Die Mafia Agrigents und das Geschäft mit den Migrant*innen

ilgiornale.it – Die Provinz Agrigent ist vielleicht diejenige, die mehr als alle anderen die mit Immigration verbundenen Phänomene erlebt: Geisterankünfte, die sich auch außerhalb der Sommerzeit ereignen, Ordnungskräfte unter Druck, besonders, wenn der Strom der Migrant*innen in Richtung Küste dieses Gebietes ansteigt, Dörfer, in denen die Anwesenheit wichtiger Erstaufnahmeeinrichtungen eine gewisse soziale Unruhe schaffen, wie im Fall von Siculiana.

Aber es gibt auch noch einen anderen Aspekt, noch beunruhigender und leider sowohl auf Sizilien wie im übrigen Italien nicht neu: das Business. Dies geht auf der einen Seite zu Lasten der Migrant*innen, auf der anderen Seite zu Lasten der Sicherheit der Bürger*innen.

Die Cosa Nostra, stellvertretend für die ganze Mafia, bewegt sich nur dort, wo es wichtige ökonomische Interessen gibt: Die großangelegte Polizeiaktion „Montagna“ vom 22. Januar dieses Jahres, bei der 56 Personen verhaftet wurden und die eine der wichtigsten Operationen gegen die Mafia in der Provinz Agrigent darstellt, hat unter anderem auch die Interessen krimineller Organisationen am Business Migration enthüllt.

Die Teilchen des Puzzles, die die Verflechtungen zwischen Mafia und Migration in der Provinz Agrigent betreffen, sind in den vergangenen Stunden größtenteils enthüllt worden. Tatsächlich kursierte seit dem späten Mittwochabend in den lokalen Medien eine der wichtigsten Nachrichten aus dem Justizbereich, die die Stadt der Tempel in den letzten Jahren tangierte: Die Rede ist von der Reue des Giuseppe Quaranta. Er wurde bei der Operation „Montagna“ verhaftet, war aber vor allem Ex-Mafiachef von Favara, eine der wichtigsten Kommunen im Hinterland von Agrigent.

Seit Anfang 2010 mit der Cosa Nostra verbunden, hat er bis 2014 die Angelegenheiten der Mafiafamilie seines Ortes verwaltet. Dann wurde er „abgelegt“, ein Begriff, mit dem im kriminellen Umfeld jemand bezeichnet wird, der von seinem Posten abgesetzt wird. „Ich hatte es satt“, so liest man im Protokoll des Verhörs vom 29. Januar. „So habe ich mich von niemandem finden lassen bis sie mir schließlich gesagt haben, dass ich nicht mehr im Dienst von Francesco Fragapane (unter den Chefs in der Provinz Agrigent der Wichtigste, AdR) stehe.“ Der Neu-Reumütige sprudelt wie ein Wasserfall: Er nennt die Namen der aktuellen Chefs der Cosa Nostra in der Provinz Agrigent und erklärt die Organisation der kriminellen Vereinigung, aus welchen Familien und aus wie vielen Gemeinden jeder einzelne Bezirk besteht. Vor allem aber hat er ein wichtiges Thema verbunden mit dem Phänomen Migration angesprochen. Auf die Frage nach erpresserischen Aktivitäten, die ihm bekannt sind oder von ihm ausgeführt wurden, hat er sich auf zwei Episoden bezogen, und eine von ihnen betrifft die Aufnahmeeinrichtungen für Migrant*innen: „Mit Giambrone und Morgante (zwei wichtige Chefs aus dem Hinterland von Agrigent) haben wir Nicht-EUler erpresst“, bestätigt er in seiner Befragung. „Immer, wenn Giambrone einen ‚Neger‘ sah, sagte er mir, dass da 45€ herumlaufen.“

Kurz gesagt: Zwischen direkten Erpressungen und Gefälligkeiten, die von den Kooperativen, die die Aufnahme der Migrant*innen verwalten, eingefordert wurden, hat die Cosa Nostra in der Provinz Agrigent darauf abgezielt, im Mittel fast 50€ pro Geflüchteten zu kassieren. Das Interesse der Mafia an diesem Business-Aspekt der Aufnahme wurde dank der oben zitierten Operation „Montagna“ vollständig enthüllt. Wenn man die Verfügungen durchforstet, die nach jener Polizeiaktion herausgegangen sind, tauchen dort zum ersten Mal Namen von Kooperativen und Gesellschaften in den Unterlagen auf, die Aufnahmezentren verwalten. Insbesondere wird ein Erpressungsversuch gegenüber einer Einrichtung von Favara bestätigt. Durch die Untersuchung ist aber auch eine andere Geschichte ans Licht gekommen, in der umgekehrt der Eigentümer einer Aufnahmeeinrichtung nach Vertretern der Mafia gesucht hat, um Geschäfte anzubahnen.

Dass die Mafia durch Ausbeutung an dem Aufnahme-Business verdient, wird folglich nicht allein durch die Schutzgeldzahlungen und Erpressungen deutlich, sondern auch durch die Identifizierung von Einrichtungen, die zur Verwendung geeignet sind sowie durch die Möglichkeit, eigene Leute als Mitarbeiter*innen unterzubringen. Dieses letzte Element gehört vielleicht zu den Wichtigsten: In einer Provinz wie Agrigent, wo der Mangel an Arbeit auch die Rolle der Cosa Nostra als „Vermittlerin“ von Posten und Beschäftigungen in Schwierigkeiten bringt, kann es für kriminelle Sippschaften manchmal lebenswichtig sein, Zugang zu der Verwaltung der Aktivitäten der immer zahlreicher werdenden Aufnahmeeinrichtungen zu haben.

Durch die Operation wird „Montagna“ deutlich, welches Ansehen die Bosse genießen. Es entspringt aus ihrer Möglichkeit auf schnellere Art alle bürokratischen Vorgänge bezüglich der Eröffnung neuer Zentren zu erhalten. In dem schon erwähnten Vorfall mit dem Verantwortlichen der Kooperative, der sich wegen der Suche nach geeigneten Einrichtungen an Mafiosi wandte, ist zum Beispiel auch seine Anfrage nach „Unterstützung“ für das Erhalten aller notwendigen Erlaubnisse seitens der Kommune aufgetaucht.

Austausch von Gefälligkeiten, Erpressungen, Schutzgeld, festgelegt auch auf der Grundlage der Anzahl der in der Einrichtung beherbergten Migrant*innen – es wird immer deutlicher, dass die Cosa Nostra in der Provinz Agrigent die Hauptfigur auf dem einzig florierenden Markt der zerrütteten Wirtschaft dieser Region Siziliens ist. Die Bosse haben jetzt erkannt, dass der einzige Sektor, der zumindest für den Moment hierzulande keine Krise kennt, die Aufnahme ist. In der ganzen Provinz Agrigent ist die Zahl der Zentren vor allem ab 2013 gestiegen: fast jede Kommune beherbergt jetzt eine Einrichtung dieser Art. Die Cosa Nostra will anscheinend den Einstieg in die einzige lohnenswerte Branche nicht verpassen, um die lokalen Wirtschaft in der Hand zu haben.

Mauro Indelicato

Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Grüber