Erbe Bianche“ mehr geben – aus hygienischen und sanitären Gründen und damit die lokale Bevölkerung sich des öffentlichen Raumes erfreuen möge, der hier sogar von archäologischem Interesse ist.

Heute ist das Gelände von „Erbe Bianche“ eine Freiluftmüllkippe, die kurzerhand aufgeschüttet wurde, damit niemand mehr sein Zelt aufstellen kann. Von Bürger*innenseite gab es in diesem Jahr tatsächlich keine Beschwerden: Die Müllkippe ist nämlich vielen lieber als Personen, die ihnen tagein tagaus den menschlichen Preis unserer brummenden Wirtschaft vor Augen führen. Nur mussten natürlich auch in diesem Jahr Oliven geerntet werden. Aus ganz Italien sind die Erntehelfer gekommen, unter ihnen viele Senegalesen mit gültiger Aufenthaltserlaubnis. Sie wurden in der ehemaligen Zementfabrik versteckt, genau dort, wo Ousmane ums Leben gekommen ist. Nach sinnlosen Verhandlungen, runden Tischen und Vorschlägen, die letztendlich immer nur die ohnehin nicht unmaßgeblich von der Politik begünstigten Landwirte bevorteilten, wurden rund 1000 Personen gezwungen, unter noch schlimmeren Bedingungen als in den Vorjahren ihr Dasein zu fristen – ohne Wasser nämlich und ohne Licht. Und die Behörden haben es doch tatsächlich gewagt, den Arbeitgebern trotzdem weiter Fördergelder zuzusprechen, um Saisonarbeiter einzustellen und in Zelten nahe der eigenen Felder kampieren zu lassen.

Die ehemalige Zementfabrik von Campobello di Mazara

Als Menschenrechts- und Hilfsorganisationen haben wir bei den Arbeitstreffen mit der Präfektur immer Kontrollen der Arbeitgeber und der Unterkunftsbedingungen eingefordert. Nicht eine einzige solche Kontrolle hat jemals stattgefunden. Die Arbeitnehmer erzählten uns von provisorischen Lagern in den Landwirtschaftsbetrieben, wo es weder Wasser, noch Licht, geschweige denn chemische Toiletten gegeben habe. Aus den Erklärungen einiger Arbeitgeber ging sogar hervor, dass sie ihre Saisonarbeiter wie Tiere in Lagerhallen untergebracht haben. Einige wenige Arbeitgeber haben zum Glück ihre Pflicht getan und den eingestellten Saisonarbeitern ein Dach über dem Kopf gewährt – aber bislang sind die, die das Gesetz achten, eindeutig in der Minderheit.

Noch wütender kann man werden, wenn man hört, wie die Gewerkschaften, das Arbeitsamt und die Präfektur mit triumphalen Ton Zahlen verkünden. Etwa 1300 Verträge seien abgeschlossen worden und das sei doch ein großer Erfolg gegenüber der Situation vor zwei Jahren, als es nicht einen einzigen gegeben habe. Natürlich können wir nicht abstreiten, dass Verträge wichtig und längst überfällig sind; andererseits haben wir beim Zusammentreffen mit der Präfektur eindeutig gesagt, dass ein Großteil der Verträge ungültig oder nutzlos ist. Der Vertrag wird nur für wenige Tage abgeschlossen, obwohl die Arbeitgeber ihre ‚Angestellten‘ mindestens ein oder zwei Monate, manchmal länger für sie arbeiten lassen. Niemand hat die Verantwortung übernommen, das zu überprüfen – schließlich ist gemeinhin bekannt, dass man dadurch ein Vorgehen behindern würde, das vielen allzu gelegen kommt.

Auf der Ebene der zentralen Verwaltung wurde erst kürzlich das Inkrafttreten einer Auflage bis Januar 2020 aufgeschoben, die Agrarunternehmer dazu verpflichtet, jeden Monat (und nicht wie bisher alle drei) die Arbeitstage der Hilfsarbeiter zu registrieren: ein Geschenk mehr an die werten Herren Landwirte, die mit dem Leben der Arbeitenden spielen.

Wovon bei den Behörden niemand spricht, ist die Ankunft afrikanischer Arbeitsvermittler, die sich bei der Bezahlung der Arbeitenden systematisch dazwischen schalten und um den Preis einer Erntekiste (3,50 Euro im Durchschnitt) oder eines Arbeitstages (40 Euro für den ganzen, 15 für den halben Tag) feilschen.
Das Fehlen angemessener Kontrollen und diese fadenscheinige Fassadenlegalität haben den Arbeitenden die Möglichkeit geraubt, Arbeitslosengeld zu beantragen, da die dafür notwendige Anzahl im Vertrag verzeichneter Arbeitstage nie erreicht wird. Ebenso wenig können sie Mietverträge abschließen, da ihnen die notwendigen Garantien und Dokumente versagt bleiben.

Unter all den Ausgebeuteten hat uns besonders die Geschichte des Senegalesen E. berührt. E. ist 63 Jahre alt. Gebeugt und unsicher auf den von Schmerzen geplagten Beinen erzählte er uns, dass er seit 33 Jahren in Italien lebe und über 25 Jahre in einer Fabrik in Brescia gearbeitet habe. Die Fabrik sei vor zwei Jahren geschlossen worden und nun reise er von einer Ernteregion zur nächsten, da einem alten Mann wie ihm niemand mehr Arbeit gebe. „Die Jungen haben doch schon keine Arbeit, wie sollte ich dann welche bekommen! Nur für diese unsichtbaren, harten Arbeiten sind die Jungen keine Konkurrenz. Hier habe ich also die Möglichkeit, das wenige Geld zu verdienen, mit dem ich meine Familie gerade so ernähren kann. Der Preis, den meine Gesundheit dafür zahlen muss, ist natürlich hoch. Ich könnte das alles gut überstehen, wenn doch nur jemand meine Rechte achten würde. Seit Langem schon kann ich keine Beiträge mehr zahlen, da ich seit zwei Jahren nur noch falsche Verträge habe. Ich weiß nicht, ob ich die Rente, für die ich jahrelang im Schweiße meines Angesichts gerackert habe, irgendwann genießen kann.“
Die Entscheidung, Arbeiter auszubeuten wohnt dem andernfalls kollabierenden Wirtschaftssystem zutiefst inne. Sobald wir die Behörden zu Kontrollen auffordern, fragen sie uns scheinheilig nach den Namen der Arbeitgeber, als wüssten sie diese nicht selbst, und als könnte jeder Arbeitende freiheraus die am eigenen Leib erfahrene Ausbeutung denunzieren. „Und wenn ich dir jetzt sage, von wem ich ausgebeutet werde – wer gibt mir dann überhaupt noch Arbeit?“, sagte E. beim Abschied.

Auf dem Gelände von „Erbe Bianche“, wo einst die Zelte standen, ist nur Verzweiflung und Unrecht geblieben. Es scheint, als habe Ousmane umsonst sterben müssen.

Alberto Biondo

Borderline Sicilia

Aus dem Italienischen von Laura Strack