Die Toten die helfen Wählerstimmen einzufangen

Der Wahlsonntag ist kaum vorbei, doch die wirklich wichtigen Nachrichten werden unter einer Glasglocke gehalten, um sie bestmöglich zu verstecken. Auch heute, wie bereits seit Jahren, gibt es zahlreiche Tote zu beklagen und man wird Zeuge der Übergabe von über 500 Personen an die lybische Küstenwache. Unter ihnen zahlreiche Kinder und sogar Syrer*innen, deren Ankunft in deutschen und italienischen Städten dank der Verteilungsquoten und der humanitären Korridore noch vor wenigen Monaten bejubelt wurde.

Der Hotspot in der Gegend Imbriacola, auf Lampedusa

L’hotspot di Contrada Imbriacola, a LampedusaUnser Meer spuckt, als wäre es übersättigt, Männer und Frauen auf die libyschen Strände. Italien unterzeichnet menschenrechtswidrige Abkommen, um die Menschen nach Libyen zurück zu bringen. Der der es schafft, die Gefahren der Natur zu überwinden, darf trotzdem nicht italienischen Boden betreten. Anders erging es den Menschen, die am 12. Juni in Lampedusa und Palermo eingetroffen sind. Zustände, die sich an den beiden Orten völlig unterscheiden , welche jedoch von einem gemeinsamen Schicksal geeint werden: gastfreundliche Einheimische und Institutionen, die nicht wissen wie zu handeln.

Die letzten Ankünfte in Palermo
In Palermo- wo von der Caritas aufgenommene Personen sich seit 15 Tagen in völliger Notlage befinden- hat die Präfektur noch keinen Plan für die Unterbringung, weil die Regierung die Verlegung von 500 Migrant*innen blockiert hat. Um diese „Unannehmlichkeiten“ zu beheben, hat die Präfektur beschlossen, die Eröffnung jener Einrichtungen zu beschleunigen, welche den Zuschlag der letzten Ausschreibung zur Betreibung der Aufnahmeeinrichtungen erhalten haben. So sollen die Verlegungen in den nächsten Tagen eingeleitet werden, um die Erstaufnahmeeinrichtungen zu entlasten. Einige Personen wurden in Einrichtungen in den Bergen untergebracht, die für ihre isolierte Lage bekannt sind. Meist entfernen sich die Bewohner*innen schnell von dort und verlieren so ihren rechtlichen Status innerhalb des staatlichlen Aufnahmesystems. Zusätzlich steigt so die Anzahl der Personen in der Einrichtung der Mission Speranza e Carità an (von Biagio Conte ins Leben gerufen), welche mehr als 850 Bewohner*innen zählt.

Die Probleme und das Chaos produzieren immer mehr „Unsichtbare“, eine Konsequenz oder auch eine gewollte Strategie eines Systems, das darauf zielt Situationen der Ausbeutung entstehen zu lassen.

Dem Heer der Unsichtbaren schließen sich die Jugendlichen an, die sich von den sizilianischen Einrichtungen entfernen, auf der Suche nach ihrem Glück im Angesicht der Tatsache, dass ihr Leben von einer nicht zu enden scheinenden Bürokratie voller Hindernisse blockiert wird. Hinzu kommen, wie bei der letzten Landung von Palermo, Ehemänner und Kinder, die von ihren Frauen und Müttern getrennt sind und sich mit ihren Angehörigen vereinen wollen, da die Präfekturen offensichtlich nicht in der Lage sind, die Zusammenführungen von Familien zu garantieren. Sie werden schließlich den zurückgelassenen Abgewiesenen folgen, die mit ihrem Ausreiseschein in den Bahnhöfen Zuflucht suchen in den Tagen nach ihrer Ankunft.

Lampedusa: Nordafrikaner*innen stehen an für ihre Rückführung

Die Situation in Lampedusa
Auf der Insel, die bereits im Juni von Tourist*innen in Beschlag genommen wird, werden regelmäßig Flüge über Rom oder Palermo für die Rückführung von Ägypter*innen, Nigerianer*innen und Tunesier*innen organisiert. Die letzten in der chronologischen Reihenfolge waren vor 15 Tagen 19 Ägypter*innen und 20 Tunesier*innen in der vergangenen Woche. Jede Person wurde in Handschellen von mindestens zwei Beamt*innen in ein Flugzeug der Gesellschaft Smartwings begleitet.

Obwohl auf Lampedusa der Betreiber der Hotspots gewechselt ist, scheint sich die Situation sogar verschlechtert zu haben. In der vergangenen Woche liefen Menschen im Stadtzentrum in Schlafanzügen herum, weil die Kleidervorräte zur Neige gegangen waren und nicht genügend Betten und Decken zur Verfügung standen, wodurch die Ankömmlinge gezwungen waren im Freien zu schlafen. Mal wieder mussten die Kirchengemeinde, sowie das Forum solidale Lampedusa einspringen und so die Löcher eines Systems stopfen, das wie ein Sieb erscheint. Wie in Palermo und auch in anderen Städten sind es die Freiwilligen und die Aktivist*innen, die eine weitere Verschlechterung der Situation verhindern.

Unmenschliche Behandlung von Toten und Lebenden: die unvermeidlichen Konsequenzen der improvisierten Aufnahme

Auch den Toten kann das Aufnahmesystem in Sizilien weder Respekt noch Würde garantieren. Die Leichen der vier eritreischen Jugendlichen, die am 16. Januar 2017 verstarben, wurden in einem mangelhaften Kühlschrank aufbewahrt, um schließlich im Friedhof von Valderice (TP), rund 5 Monate nach der Bergung aus dem Meer, beigesetzt zu werden.

Valderice (TP): Die Beerdigung eines jungen Eritreers, der mit anderen am 16. Januar im Meer gestorben ist

Trotzdem werden morgen weitere Menschen ankommen und Mütter werden nach Informationen zu Kindern fragen, die niemals angekommen sind oder in der Wüste umgebracht wurden. Was sollen wir ihnen antworten, außer von Wahlergebnissen oder Fußballspielen zu erzählen, im Angesicht der Tatsache, dass es das ist, was die Journalist*innen berichten, um uns von dem täglichen Sterben abzulenken.

Alberto Biondo
Borderline Sicilia

Übersetzung aus dem Italienischen von Giulia Coda