Besuch am Zentrum „Le Zagare“ in Melilli: Wenn der Notstand die Aufnahme behindert

Das Zentrum „Le Zagare in Melilli, in der Nähe von Siracusa, hat eine wesentliche Arbeit in den letzten Monaten eine wichtige Rolle für die Aufnahme von in Siracura angekommenen Migranten gespielt. Es wurde in April 2014 in Einklang mit einem Abkommen mit der Präfektur als Erstaufnahmeeinrichtung eröffnet und es wurden schon mehrere hunderte Familien und alleinstehende Frauen untergebracht, die entweder in Augusta oder Catania ans Land gekommen waren. Seitdem ab Mitte Oktober die ehemalige Verdi Schule in Augusta geschlossen wurde, hat „Le Zagare“ auch für die vorherigen in der Schule untergebrachten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge und für die Neuangekommenen gesorgt. Derzeit wohnen dort 23 Angehörigen von Familieneinheiten, Frauen und 110 Minderjährige.
Im Besitz einer Genehmigung der Präfektur – unerlässlich für den Besuch des Zentrums – habe ich mich am frühen Nachmittag zu „Le Zagare“ begeben und treffe am Eingang auf einen großes Aufgebot von Polizei, Carabinieri und der Zollfahndung. Circa dreißig Menschen halten mit ihren Fahrzeugen vor dem Eingang des Zentrums und kontrollieren jeden, der eintreten will. Giuliana Garufi, Zentrumsleiterin und Sozialarbeiterin, erklärt, dass sich die Zahl des Sicherheitspersonals nach der Verlegung der Minderjährigen hierher erhöht habe und somit eine massivere Kontrolle nötig sei. Das wurde bei der ehemaligen Verdi Schule anders angehabt: Dort waren die Minderjährigen über Nacht ohne Betreuung, im Gegensatz zu „Le Zagare“, in dem Mitarbeiter 24 Stunden pro Tag anwesend sind.

Als ich ankam führte mich Giuliana durch die Einrichtung und erzählte mir, wer dort untergekommen ist und was für Aktivitäten sie veranstalten. Es ist ein großes geräumiges dreistöckiges Gebäude, das wahrscheinlich als Seniorenheim geplant wurde, aber seit Frühling wird es als Erstaufnahmezentrum benutzt. Im Erdgeschoss gibt es außer einer Kantine und unterschiedlichen Räumen zur Freizeitnutzung einen TV-Raum, Tischtennis und Kicker, eine Krankenstation, Räume, in denen die Kleidung aufbewahrt wird und Büros. Im ersten Stock gibt es Schlafzimmer für die Minderjährigen mit durchschnittlich sechs Betten und im letzten Stock befindet sich die Unterkunft für die Familieneinheiten und die Frauen. Eine solche mehr oder weniger definierte Trennung wurde angedacht, um den Bedürfnis Familien auf mehr Platz entgegen- und den Bedürfnissen nachzuzukommen. „Wir wissen, dass die Jugendlichen gern spielen, lärmen und laut sind, wie es normal für ein solches Alter ist, anders als die Pärchen mit kleinen Kindern oder schwangere Frauen, die mehr Ruhe brauchen“, sagt Giuliana. Die Leitung, genau wie beim Zentrum Umberto I in Siracusa, stellt den Erwachsenen das so gennante Pocket Money im Höhe von € 2,50 in Form von Aufladekarten für Handys und Zigaretten zur Verfügung. Als ich frage, wie es für die Flüchtlinge möglich ist, auch nur die Bustickets zu kaufen, um in die Stadt zu fahren, erklärt man mir, dass es keine Kontrollen gebe und man daher faktisch kostenfrei fahren könne. Seitdem hier auch unbegleitete Minderjährigen leben, ist die Einrichtung dabei, ein Wi-Fi Netz zu installieren, denn es ist sehr wichtig für die Jugendlichen, mit ihren Freunden und mit den Menschen, die zuhause geblieben sind, Kontakt zu halten.
Giuliana veranschaulicht: “Die Unterbringung von Minderjährigen bringt eine unterschiedliche und vielleicht noch komplexere Situation mit sich als die von erwachsenen Flüchtlingen. Einer der wesentlichen Aspekte ist, dass die jungen Menschen einen Vormund brauchen.“ Bis heute haben nur 10% der Anwesenden einen Vormund – so die Daten der ex Schule Verdi. Die Situation hat sich aber entscheidend geändert, seitdem sie in „Le Zagare“ untergebracht wurden. Hier werden sie besser betreut: Nicht nur mit der Nahrungsmittelverteilung, sondern auch in der sozialen Eingliederung mithilfe der Sozialarbeiter und Psychologen, die gerade versuchen, Italienischkurse in Gang zu bringen und den Jugendlichen mit den rechtlichen und administrativen Verfahren zu helfen. Diese Unterstützung wurde in der ex Schule Verdi teilweise von Mitarbeitern angeboten, die aber, auch wenn sehr bereitwillig, nicht für diese Aufgabe qualifiziert waren, oder mithilfe von bekannten externen Organisationen (Emergency, Save the Children, Terres des Hommes), die aber nicht tags- und nachtsüber in der Einrichtung anwesend sein konnten.
„Dies hat dazu geführt, – erklärt Giuliana weiter – „dass viele Vormünder die Rolle einer Ersatzfamilie für die Jugendlichen angenommen haben, oft aber nicht über die entsprechend rechtliche und soziale Situation der Jugendlichen, die sie juristische vertreten, aufgeklärt waren. Das hat auf der emotionalen Ebene zu wenig ausgeglichenen Beziehungen geführt, die aber grundlegend und wünschenswert für die Jugendlichen in einer Situation der Verlassenseins wie der von Augusta sind. Die Realität sieht anders aus, viele sich laufend verändernde Situationen, die zu einem Ungleichgewicht führen. Das Problem ist, dass kleine aber wichtige Unterschiede zwischen denjenigen, die eine Bezugsperson haben und denjenigen, die keine haben, entsteht. Und dies macht das gemeinschaftliches Leben unstabiler und schwieriger zu koordinieren“. Giuliana bezieht sich auf die Möglichkeit, mithilfe eines Vormunds ein Verfahren zur Anerkennung des internationalen Schutz einzuleiten oder einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel zu stellen, auf Schulbesuche oder auch nur die Möglichkeit zu haben, ein Wochenende, Abende bei der neuen Familien zu verbringen oder bessere Kleidungen zu bekommen.Alles Dinge, die jedem zustehen, aber tatsächlich nur für die Jugendlichen möglich sind, die schon einen Vormund haben. Dies ist aber eine paradoxe Situation, in der von Gesetz wegen vorgesehene und garantierte Rechte nur für eine privilegierte Minderheit garantiert sind. Welche Lösungen also gibt es, um dieselben Rechten für alle zu sichern, ohne die Rechtswahrung im Niveau abzusenken? Diese und viele anderen Fragen bleiben in der Diskussion mit Giuliana, die mir auch ihre Perplexität über die Organisation der Erstaufnahme erläutert, unbeantwortet. Es gibt keine zentrale Stelle, die einen Überblick über verfügbaren Plätzen für die Neuangekommenen hat. Grund für alles ist immer der Notstand. „Als ich in Rom arbeitete, wusste ich von Zentren für Minderjährigen, in denen freie Plätzen zur Verfügung standen, gleichzeitig warteten in Sizilien viele aus Mangel an Plätzen auf eine Verlegung“ erläutert Giuliana. Leider hat sich an der Situation nach fast acht Monaten nicht viel geändert. Wir nähern uns dem TV-Saal, in dem einige Migranten einer englischen TV-Serie gelangweilte Blicke zuwerfen. M., ein großer Junge, kommt lächelnd zu uns: „Du warst am Hafen in Augusta, als ich in September ankam. Ich bin glücklich gewesen, ich bin nicht lange in Augusta geblieben“. Weitere junge Menschen stoßen dazu und I. möchte mit uns draußen reden: „Ich will dir meine Situation erläutern. Ich bin im Juli aus Gambia nach Italien gekommen und bin schon in drei Zentren gewesen, Ispica, Portopalo und hier. Alle reden über Notsituation, und ich weiß, dass kein „Notzentrum“ gut ist. Ich kann noch kein Italienisch sprechen, ich habe es nur eine einzige Woche in fünf Monaten geschafft einen Kurs zu besuchen. Ich glaube nicht, dass ich Glück habe. Ich bin sehr müde. Hier geht’s mir gut, aber wie kann ich auch nur mit meiner Familie ohne Internet kommunizieren? Was kann ich den ganzen Tag tun?“ Auch für E. ist der mangelnde Internet-Zugang das größte Problem in diesem Zentrum: „Kein Anruf, kein Geld, kein Internet. Ich muss mit meinen Freunden reden. Sie sagen, das Internet wird installiert. Wie seien in einer Notsituation angekommen und daher müssen wir warten.“ Eine kleine Gruppe aus Nigeria kommt mit dem Fahrrad aus dem Dorf. Andere fangen plötzlich an, Fußball in dem kleinen Hof zu spielen. „Es ist einfach, das Dorf zu erreichen, aber es ist sehr klein, und es ist nicht einfach, Kontakt zu den Menschen zu haben. Mensch, wenn ich zur Schule gehen könnte! M. und ich sind aus Gambia losgefahren, und ich will in Italien bleiben, vielleicht in Mailand oder Rom, besser als Sizilien, aber ich will auf jeden Fall die Sprache lernen, um neue Menschen kennenzulernen und dann eine Arbeit als Mechaniker zu finden“. „Ja, besser eine große Stadt, wie Augusta. Hier haben wir schöne Räume, saubere Toiletten, Duschen. Aber ansonsten ist die Situation immer die gleiche: schlafen, essen, schlafen“, erzählt A. weiter „Ich sage immer wieder: ich bin auch in einer Notsituation, ich will lernen, die Sprache können und kommunizieren“.

Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus

Aus dem Italienischen von Miriam Bulbarelli