Von Sutera bis Riace: Musterbeispiele einer widerständigen Aufnahme

Das von Intoleranz und Rassismus geprägte Klima, das Italien durchstreift, ist überall zu spüren, selbst in den kleinen, regionalen Ankunftszentren, den SPRAR*. Von Sutera bis Milena, von Mazzarino bis Miese stellen diese Stätten der Begegnung und Integration ein ermutigendes Projekt für Provinzen und Regionen dar. Sie sollen eine alternative Art der Aufnahme ermöglichen, mit dem Versuch, Normalität im sozialen und existenziellen Kontext herstellen.

Ein Stückchen Sutera, Provinz Caltanissetta – Foto von Silvia di Meo

Schweres Attentat auf Migrant*innen und Menschen, die für eine echte Willkommenskultur kämpfen

Im April dieses Jahres ist die Vereinigung „I Girasoli“ Opfer einer feigen Gewalttat geworden. Die Vereinigung mit Sitz in Sutera – eine kleine Ortschaft mit 800 Einwohner*innen im Herzen Siziliens – betreibt in dessen Zentrum ein SPRAR. Sie nutzte für den täglichen Transport der Migrant*innen einen Kleinbus, der somit einen wesentlichen Bestandteil für den Erfolg des Projektes darstellte. In der Nacht von Ostersonntag wurde dieser Kleinbus angezündet. Die Ermittler haben festgestellt, dass es sich um eine vorsätzliche Brandstiftung gehandelt hat, konnten die Täter*innen jedoch noch nicht finden.

Ein Sprecher von “I Girasoli”, Calogero Santoro, gab folgende Stellungnahme dazu ab: “Sie haben den Kleinbus der Migrant*innen in Brand gesetzt, nicht den Kleinbus von “I Girasoli”. Er gehörte nicht uns, sondern den Migrant*innen, was jeder wusste. Es war kein Eiswagen oder ein Schulbus. Alle wussten, wofür er täglich genutzt wurde. Es war ein klares rassistisches Attentat.“ Santoro zufolge war das Zusammenleben bis zu diesem Zeitpunkt friedlich verlaufen. „Es herrscht jedoch ein diffuses Klima der Straffreiheit. Das legitimiert Gewalttaten. Die Dinge haben sich geändert“, sagt er. Ihm zufolge ist diese Tat in einem Gesamtkontext der erklärten Intoleranz gegenüber Ausländer*innen und Migrant*innen zu betrachten, die jede gewaltsame Aktion und jeden hasserfüllten Diskurs gegen sie gesellschaftsfähig macht.

Die Antwort auf die entsetzliche Tat kam aus ganz Europa: Mit einer solidarischen Umarmung und einer Crowdfunding-Kampagne, um einen neuen Transporter zu finanzieren.

Die Hoffnung von Santoro ist, dass durch die warmherzige Solidarität, die sich nicht nur anhand der Spenden, sondern auch anhand der Unterstützung im Internet gezeigt hat, Nachahmer davon abhält, ähnliche, rassistisch motivierte Gewaltverbrechen im Raum Caltanissetta zu wiederholen.

Gerade in Caltanissetta hatten sich SPRAR*-Projekte etabliert, die beispielhaft für eine alternative Aufnahme stehen, die dazu fähig ist, menschenfeindliche Ideologien in der Praxis zu bekämpfen. Nicht nur Sutera, auch Mazzarino und Milena mit seinem Projekt gezielt für unbegleitete Minderjährige, sowie Riesi, Anlaufstelle für syrische Familien, die mit einem humanitären Korridor aus den Resettlement-Projekten angekommen sind.

Santoro erklärt, dass sämtliche Projekte sich auf das Konzept der Normalität stützen. „Unser Ziel ist es, dass es für Geflüchtete und Asylsuchenden normal sein soll, an einem sicheren Ort zu leben, geregelte Aufenthaltstitel zu haben und sich einen Werkzeugkasten zu bauen, mit dem sie ihren Integrationsweg weiter bestreiten können.“ Die dezentrale Aufnahme erlaubt die Rückgewinnung der Würde auf Grundlage eines normalen, alltäglichen Lebens, sozialen Beziehungen und familiärer Intimität, die zuvor von der Brutalität in Libyen ausgelöscht worden waren. Calogero Santoro und Santina Lombardo von „I Girasoli“ unterstreichen, dass der Aufenthalt in SPRAR* zeitlich begrenzt ist. Umso mehr sollte er für das Erlernen einer Selbstständigkeit genutzt werden, um den Migrant*innen ein selbständiges Führen ihres Lebens in Italien oder im Ausland zu ermöglichen. Beide verstehen eine gelungene Aufnahme nicht so sehr im reinen Helfen, sondern in einem Prozess, der die Migrant*innen zu Akteur*innen macht, ihre Eigenschaften und Fähigkeiten wertschätzt und die Verwirklichung von eigenen Lebensentwürfen eines jeden zum Ziel hat. Aus diesem Grund sehen solche Projekte die Einbindung von Migrant*innen in Wohn- und Arbeitskontexte vor, die durch die SPRAR in Caltenissetta mittels Wohngeld und Projektarbeit unterstützt werden. Diese Maßnahmen haben diversen Migrant*innen ermöglicht, verschiedenartige Arbeitskontakte im Gebiet rund um Caltanissetta zu finden.

Von Riace bis Sutera: Best practices, die eine rassistische und fremdenfeindliche Politik auslöschen will

Eine Aufnahmekultur, die so verstanden wird, ist der Ausdruck eines möglichen Zusammenlebens von Einheimischen und Migrant*innen. Das zeigt beispielhaft die Erfahrung von Riace: dem Beispiel dieses Projekts folgend sind die ausgestorbenen Kleindörfer Siziliens wiederentdeckt und die Kulisse für die Begegnung, für neue Entwicklungen und kulturellen Reichtums geworden. „Sutera hat ein neues Antlitz erhalten, sie ist eine ganz andere Stadt geworden. Der negative Trend des Geburtenrückgangs und der im Verhältnis hohen Sterberate ist umgekehrt worden. Nunmehr kommen erheblich mehr Kinder auf die Welt, dies hat der Stadt zu einer neuen Lebendigkeit verholfen. Die Straßen sind wieder belebt. Diese Projekte haben zu einer Aufwertung des kulturellen Lebens geführt, indem Events organisiert werden, die die verschiedenen Kulturen zelebrieren. Auch die Schulen profitieren von neuen Bildungsangeboten“ berichten Santoro und Lombardo. Alles in allem erleben die Einwohner*innen ebenso wie die Migrant*innen eine Normalität und die Reaktivierung ihrer Infrastruktur.

Diese Perspektive für das Zusammenleben versteht Migrant*innen als Ressource im Wiederauferstehen der örtlichen Kultur. Das bedeutet, dass die neu Hinzugekommenen nicht aufgerufen werden, sich an die bestehenden Begebenheiten anzupassen. Anstelle dessen werden sie aufgefordert, sich aktiv an ihnen zu beteiligen und ein neues soziales Miteinander zu gestalten.

Diese Experimente stehen im direkten Gegensatz zu einer behördlichen Aufnahme, die die Entziehung von Rechten vorsieht und die Assimilation verlangt. Vielmehr schaffen die benannten Projekte eine neue, erstrebenswerte Realität mit vielerlei Vorzügen. Riace stellt unter der Leitung von Mimmo Lucano mehr als nur ein bekanntes Beispiel für gelungene Integration dar: es ist zum positiven und beispielhaften Labor für kulturelle Koexistenz geworden, in der Bürger*innen und Ausländer*innen gemeinsam aktiv und produktiv teilhaben. Leider ist Riace durch die Streichung des SPRAR-Projekts durch das Innenministerium bedroht. Das zuständige Verwaltungsgericht hat diese unrechtmäßige Maßnahme jedoch wieder rückgängig gemacht.

Ein Graffito in Riace – Foto von Silvia di Meao

Es ist also deutlich geworden, dass diese hervorragenden Projekte nicht nur durch heimliche Gewaltverbrechen von Unbekannten gefährdet werden, sondern auch als Musterbeispiele durch die nationale Politik bedroht sind, weil sie Widerstand leisten und ein Gegenstück zu dem repressiven und strafenden Abdriften darstellen.

Die Zerschlagung des SPRAR-Systems und die Einschränkung des Zugangs zum Asylsystem durch die Maßnahmen des Sicherheitsdekrets sind bereits in Kraft getreten sind. Das Projekt „I Girasoli“ beherbergt aktuell lediglich 24 Personen. Möglich wäre aber doppelt so viele. Vielen Migrant*innen ist in dieser Situation eine wirkliche Integration im Sinne einer sozialen, juristischen und menschlichen Normalität verwehrt, in der sie selbstbestimmt ihr Leben, ihre Arbeit und ihre Selbstständigkeit verfolgen könnten. Ihnen wird faktisch die Möglichkeit zum Wohlergehen genommen. Stattdessen steht ihnen ein Leben in aufenthaltsrechtlicher Unsicherheit auf der Straße bevor, in sozialer Isolation und Ausbeutung. Schon jetzt verlassen Asylberechtigte aus Furcht vor der Zukunft infolge des Dekrets ihre Projekte, um irgendeinen schnellen Job zu finden. Diese Entscheidung ist nachvollziehbar vor dem Hintergrund, dass sie durch die Gesetzeslage faktisch erzwungen wird. „Verloren geht hierbei der bisher erschlossene Reichtum der Bildungs- oder Weiterbildungsangebote der SPRAR*. Rechte, die mit enormen Mühen erkämpft wurden, gehen so progressiv verloren“ behauptet Santoro. Den sehr hohen Preis für dieser repressiven Linie zahlen die Migrant*innen.

Im Schatten der vielen Projekte wie die „I Girasoli“ in ganz Sizilien, die Werkstätten einer gelebten Integration und des Zusammenlebens darstellen, wächst das Schreckgespenst der Illegalität und Marginalisierung heran und gewinnt an Kraft. Gegen dieses für Migrant*innen und Einheimische spürbare und unaufhörliche Wachsen von Unsicherheit müssen wir beständig Widerstand leisten, bis zu der Einsicht, dass ein normales Leben das erwünschte Ziel aller für alle wird.

 

Silvia Di Meo

Borderline Sicilia

 

*SPRAR – Sistema di protezione per rifugiati e richiedenti asilo: Schutzsystem für Asylsuchende und Geflüchtete, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis (keine staatliche Verpflichtung), ca. 3000 – 3500 Plätze in ganz Italien. Soll zur Integration der Geflüchteten dienen.

Übersetzung aus dem Italienischen von Alma Freialdenhoven