#IchZeigeMichAn: Frei, „nein“ zu sagen zu den Dekreten von Orlando-Minniti

Am 20. Juni wurde der Anwalt Gianluca Dicandia, Fachmann für Immigrationsrecht und Aktivist von „Resistenze Meticce“, angezeigt wegen Verunglimpfung der Organe des Staates. Er hatte die Dekrete Minniti-Orlando, vor kurzem als Gesetze verabschiedet, kritisiert. Dies geschah während eines Flashmobs, veranstaltet von Amnesty International anlässlich des Welttags des Geflüchteten auf der Piazza del Pantheon in Rom. Die Aufnahme der Personalien Dicandias durch die Ordnungskräfte fand sofort nach seinem Redebeitrag statt und hat den Protest von vier Personen hervorgerufen, die ihrerseits wegen Gewalt und Bedrohung von Amtsträgern angezeigt wurden.

Borderline Sicilia unterschreibt und verbreitet einen Appell, der von Libertà di Movimento – Europe for all zugunsten der angezeigten Aktivist*innen gestartet wurde.

Es gibt Momente, Situationen, Episoden, die die Geschichte und das politische und soziale Leben eines Landes gestalten. Momente, in denen man eine Schwelle überschreitet, ein Punkt, an dem man nicht mehr zurückkehrt, wo es keine Optionen mehr gibt, nur noch die Notwendigkeit.

Auf seine Weise gehört das, was am vergangenen 20. Juni auf der Piazza del Pantheon während einer Demonstration anlässlich des Welttags der Geflüchteten geschehen ist, in diese Kategorie.

Auf einem bewilligten Platz übt ein Aktivist, ein in Sachen Immigration fachkundiger Rechtsanwalt, harsche und argumentative Kritik an den Dekreten Minniti-Orlando, die kürzlich umgewandelt wurden. Die Reaktion der anwesenden Polizeikräfte ist umgehend; im Anschluss an seinen Redebeitrag fordern sie den Aktivisten auf, sich zu identifizieren. Die Menschen auf dem Platz sind überrascht und protestieren gegen das, was in den Augen vieler ein Missbrauch ist, eine Begrenzung und inakzeptable Verletzung des Rechts auf Redefreiheit, der Gedankenfreiheit und der politischen Kritik, die friedlich, aber ernsthaft und bestimmt ausgeübt werden.

Wie es die Videos im Netz bezeugen, verlangen die Ordnungskräfte von dem Sprecher von Amnesty International, dem Veranstalter der Demonstration, sich von den Inhalten des Beitrags zu distanzieren. Von vier weiteren Aktivisten, die Erklärungen verlangen zu dem was vorgefallen ist und zu den Gründen der Aufnahme der Personalien, werden diese ebenfalls aufgenommen.

In den darauffolgenden Tagen hat diese Nachricht in den Medien und sozialen Netzwerken eine weite Verbreitung gefunden und plötzlich wurden drei parlamentarische Anfragen gestellt, die bis heute unbeantwortet geblieben sind, um Erklärungen zu dem Vorfall zu erhalten.

Das, was eine unangenehme Episode hätte bleiben können, hat sich nach circa drei Wochen in etwas verwandelt, an das wir niemals gedacht hätten, in eine mehr als greifbare Wirklichkeit, in ein Strafverfahren gegen fünf junge Leute.

Die identifizierten jungen Leute haben tatsächlich eine Mitteilung der zuständigen Kommissariate erhalten mit dem Ziel, eine Zustellungsanschrift anzugeben und einen Anwalt zu benennen. Das Kommissariat von Trevi Campo Marzio hat sich die Mühe gemacht, ein detailliertes Protokoll zu verfassen, in dem es verbrecherische Hypothesen zu Lasten der jungen Leute aufstellt. „Verunglimpfung der Republik, der Verfassungsorgane und der bewaffneten Streitkräfte“ für den Aktivisten, der das Wort ergriffen hat, „Gewalt oder Bedrohung gegen einen Amtsträger“ für alle. Die letzte Verurteilung für die Straftat der Verunglimpfung der Verfassungsorgane geht auf die 1970er Jahre zurück.

Wir glauben, dass es grundlegend ist, bestimmt und entschieden auf das zu reagieren, was auf dem Pantheonplatz geschehen ist und in Italien und in Europa geschieht.

Die Möglichkeiten, die demokratischen Räume in unserem Land zu nutzen, werden immer weiter und auf besorgniserregende Art und Weise eingeschränkt; und die Komplizenschaft zwischen einer politischen Macht, die sich für freiheitsgefährdende Gesetze einsetzt und den Ordnungskräften, die sich frei fühlen zu handeln, ohne jegliche Kontrolle, ist schwerwiegend und inakzeptabel. Es ist eine fortwährende Provokation gegenüber denen, die offen ihr Gesicht zeigen und bei Tageslicht friedlich protestieren.

Es ist notwendig, jetzt zu reagieren und zwar gemeinsam. Jeder Raum, der dem freien Denken, der Kritik, dem Dissens, der Auseinandersetzung mit den Regierungen und ihren Vorhaben entzogen wird, ist ein Raum, der unserer Freiheit und unserer Zukunft entzogen wird.

Die Tatsache, dass das, was sich ereignet hat, gerade am Welttag des Geflüchteten geschah und gegenüber einem Aktivisten, der die Auswirkungen der letzten Orlando-Minniti-Dekrete gegen die immigrierte Bevölkerung und gegen die Letzten unserer Stadt kritisiert hat, ist nicht zufällig.

Die Ersten, die von diesen zwei Anordnungen getroffen werden, sind genau die Migrant*innen, die Ausgegrenzten, die Ausgeschlossenen; und in der Folge erfahren diejenigen, die sich öffentlich für den Schutz der Rechte einsetzen, Repression und Einschüchterung.

Wir bitten euch also, diesen Appell zur Verteidigung des Rechts, nicht einverstanden zu sein und der Meinungsfreiheit, des freien Denkens und der Kritik, in Achtung vor dem, was von unserer Demokratie und unserer Verfassung festgelegt ist, zu unterstützen.

Wir bitten Euch, diesen Aufruf als Zeichen der Solidarität mit den angeklagten Leuten zu unterstützen und symbolisch zu sagen „Auch ich zeige mich an“; denn wenn die Regierung und ihre Anordnungen zu kritisieren, die wir für ungerecht halten, als Verunglimpfung betrachtet wird, dann sind wir alle schuldig.

Wir treffen uns am 20. Juli um 18:30 Uhr am Pantheon, um deutlich zu machen, dass wir die Freiheit des Dissens und die Meinungsfreiheit verteidigen: Bringt einen Satz mit, einen Traum, eine Idee, ein Schild.

Für private oder gemeinsame Anmeldungen schreibt an iomidenuncio@gmail.com

Zustimmung / Beitritt:

 

Adif – Associazione Diritti e Frontiere

AOI – Associazione delle Organizzazioni italiane di cooperazione e solidarietà internazionale

Arci Nazionale

Arci Roma

Asgi

Baobab Experience

Be Free – Cooperativa Contro Tratta Violenza e Discriminazioni

Bread & Roses Spazio di Mutuo soccorso Bari

Borderline Sicilia

Casetta Rossa

Carovana delle Periferie

CCP Tufello

Centro Donna L.I.S.A.

CIPSI – Coordinamento di iniziative popolari di solidarietà internazionale

Cittadinanzattiva

Cgil – Roma e Lazio

Clap – Camere del Lavoro Autonomo e Precaria

Coordinamento dei Collettivi La Sapienza

Comitato verità e giustizia per i nuovi desaparecidos

Communia Roma

COSPE Onlus

Csa Astra

Csoa Corto Circuito

Csoa La Strada

Csa La Torre

Decide Roma

Degender Communia

Esc_Atelier

Focus – Casa dei Diritti Sociali

Giuristi Democratici

Greenpeace Italia

Gruppo PaLaDe

Karalò – Sartoria Migrante

Lab! Puzzle

L’Altra Europa con Tsipras

La Boje – Spazio sociale Mantova

Legal Team

Link – Coordinamento Universitario

Link Roma

Loa Acrobax

Lunaria

MGA – Mobilitazione Generale degli Avvocati

Migr/azioni

Ops Castelli Romani

Operatori e Operatrici X – Genova

Partito della Rifondazione Comunista

Resistenze Meticce

Rete Antirazzista Fiorentina

Rete della Conoscenza

Ri-Maflow Fabbrica occupata autogestita Milano

Ri-Make Milano

Sinistra Italiana

Terranostra – verde liberato autogestito Area Nord Napoli

Unione degli Studenti

 

Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Gruber