Minderjährige Flüchtlinge – Wenn die Aufnahme funktioniert: Das „Modell Mazzarino“
Redattore sociale
PALERMO – Für 500 jugendliche Flüchtlinge ist es bisher eine gelungene Aufnahme in der Gemeinschaftseinrichtung „I Girasoli” von Mazzarino, eine Kleinstadt im Landesinneren von Sizilien in der Provinz von Caltanissetta, gewesen. Diese ist mittlerweile ein Vorbild par excellence geworden. Der Verein „I Girasoli” ist seit 2007 Teil des SPRAR (Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati – System zum Schutz für Asylbewerber und Flüchtlinge). Dieser gibt Jugendlichen seit dem die Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen.
Die gemeinnützige Organisation „I Girasoli“ wurde im Jahr 2004 gegründet, um sich um geistig Behinderte zu kümmern. Erst nach einigen Jahren hat sie begonnen, sich um jugendliche Migranten zu kümmern, indem sie das aufgebaut hat, was nunmehr von verschiedenen Seiten als „ die mazzarinische Methode der Aufnahme“ bezeichnet wird. Zur Zeit wird der Verein von Calogero Santoro geleitet.
Er beherbergt 20 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zwischen 16 und 18 Jahren und verfügt über ein spezialisiertes sowie multidisziplinäres Team, bestehend aus 10 Mitarbeitern. Die Jugendlichen kommen aus Eritrea, Mali, Afghanistan und Pakistan. Die Dauer ihres Aufenthaltes ist unterschiedlich: Einige leben seit 6 Monaten in der Einrichtung, einige weniger und einige auch seit zwei Jahren, so wie Sidigue, fast 18 Jahre alt, der ein Berufspraktikum innerhalb seiner Ausbildung macht. Alle Jugendlichen besuchen nur vier Tage nach deren Ankunft einen italienischen Sprachkurs, der in der Einrichtung und am Nachmittag in der Mittelschule abgehalten wird. Andere nehmen an Sport- und Fußballturnieren sowie an anderen verschiedenen Initiativen der Kleinstadt teil. Die Gründerin und Beraterin für interkulturelle Mediation Cettina Nicosiano spricht über die Einrichtung. „Als allererstes hat unsere Aufnahmetätigkeit den Aufbau einer Beziehung zum Ziel“, sagt sie. „Wir sind wenige. Aber wir haben eine hohe Pflichtauffassung bezüglich unseres sozialen Engagements, an die wir sehr glauben, und die wir in den Mittelpunkt stellen, um eine Unterstützung und vollständige Begleitung zu gewährleisten. Die Jugendlichen werden auf diese Weise direkt in alles, was wir machen, miteinbezogen, da die Aufnahme und insbesondere die Beziehung, die Tag für Tag aufgebaut wird, eine sensible Tätigkeit aller Betroffenen ist.” „Wir sind uns über unsere Rolle bewusst, die sicherlich nicht einer Bürotätigkeit gleichkommt, sondern ein Einsatz bedeutet, der energie- und zeitaufwendig in unterschiedlicher Art und Weise ist“ führt Nicosiano fort. „Wir versuchen diesen Jugendlichen insbesondere, die Rechts- und Solidaritätskultur zu vermitteln. Wir gehen mit ihnen auch in Grund- und Mittelschulen, um mit den Schülern einen Dialog herzustellen und über unsere Aufnahmetätigkeit zu sprechen“. „ Es handelt sich nicht um passive Betreuung“, hebt sie hervor, „wir beschränken uns nicht nur auf die Zurverfügungstellung eines Daches, sondern wir stellen den Menschen und seine
Selbständigkeit durch eine gleichberechtigte Beziehung zwischen Jugendlichen und Betreuern in den Mittelpunkt. Im Sozialbereich sind wir daran gewöhnt, mit Zahlen identifiziert zu werden. Die Zahl vernichtet den Wert des Menschen. Die ‚bewusste’ Aufnahme ist eine fortwährende Anerkennung des Anderen, ein Prozess, der viele Energien, viele Menschen, viele Lebensweisen und kulturelle Aspekte in Bewegung setzt. Man kann nicht plötzlich Mitarbeiter bei der Aufnahme werden. Vielmehr bedarf es großer mitmenschlicher Fähigkeiten, eine anthropologische und psychologische Ausbildung, Zusammenhalt.“
„Wenn die Jugendlichen bei uns ankommen, sind diese zu Anfang orientierungslos, aber sie haben große Lust, ein neues Leben zu beginnen und zu arbeiten. Sie besuchen die Schule. Sie werden ausgebildet, wenn es möglich ist. Sie beginnen, in Kontakt zu der Arbeitswelt zu treten. Manch einer geht weg, verlässt Italien in Richtung Europa. Manch einer beschließt, zu bleiben, wie Qari, einer der ersten Jugendlichen, die in „I Girasoli“ aufgenommen worden ist. Der Jugendliche hat, nachdem er Lesen und Schreiben gelernt hat, einen Kurs zur Ausbildung zum multikulturellen Mediator besucht. Er ist sodann von „I Girasoli“ angestellt worden und ist jetzt auch Dolmetscher in Caltanissetta. Es gibt auch Jugendliche wie Noufou (aus Burkina Faso), der zum Tourismusfachmann bei der Berufsschule mit industriellem Lehrbetrieb „E. Maiorana“ di Piazza Armerina“ ausgebildet wurde. Einige Jugendliche sind in Mazzarino geblieben und arbeiten in der Backstube der Konditorei, ein anderer in einem Unternehmen. In Caltanissetta haben wir einen Jugendlichen, der neben seiner Tätigkeit als kultureller Mediator auch ein Kebabimbiss eröffnet hat. Ein weiterer Jugendlicher beschäftigt sich in Enna mit
makrobiotischer Küche.” Concetta Nicosiano äußert sich auch über die sog. „Massenfluchten“, die in anderen Einrichtungen für Minderjährige stattgefunden haben. „Um die Massenflucht zu verhindern, müsste man tatsächlich von der bestehenden Notstandsorganisation zu einem bedeutsameren und strukturierten Aufnahmesystem übergehen“ sagt sie, „wir stellen leider immer noch fest, dass zu viele gesetzliche und politische Hürden bestehen, die die Migranten abblocken. Wenn die Jugendlichen bereits vorhaben, zu Verwandten oder Freunden in andere europäischen Staaten zu gehen, versuchen sie mit allen Mitteln, diese zu erreichen. Bei uns ist aber der Prozentsatz an Jugendlichen, die gegangen sind“, so erzählt sie weiter, „ sehr gering im Verhältnis zu den Jugendlichen, die wir aufgenommen haben. Die Jugendlichen werden begleitet auf ihrem Weg zur sozialen Integration unter allen Gesichtspunkten, und sie werden auch nach dem Aufenthalt durch die Einrichtung betreut. Für viele, die sich in anderen europäischen Staaten befinden, sind wir noch ein wichtiger Bezugspunkt. Wir sind ihre europäische Familie geblieben. So rufen sie uns an, um über ihr Leben im Ausland zu berichten, indem sie uns zu verstehen geben, dass wir für sie wichtig gewesen sind. (set)
Aus dem Italienischen von Thanh Lan Nguyen-Gatti