Bericht aus Lampedusa

Dieser Bericht ist keine Übersetzung der italienischen reports, sondern eine eigene Zusammenfassung der Geschehnisse zwischen dem 30.4. und dem 3.5.2011.

Gegen Mittag landen wir auf Lampedusa, mit einem Tag Verspätung, denn gestern war die Insel wegen Sturm mal wieder von der Außenwelt abgeschnitten. Aktivisten des Vereins Askauvusa – barfuß – holen uns vom Flughafen ab und laden uns zu einem großen 1.Mai-Mittagessen ein. Noch während des Essen erfahren wir von der Mitarbeitern der IOM, dass es eine Anlandung gab. IOM, UNHCR, Save the Children und das italienische Rote Kreuz arbeiten gemeinsam im Projekt PRAESIDUM auf der Insel. Als wir am Hafen ankommen, ist das Boot noch zu sehen, doch die Flüchtlinge sind schon in die Zentren verteilt worden. In Libyen losgefahren sind die 421 Personen aus diversen afrikanischen Ländern zum Teil auf ein Schiff der Guardia di Finanza umverteilt worden. Kurz darauf informiert uns ein Mitarbeiter der MSF (Ärzte ohne Grenzen), dass gegen 18 Uhr ein weiteres Boot erwartet wird, das aber schon gegen 17 Uhr ankommt – wieder Flüchtlinge, die in Libyen gestartet sind und auf eine Einheit der Guardia di Finanza umgebootet wurden, vom Flüchtlingsboot ist nichts zu sehen. 130 sind es diesmal. Am Abend erfahren wir von der Ankunft eines kleinen Bootes mit 16 Personen aus Tunesien. Insgesamt haben am 1.5.2011 1026 Personen in fünf Anlandungen Lampedusa erreiecht, wie uns MSF am nächsten Tag bestätigt. Am gestrigen Tag, 30.4.2011, gab es ebenfalls mehrere Anlandungen, z.T. direkt auf der Insel (ohne Intervention des Küstenwache oder der Guardia di Finanza). Gegen Nachmittag des Vortages waren zudem 715 Flüchtlinge aufgelesen und direkt auf das Marineschiff „Flaminia“ umgebootet worden, ohne dass sie überhaupt einen Fuß an Land setzen konnten. Eigentlich sollte die „Flaminia“ sofort noch mehr Flüchtlinge aus den Zentren aufnehmen, doch die See war für diese Aktion zu rau, so dass die anderen an diesem Tag angekommenen Flüchtlinge erst einmal ins Zentrum gebracht wurden. Die 715 mussten allerdings eine Nacht auf dem schaukeligen Schiff ausharren, bis es dann am Nachmittag des 01.05. mit weiteren 800 Passagieren beladen ablegte. Unter ihnen befinden sich 11 Minderjährige (laut Ärzte ohne Grenzen/UNHCR), die ins sizilianische Porto Empedocle gebracht werden sollen, 450 sind für Mineo (Sizilien), 100 für Pozzallo (Sizilien) und 750 für Crotone (Kalabrien) bestimmt, wie wir erst nach unserer Rückkehr erfahren. Im Hangar von Porto Empedocle, einem Zwischenlager, nicht mehr als eine Halle, befinden sich nun 170 Personen. Auf der „Flaminia“ habe es nach Aussagen von IOM keinerlei Identifizierung der Passagiere gegeben, es seien nur medizinisches Personal an Bord gewesen.

Alle Passagiere der “Flaminia” seien Afrikaner/innen aus dem Subsahararaum gewesen, wurde uns berichtet.
Lampedusa, 02.05.2011

Wir machen einen kurzen Abstecher an die “stazione marittima”, dem Hafengebäude am Fährhafen. Dort treffen wir, ungehindert von den Ordnungskärften, auf ca. 50 (es können auch deutlich mehr sein, wir können nicht in das Gebäude hinein) afrikanische Flüchtlinge, augenscheinlich aus Somalia, Eritrea, aber auch aus anderen Ländern. Sie schlafen auf Schaumgummimatratzen, eine neben der anderen, auf dem Boden.

Es sind die gestern Angelandeten, die nicht mehr ins Zentrum gebracht wurden, da dort der Platz fehlte. Wir begeben uns erneut zur Küstenwache, wo wir eine Verabredung mit dem Kommandanten Morana haben. Er informiert uns, dass die Fähre der Moby-Lines, die vor dem Hafen kreuzt, ca. 1700 Flüchtlinge aufnehmen sollen, die sich noch auf der Insel befinden. Ein Gespräch mit MSF bestätigt, 1744 Flüchtlinge befinden sich noch auf Lampedusa.

Ein Besuch im Zentrum Contrada Imbriacola, der eigentlichen Erstaufnahme ampedusas, bestätigt, dass die Flüchtlinge abtransportiert werden sollen. Hier und im zweiten Zentrum, der ex-Nato Basis Loran werden die Flüchtlinge auf den Abtransport vorbereitet. Contrada Imbriacola ist nicht zugänglich als Lager, schon auf der Straße dorthin werden wir von Carabinieri und Soldaten abgefangen. Doch wir haben einen guten Vorwand: wir wollten den zuständigen Polizeikommissar sprechen, da wir aus Deutschland die Vollmacht einer Frau erhalten haben, die ihren eritreischen Cousin vermisst. Wir wollen erfragen, ob er hier registriert wurde. So lässt man uns zumindest in den vorderen Teil des Lagers ein, massenhaft Soldaten und auch Soldatinnen sowie andere Sicherheitskräfte bevölkern den Vorplatz. Unter den Bäumen sehen wir Plastikplanen als Dächer, darunter, auf der Erde, Flüchtlinge, die neben vier wilden Hunden dort schlafen (müssen). Dieser Geschichte gehen wir später nach. Der Kommissar ist nicht zu sprechen, und so begeben wir uns nach einer kurzen Mittagspause an die Loran-Basis, die – sonst auch absolut abgschottet – ganz still und ruhig im vom Sandsturm immer gelber werdenden Himmel auf der Spitze der Insel liegt. Alle sind mittlerweile abtransportiert worden an den Hafen. An der “stazione marittima” finden wir dann auch Hunderte von Afrikanern vor, Frauen und Männer, die sich im Regen unter das Dach drängeln, Handtücher gegen den nasskalten Wind um sich geschlungen. Die Polizei hält und auch hier nicht auf, der Wolkenbruch hilft uns, wir mengen uns zwischen die Flüchtlinge, dennoch argwöhnisch beäugt von mehreren Polizisten, so dass wir keine Gespräche beginnen können. Alles ist voller Abfall, es werden immer mehr Menschen. Immerhin gibt es nun einen Sanitärcontainer. Gegen 17 Uhr gelingt es der Fähre endlich im Sturm anzulegen und die Menschen werden nach und nach auf das Schiff gebracht. Erst nach 20 Uhr verlässt die “Vincent Moby” den Hafen, Richtung Apulien, wie uns der Zuständige des Zivilschutzes berichtet. Warum aber mussten die Flüchtlinge im Zentrum Imbriacola draußen auf dem Boden schlafen? Mit 1744 Flüchtlinge, verteilt auf zwei Zentren, dem Hafen und noch einer weiteren Anlage im Naturschutzgebiet wäre Platz für alle gewesen, Unsere Kollegen aus Lampedusa und Palermo, die am 29.4. und 30.4. das monitoring machten, berichten, dass die Ankünfte in der Nacht vom 29.4. unglaublich schlecht gemanagt wurden. Letztendlich mussten die Beobachter einspringen, den durchnässten Flüchtlingen Tee und Kekse bringen und sich um sie kümmern. In der Nacht wurden sie dann nach und nach in das Zentrum Imbriacola gebracht, doch sie durften nicht in die Zimmer, sondern mussten – Frauen und Kinder ausgenommen – draußen schlafen. Im hinteren Trakt, gesichert durch einen zweiten Zaun, waren ca. 100 Magjrebiner untergebracht – sie sollten nicht mit diesen in Kontakt kommen. Statt die wenigen Tunesier zu verlegen hat man diese in einem Trakt mit ca. 600 Schlafmöglichkeiten (laut MSF) gelassen, die Flüchtlinge, die aus Libyen angekommen waren, mussten jedoch draußen bleiben! Die Angst, dass die Tunesier rebellieren, da viele von ihnen abgeschoben werden sollen, wollte man nicht eingehen. Auf Kosten der völlig erschöpften afrikanischen Flüchtlinge.

Laut einem Dekret des Innenministerium können alle Tunesier, die nach dem 5.4.2011 angekommen sind, abgeschoben werden, alle, die vor dem 5.4.2011 angelandet sind erhalten in der Regel einen zeitweiligen Aufenhalt. Nun scheint es aber in Lampedusa unter den ca. 100 Tunesiern einige zu geben, die entweder einen Asylantrag gestellt haben oder Anrecht auf diesen Aufenthalt haben – MSF berichtet uns, dass ca. 30 Tunesier seit mehr als 25 Tagen auf der Insel sind, sie werden nicht verteilt, nicht abgeschoben, gar nichts passiert. Es scheint sich um Asylsuchende zu handeln, denn sie sind nicht in der hintern geschlossenen Abteilung untergebracht. Wir haben versprochen, uns darum zu kümmern, warum diese Menschen immer noch hier sind.

Am 3.5. werden 45 der ca. 90 Tunesier nach Bologna und Gradisca geflogen und dort in den jeweiligen Abschiebunghaften inhaftiert. Warum nicht mehr direkt von Lampedusa abgeschoben wird ist uns nicht klar. Der Vertrag mit der tunesischen Regierung spricht von nicht mehr als 800 Personen, die sie zurücknehmen würden, Anfang Mai sind ca. 650 abgeschoben worden. Am Abend des 3.5.2011 erhalten wir die Bestätigung, dass sich noch 45 Tunesier auf Lampedusa befinden, angeblich soll es in den nächsten Tagen auch keine Abschiebungen geben. Wie wir erfahren haben erhalten die Tunesier bei der Abschiebung im Flugzeug einen Bescheid, der die Abschiebung als “Zurückweisung” deklariert, positiv, weil sie damit keine Einreisesperre erhalten, negativ, weil kein Richter sich mit dieser Abschiebung beschäftigt hat und es damit auch keine Klagemöglichkeiten gibt.

Die Organisation INMP, ein nationales Institut für Gesundheit von Migranten und zum Kampf gegen Armutskrankheiten macht ein 8-wöchiges Projekt auf Lampedusa. Alle hier arbeitenden Organisationen verstehen nicht so wirklich, was sie da eigentlich machen. Wir verbreden uns mit dem Leiter, einem Arzt aus Palermo, der uns das Projekt in seinem “Büro” erklärt: 20 Projektmitarbeiter im Schichtdienst haben ihre Schreibtische im Raum der Dekompressionskammer im lampedusanischen Poliambulantorium aufgeschlagen…Das Projekt ist initiiert vom Ospedale Civico in Palermo, das auch die meisten Ärzte stellt. Neben der psychosoziologischen Recherche, wie die Lampedusaner die Flüchtlinge aufnehmen (es werden Interviews gemacht, die die Ängste der Lampedusaner aufzeigen sollen) befinden sich die Ärzte und das medizinische Personal sowie die Dolmetscher an der Mole und machen die akute Erstuntersuchung. Völlig unklar, wieso, denn MSF und der örtliche Gesundheitsdienst tun dies ebenso. Der Leiter spricht viel von Befragungen der Flüchtlinge über die Fluchtursache, alle Verletzungen etc. werden aufgeschrieben und fotografiert, damit man – das ist das Ziel – eine “task force” bilden kann, die in ganz Italien und weltweit einsetzbar ist. Aufgrund der Verletzungen und der Krankheiten, die sich die Flüchtlinge auf der Flucht zugezogen haben, soll festgestellt werden, welche Ärzteteams man in welche Länder zu bestimmten Einsätzen schicken soll (Länder, in denen Frauen beschnitten werden: Gynäkologen etc.) Uns scheint das Ganze a) mit wenig Hand und Fuß, b) in acht Wochen schlecht zu erkunden und c) nicht weit genug gegriffen. Sie untersuchen keine Krankheiten, die die Flüchtlinge sich schon im Herkunftsland zugezogen haben und die man genau behandeln müsste, wenn man “task forces” vor Ort schickt… Alles in Allem scheint das alles nicht wirklich wichtig, doch das Gesundheitsministerium sowie die sizilianischen Abteilung für Gesundheit in der Regionalregerung scheinen da viel Wert drauf zu legen. Dass erschöpfte Flüchtlinge nicht mal ein Bett und ordentliche Verpflegung auf der Insel erhalten scheint nicht von Interesse.

Am Abend treffen wir uns nach einem Tag des unermüdlichen Hin und Hers im Hotel eines Zivilschutzbeamten auf der Insel. Antonio Rulli soll mit seinen Kollegen die Fragen der Migration mit allen Beteiligten (Polizei, Küstenwache etc.) koordinieren. Noch haben sie kein Büro auf der Insel, was die Arbeit etwas erschwert. Seit dem 13.4.2011 ist der Zivilschutz per Erlass von der italienischen Regierung eingesetzt, die Verteilung der Flüchtlinge und Migranten in ganz Italien zu organisieren. Entscheidungen wie das Umbooten der Flüchtlinge auf ein Schiff der Marine z.B. trifft nun der Zivilschutz, nicht das Innenminsterium. Rulli bestätigt uns die Abfahrt von 1600 Flüchtlingen, 100 seien auf der Insel verbleiben, und wir sind sicher, dass es sich um die Tunesier handelt…