Besuch im Zentrum zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Caltagirone

Am vergangenen 3. August
haben wir das Zentrum zur ersten Hilfe und Erstaufnahme für unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge in Caltagirone besucht. Das Zentrum mit dem Namen „Eine Welt in
Farben“ wird gemäß dem Dekret der Region Sizilien vom 13. August 2014 betrieben
und wurde im März diesen Jahres im Gebäude einer ehemaligen Seniorenresidenz eröffnet.
Es ist Teil des Projekts FAMI (Fondo Asilo, Migrazione e Integrazione –
Stiftung Asyl, Migration und Integration), das von der Kooperative San
Francesco verwaltet wird, die wiederum der Genossenschaft Sol.Co angehört und mit
der sozialen Kooperative „Il Sorriso“ und der Kommune Caltagirone zusammenarbeitet.

Die Räume sind auf zwei Etagen aufgeteilt, die Einrichtung ist sehr groß
und geräumig. Es gibt verschiedene Gemeinschaftszimmer um fernzusehen, zu
spielen und für den Italienischunterricht. Die Schlafzimmer mit Bad sind für
3-4 Personen ausgelegt. Wir treffen zunächst auf die Koordinatorin, die uns das
Zentrum vorstellt. Die Kooperative bestellt die Hauptmahlzeiten über ein
Catering, diese werden im Mensaraum im Keller eingenommen, während es den
Jugendlichen überlassen ist, das Frühstück vorzubereiten. Die
Gemeinschaftsräume werden von entsprechendem Personal gereinigt, während die
Jugendlichen für ihre Zimmerreinigung selbst verantwortlich sind. Im Zentrum
sind Mitarbeiter verschiedener Bereiche tätig: sechs Erzieher, vier Animateure,
zwei Italienischlehrer und ein Sportlehrer, zwei feste Mediatoren und weitere
externe, die bei Bedarf einberufen werden. Weitere Mitarbeiter sind zwei
Sozialarbeiter, zwei Psychologen, ein Arzt, ein Krankenpfleger und drei
Anwälte. Das tägliche Taschengeld von 2,50€, das den Bewohnern zusteht, wird
nicht bar ausgezahlt, sondern in Gutscheinen, die lediglich in wenigen
kooperierenden Geschäften in der Stadt einlösbar sind. Anscheinend ist diese
Entscheidung in der Projektsatzung festgelegt, die es nicht erlaubt, das
Taschengeld bar auszuzahlen. Es ist jedoch ein Recht der Jugendlichen, über
Bargeld zu verfügen, das sie frei nach ihren Bedürfnissen ausgeben können.

Wir erfahren außerdem,
dass neben der Assistenz und der Rechtsberatung, die von drei Anwälten
geleistet wird, in der Einrichtung täglich ein Italienisch- und verschiedene
Sportkurse abgehalten werden.

Das Zentrum hat die
Bewilligung bis zu 50 Jugendliche zu beherbergen, 40 davon sind für Jungen und
10 für Mädchen reserviert. Zum Zeitpunkt unseres Besuches ist es jedoch noch
nicht ganz ausgelastet und beherbergt 36 Jugendliche, darunter 35 Jungen und
ein einziges Mädchen, die aus Mali, Somalia, Ägypten, aus der Elfenbeinküste,
Eritrea und Bangladesch stammen.

Die Mehrzahl der
Jugendlichen befindet sich hier schon länger als die 90 Tage, die vom Gesetz
vorgesehen sind, mit Ausnahme von den Neuankömmlingen. Zu Beginn war ihnen
erklärt worden, dass das Zentrum lediglich eine Übergangslösung sei, und dass
sie innerhalb von drei Monaten in ein weiteres Aufnahmezentrum kämen, wo sie
ihre Asylanträge stellen und den Integrationsprozess einleiten könnten. Dass
die Versetzung aufgrund mangelnder Plätze nicht stattgefunden hat, und zudem das
Asylverfahren langsam vorangeht, hat Übellaunigkeit und Beschwerden verursacht.
In der Zwischenzeit wurde für fast jeden der Bewohner der Antrag für
internationalen Schutz vorangebracht. Im Zusammenhang damit macht uns die
Koordinatorin auf den Fall von zwei Jungen aus Bangladesch aufmerksam, die sich
momentan in der Einrichtung befinden und den tragischen Schiffbruch vom
vergangenen 18. April überlebt haben. Sie hatten sich an die Polizei von
Catania gewandt um ihre Schutzanfrage formal einzureichen, beide Anträge wurden
jedoch an die Absender zurückgeschickt mit der Erklärung, dass „Bangladesch ein
sicheres Land ist“. Das stellt einen sehr schweren Verstoß dar, über den wir
uns besser informieren wollten und uns an die Rechtsberatung gewandt haben, die
uns sagte, sie habe den Fall dem Zentralen Amt gemeldet und bereits
beschlossen, die Jungen persönlich wieder zur Polizei zu begleiten um das
Geschehene zu klären und ihre Rechte einzufordern. Die Diskussion über den
Zugang zum Asylverfahren bringt uns direkt dazu, ein weiteres Thema anzugehen,
das von der Koordinatorin als „großes Problem“ eingeschätzt wird, und zwar das
Fehlen von Tutoren. Uns wird erklärt, dass zu Beginn die Position der Tutorin
einer Mitarbeiterin der Einrichtung zugeteilt wurde, gerade um das bestehende
Manko auszugleichen und nicht noch zusätzlich das Verfahren zu verlangsamen.
Diese Praxis wurde für einige Monate im Jahr 2014 auch vom Jugendgericht
Catania unterstützt, wegen der vielen Ankünfte an den östlichen Küsten in jenen
Monaten. Diese Entscheidung wurde von vielen Seiten kritisiert, da sie
tatsächlich zum Verlust einer dritten Partei, die zum Schutz der Jugendlichen
maßgeblich ist, führen würde. In dieser Einrichtung verfügten am vergangenen 3.
August nur 27 Bewohner über einen Tutor, ein Einziger für alle, während die
anderen Bewohner noch auf einen warten mussten. Ein weiterer, sehr wichtiger
Aspekt betrifft einen Jugendlichen mit geistiger Behinderung. Die Koordinatorin
erzählt uns, dass bereits in der Phase der Pflegschaft der Zustand des Jungen
viele Fragen in ihr aufgeworfen habe, weswegen sie die psychiatrische Abteilung
im Krankenhaus von Caltagirone kontaktiert habe um sachgemäße Unterstützung zu
erhalten. Die ersten Überprüfungen haben ergeben, dass der Junge
Verständnisschwierigkeiten und „ein geistiges Alter von wenigen Jahren“ hat,
und es scheint, dass die lokalen Ärzte und das Personal des Roten Kreuzes, das
in der Einrichtung ist, sich um ihn kümmern. Das was uns fassungslos macht,
über die Tatsache hinaus, dass eine verletzliche Person in einer unpassenden
Umgebung ist, ist der Hinweis der Koordinatorin auf die Möglichkeit einer
Rückführung, welche vom Roten Kreuz angedeutet wurde. Wir machen ihr
unverzüglich die Risiken einer solchen Entscheidung klar und setzen sie in
Verbindung mit Save The Children. Die Koordinatorin ist vollkommen
einverstanden mit unseren Ideen und ist offen gegenüber einer Zusammenarbeit
mit der empfohlenen Organisation. Heute, mehr als zwei Monate nach unserem
Besuch, wissen wir nur, dass Save The Children das Zentrum besucht und sich um
den Jungen gekümmert hat. Wir hoffen, dass so schnell wie möglich eine mit dem
Gesetz vereinbare Lösung gefunden wird und solche Fälle sich nicht mehr
wiederholen.

Nachdem wir die
Einrichtung besucht und unser Gespräch mit der Koordinatorin abgeschlossen
haben, gehen wir in den Innenhof und die Gemeinschaftsräume weiter, wo wir mit
ein paar Bewohnern sprechen können. Sofort wird ein grundsätzliches
Unverständnis zwischen ihnen und den Mitarbeitern deutlich, da die Jugendlichen
noch nicht nachzuvollziehen scheinen, warum sie noch nicht versetzt wurden und kein
Datum von der Kommission erhalten haben. Aus ihrer Sicht sind die
Informationen, die sie zu Beginn bekommen haben, nicht korrekt gewesen und nun,
wo sie keine klaren und sogar widersprüchliche Informationen erhalten,
entwickeln sie ein misstrauisches Gefühl gegenüber den Mitarbeitern. Sie
vertrauen uns ihre Zweifel gegenüber dem Vorankommen ihres Verfahrens an und
melden einige Kommunikationsschwierigkeiten mit den Anwälten. Dem was die
Bewohner uns erzählen zufolge, sind wir die einzige Organisation, die sie seit
ihrer Ankunft besucht hat; die Tage sind alle gleich und nichts zu tun zu haben
entmutigt die Jugendlichen sehr. Ihr Wunsch, mehr in die administrativen und
bürokratischen Verfahren involviert zu werden, wird deutlich. Sie fühlen sich
wie Objekte in einer Angelegenheit, in der sie Subjekte sein sollten, die
jedoch von anderen verwaltet wird, die die Informationen nicht mit ihnen teilen
und keine ausreichenden Antworten liefern. Sie fühlen sich machtlos, als wäre
ihr Leben in den Händen von anderen. Zur gleichen Zeit werden sie darum
gebeten, den Mitarbeitern und dem, was sie sagen, zu vertrauen. Dies ist für
die Jugendlichen sehr schwer, da die Dinge sich laufend ändern und ihnen keine
Erklärungen geliefert werden. Um es uns besser verständlich zu machen, wird uns
das Beispiel vom Italienischkurs gemacht: „Der Italienischkurs sollte jeden Tag
stattfinden, aber habt ihr etwas davon gesehen, als ihr heute Morgen angekommen
seid? Nein, und wir wissen auch nicht, warum er nicht stattgefunden hat.“

Giulia
Freddi

Lucia
Borghi

Borderline
Sicilia Onlus

Übersetzung aus dem
Italienischen von Alina Maggiore