Das Geschäft Mineo. Die Lagerangelegenheiten

Abgeschlossen, isoliert, gigantisch: so präsentiert sich in Mineo das Sammellager auf den ersten Blick, Ruhmesblatt von Berluscon und Maroni. Aber es ist auch ein Mischmasch aus Geschäften, Kooperativen und Konsortien, bei dem Millionen und Abermillionen Euro verspielt werden und Tausende und Abertausende Stimmen…
„Das Zentrum von Mineo, in der Provinz Catania, stellt sich als eine Art Nicht-Ort dar, an dem Menschen ihr alltägliches Leben in einem Zustand der Apathie und der Resignation führen. Die Vorstellung, man könnte eine solche Makro-Einrichtung, in der Tausende von Menschen isoliert werden, verwalten, ist ein irrationales Projekt, das Ungemach produziert, Gewaltkreisläufe am Leben erhält, und es ist eine Quelle der Vergeudung öffentlicher Gelder.“ Dessen ist sich der Jurist Fulvio Vassallo von der Universität Palermo sicher, einer der besten Experten der Migrationspolitik in Italien. Das, was nach den Vorstellungen seiner Schöpfer, des Duos Berlusconi-Maroni, ein Vorzeigelager sein sollte, um die Asylsuchenden zu beherbergen, die den Kriegen in Afrika und dem Mittleren Osten entflohen waren, ist ein vielsagendes Beispiel der Kultur der Fremdenangst und offenkundiger Diskriminierung durch die nationale leitende Klasse. Die Ex-Residenz des US-Militärs auf der Basis von Sigonella, umgewidmet zu einem „Luxuslager“ für Migranten, hat das Leben von Tausenden unsichtbar gemacht, indem es den Weg des Leidens und der Hoffnung zunichte gemacht hat. Mineo ist zuallererst ein Experimentierlabor für neue Praktiken der Deportation und Inhaftierung der „Anderen“ und der „Ungleichartigen“. Aber es ist auch das Instrument, um das Modell „Ausnahmezustand Migranten S.p.A.(Aktiengesellschaft)“ festzuschreiben, ein Multimillionen-Geschäft für die großen Konsortien der „sozialen“ Kooperativen, der roten und weißen Süditaliens. „Aus Gründen, die mit dem Standort zusammenhängen und wegen des Faktums, solch einen Fremdkörper in ein ohnehin schon fragiles sozio-ökonomisches Gewebe einzufügen, repräsentiert Mineo eine Einrichtung mit dem hohen Risiko des Rückschritts in Richtung einer Getto-Wirklichkeit, vollständig von der Außenwelt isoliert, wo leicht ernsthafte Phänomene der Marginalisierung und des sozialen Zerfalls produziert werden können,“ prangert eine jüngste Umfrage
zum nationalen Asyl-System an, durchgeführt von ASGI (Vereinigung juristische Studien zur Immigration) in Zusammenarbeit mit CeSPI, Caritas und dem Konsortium Comunitas. Die Verwaltung des Zentrums, bis etwa vergangenen Sommer (durch private Verhandlungen) dem Roten Kreuz Italien anvertraut, war geprägt „alleine und ausschließlich für den Notstand“, ohne strukturierte und systematische Aktivierung der Dienste und der Standards der Aufnahme, die vom Gesetz vorgesehen sind. Wegen seiner Charakteristika der außergewöhnlichen Isolation und des Gigantismus scheint sich Mineo, noch mehr als andere Orte, als ein Zentrum in einem Schwebezustand darzustellen und unbegrenzt, immer potentiell explosiv“, kommentiert die Anwältin Paola Ottaviano von ASGI. Dramatisch ist das SOS „der Gäste“ der Einrichtung. „Im Lager ist es nicht möglich, würdig zu leben“, bestätigt John. W., Nigerianer. „Das Essen ist von übelster Qualität, es gibt Schwierigkeiten in der Kommunikation mit den Rechtsvertretern,einen Mangel an kulturellen Vermittlern und die Unmöglichkeit, das Wohnzentrum aus einer Entfernung von ca. 10 Km zu erreichen. Viele von uns sind Opfer von Misshandlungen und rassistischen Beleidigungen von Seiten der Ordnungskräfte und einiger Arbeiter geworden. Und sie nennen uns oft schwarze Affen“. Verzweiflung und Wut sind die am weitesten verbreiteten Gefühle. Ende Juni hat ein Team von Ärzte ohne Grenzen angeprangert, dass es schon sieben Selbstmordversuche in Mineo gegeben habe. „Unter den Asylsuchenden zeigen sich mit immer größerer Deutlichkeit Depression, Isolierung, Einsamkeit und Verwirrung“, sagen die Ärzte. „Das Gefühl, verlassen zu sein, wächst auch, weil die Zeit der bürokratischen Prozedur zur Erlangung des internationalen Schutzes sich bis zur Maßlosigkeit ausweitet. Mancher wartet seit unendlicher Zeit darauf, von den Unterkommissionen angehört zu werden, die die Asylanträge bewerten müssen.“ Spontan brechen Proteste aus und mehrmals wurden Straßenblockaden durchgeführt. Die Behörden sind gezwungen worden, die Anhörungen zu beschleunigen (bis etwa 10 pro Tag), aber für das Antirassismusnetzwerk Catania, das die Migranten mit rechtlicher und politischer Unterstützung versorgt, ist die Situation „noch immer verworren, die Dolmetscher sind nicht hinreichend vorbereitet und sich des Ernstes der zubehandelnden Probleme nicht bewusst, und die Kommissionen gehen unerbittlich vor, mit einem hohen Prozentsatz an Ablehnungen“. Zum Ersticken ist das Niveau der Militarisierung, dem das Zentrum unterworfen ist. Polizei, Carabinieri und Soldaten der Armee überwachen es 24 Stunden am Tag, und in dieser Zeit haben die Agenten von Frontex unbeschränkte Handlungsfreiheit; die Agenten von Frontex, der europäischen Agentur für die Kontrolle der Grenzen, sammeln im Rahmen der Operation Hermes 2011 vertrauliche Informationen unter den Migranten indem sie so tun, als seien sie Journalisten. Den wahren Journalisten hat dagegen ein Rundschreiben des Ex-Ministers Maroni den Zutritt zu allen Aufnahmezentren Italiens untersagt. Seit dem 18. Oktober ist die Verwaltung des CARA (Aufnahmezentrum für Asylsuchende) an eine Vereinigung übergegangen, die zurzeit von der Kooperative Sisifo aus Palermo geleitet wird, eng verbunden mit der Liga der Kooperativen in Sizilien (Legacoop). Für 24,96€ pro Kopf am Tag, muss sie 2000 „Gäste“ mit Essen, Kleidung und einem Kit für persönliche Hygiene und Übersetzungsdienste versorgen, sozial-psychologische Unterstützung, sportliche und kulturelle Aktivitäten zur Erholung und Unterricht in der italienischen Sprache sicherstellen. Ein enormes Geschäft, 1.497.600€ pro Monat, dank eines ziemlich undurchsichtigen Wettbewerbs um die Auftragsvergabe, abgewickelt in weniger als 14 Tagen im August. Entgegen der Ausschreibung mit öffentlicher Einsichtnahme, hat der handelnde Akteur (die Provinz Catania, einzigartiger Fall in Italien, wo die Verantwortung über die CARA den Präfekturen oder der zivilen Protektion zugestanden wird) nur einige Kooperativen eingeladen, ihre Angebote zu präsentieren, indem er Gebrauch von dem „Notstandsgesetz“ vom 13. Mai 2011 machte, das dieses Vorgehen auch erlaubt für Ausschreibungen von mehr als einer Millionen Euro. Indem man Sisifo einlud, war man sicherlich nicht zimperlich. Durch den Druck der jüngsten gerichtlichen Befragungen hinsichtlich der schlechten Verwaltung der sozialen Dienste auf Sizilien sind tatsächlich der Repräsentant der Kooperative „città del sole“ von Catania, Antonino Novello, Mitglied des Verwaltungsrates des Konsortiums und regionaler Leiter der LegaCoop und Nunzio Parrinello, Provinzberater in Catania gemeinsam mit der MPA (Bewegung für die Autonomie) und Präsident der Luigi Surzo onlus“ von Catania, Gesellschafter von „Sisifo“ erledigt. Im Moment der Ausschreibung für Mineo war dagegen über den General-Vizepräsidenten des Konsortiums, Cono Galipò, bevollmächtigter Verwalter der Gesellschaft, die über Jahre die zwei die Straflager für Migranten auf Lampedusa verwaltet hat, eine Anfrage zur Eröffnung des Hauptverfahrens wegen des Vorwufs auf „schweren und fortgesetzten Betrugs“ mit Blick auf die Verwaltung des Zentrums für Asylsuchende von Sant’Angelo di Brolo (Me) anhängig, das von September 2008 bis Mai 2010 in Betrieb war. Den Untersuchenden zufolge hat Galipò „die Gäste“ gehalten, obwohl die betreffenden Aufenthaltserlaubnisse längst erlassen worden waren, und hat so Sisifo einen „rechtswidrigen Gewinn“ von geschätzten 468.280€ + MWSt. verschafft.
Wenig scheint sich mit dem Wechsel vom Roten Kreuz Italien zu Sisifo verändert zu haben. „Die Verpflegung ist den Migranten weiterhin unbekömmlich!“ erklärt Alfonso di Stefano vom Antirassismusnetz. „Rund um das Aufnahmezentrums nehmen die Blockadeposten der Armee zu, um die Nahrungsmittel, die draußen gekauft werden, zu beschlagnahmen. Die Transporte funktionieren weiterhin nicht und die Geldzuweisung, gerade mal 2 Euro alle zwei Tage, kann nur innerhalb der Verkaufsstellen des Zentrums ausgegeben werden. Wir haben Hinweise über den schlechtenGesundheitszustand vieler Gäste bekommen, weil die Gesundheitsfürsorge mangelhaft bleibt, besonders für die schwangeren Frauen. Die juristischen Berater sind zu langen Wartezeiten an den Toren gezwungen, bevor sie eintreten und den Gästen bei ihren Asylanträgen helfen können.“ In dem temporären Verbund CaraMineo sind auch das Konsortium Sol.Co Valatino von Caltagirone und die römische Kooperative La Cascina (Legacoop) und Domus Caritas beteiligt. Obwohl sie eingeladen waren, ihr Angebot vorzulegen, hat sich niemand an dem Wettbewerb beteiligt. Großzügig wie Sisifo ist, hat es aber daran gedacht, mit hnen das Geschäft „Aufnahme“ zu teilen. Das Vertrauen in die lokalen Kooperativen und insbesondere in Sol.Co (Gesellschafter von Sol.Co Catania und der Bank für kooperative Kredite „Luigi Sturzo“ von Caltagirone) ist unterstützt worden von dem Präsidenten der Generalvereinigung der italienischen Kooperativen (AGCI) Rosario Altieri. „Indem wir Ihnen erneut unsere Unterstützung zusagen, wo immer Sie es für angebracht halten, versichern wir Sie der Unterstützung von zahlreichen sozialen Kooperativen, die unserem Verband eng verbunden sind, die auf dem Gebiet der Provinz Catania aktiv sind…“ lautet eines seiner Schreiben an den Innenminister Maroni vom 14. März 2011. Noch entschiedener ist der Druck im Hinblick auf die Einbeziehung von Sol.Co von Seiten des Präsidenten der Provinz Catania, Giuseppe Castiglione, Regionalkoordinator der PdL. Ein guter Freund von Angelino Alfano, einem Politiker, der 1998 die Schmach der Haft im Zusammenhang mit der Untersuchung zu den Bestechungsgeldern an das Krankenhaus Garibaldi in Catania, erlitten hat. In erster Instanz zu 10 Monaten Haft verurteilt, zusammen mit seinem Schwiegervater Giuseppe Firrarello (Senator der Forza Italia), wurde Castiglione im November 2004 im Berufungsverfahren freigesprochen, „weil kein Straftatbestand vorlag. Seitdem kommt seine Leitungsrolle in der lokalen Politik nur noch seinem Gegenspieler Raffaele Lombardo zu. Einer der umstrittenen Bereiche war gerade jener, in dem es um den „Aufkauf“ der Gefälligkeiten der lokalen Kooperativen geht. Man kann wetten, dass der Präsident der Provinz mit dem Geschäft Mineo dem Präsidenten der Region Sizilien bestimmt ein schönes Paket an Stimmen entzogen hat.
Artikel publiziert in „Die jungen Sizilianer“ – , Nummer 0, Dezember 2011
(Aus dem Italienischen von Rainer Grüber)