Khadims endlose Nacht

„Wie geht es dir, Bruder? Kann ich dich auf einen Kaffee einladen? Ich würde mich freuen, dich auch nur kurz wiederzusehen. Ich bin in Palermo, weil ich meine Aufenthaltserlaubnis verlängern muss.“

Saisonarbeiter*innen auf dem Land rund um Foggia

Nachdem er im Alter von nur 13 Jahren aus seiner geliebten Elfenbeinküste geflohen war, nachdem ein Onkel seine ganze Familie aus finanziellen Gründen ausgelöscht hatte, musste er sich einer Reise stellen, die von Missbrauch, Gewalt und Zwangsarbeit geprägt war.

Als er mich wieder sieht, drückt er mich fest in seine mächtigen Arme. Sein ansteckendes Lächeln ist durch die lange Narbe von seinem rechten Ohr bis zu seiner Unterlippe entstellt, eines der Geschenke der libyschen Folterer.

Khadim hat viele Narben an seinem Körper, denn wegen seiner mächtigen Gestalt wurde er von Menschenhändlern umkämpft um zur Zwangsarbeit eingesetzt zu werden, und für jede Ablehnung gab es eine Strafe, einen Stich, Schläge, die auf ihn niederprasselten.

Khadim sah mehrere Menschen vor seinen Augen sterben: „Mein Freund, weißt du, ich kann nachts immer noch nicht schlafen. Ich gehe zum Arzt, wie du es mir gesagt hast, aber die Alpträume verschwinden nicht. Ich sehe Demba, Amed, die kleine Fathia, die schreien, und dann höre ich ihre Schreie immer schwächer werden bis zur Stille, einer tödlichen Stille, die mich immer noch bedrückt. Du hast mir gesagt, dass sie mit der Zeit vergehen würden, aber nein, sie gehen nicht weg.“

Ich drücke seine mächtigen Hände und sage ihm, er solle nicht aufgeben, weiterhin auf die Ärztin hören, und dass ich hoffe, dass er eines Tages Ruhe finden wird. Mir wird bang als ich diese Worte ausspreche, denn ich bin mir nicht sicher, ob all die schrecklichen Geschichten von Khadim oder vielen anderen tatsächlich eines Tages aufhören. Es ist schwer für mich, wie für andere Sozialarbeiter*innen, die jeden Tag schreckliche Geschichten hören, ohne diese Erfahrung selbst gemacht zu haben. Ich wage mir nicht vorzustellen, wie man sich mitten in der Nacht fühlen muss, wenn Erinnerungen durch die Stille verstärkt werden.

Denken die Politiker*innen jemals über all das nach? Die Erfahrungen dieser Menschen, die Folterungen und Traumata, die sie in Körpern und Seelen hinterlassen?

Khadim erzählt wie ein Wasserfall, er erzählt mir von den Schwierigkeiten, die er in Foggia erlebt, wo er in dem Wissen ausgebeutet wird, dass dies der einzige Weg ist, Geld zu verdienen. Wir lachen, dass sie ihm etwas mehr zahlen als den anderen, weil er groß und gewaltig ist. „Mein Leben ist weiterhin ein endloser Kampf, von 5 bis 19 Uhr. Mein Rücken ist kaputt, aber ich kann nicht aufhören, es wartet bereits eine endlose Schlange an Ersatz für die Bosse. Wenn man langsam ist, tauschen sie einen aus, und jeder weiß, wie es funktioniert: Polizei, Aktivist*innen, Gewerkschaften. Aber nichts ändert sich. Warum ist Italien so schlecht zu uns?“

Er zeigt mir einige Fotos und Nachrichten von seinen Freunden in Foggia, Nachrichten der Verzweiflung, Hilfeersuchen, die ungehört bleiben. Die Polizei zerstört die Baracken und die Nächte des Schlafens im Freien werden eine Konstante: „Wir sind die Unerwünschten in der Nacht, weil sie sagen, dass wir öffentliches Land besetzen. Zelte und Baracken dürfen nicht da sein, aber tagsüber auf dem Land sieht uns niemand, dort werden wir unsichtbar.“

Und diese Unsichtbaren sterben, sie sterben weiterhin im Schweigen aller: 1500 in den letzten Jahren in Italien, auf unseren Feldern, 1500 Morde im Auftrag des Staats, ein stiller Krieg gegen die Schwächsten und Wehrlosesten. „Mein Bruder, ihr baut weiterhin Mauern in Europa, gebt weiterhin Geld und noch mehr Geld aus, um euch vor was zu schützen? Weißt du, wie viele Kilometer Mauer ihr bereits habt?“

„Ich habe keine Ahnung, Khadim, aber die größte Mauer, die wir haben, ist die in unseren Herzen.“ Und er betont: „Mehr als tausend Kilometer Mauer um Europa, eine Festung, die nicht sieht, wie viele Menschen im Meer sterben, wo es niemanden mehr gibt, der uns rettet. Ein weiterer Cousin von mir ist tot, ich habe seit Tagen nichts mehr von ihm gehört. Es waren 50 von ihnen, und niemand ging los, um ihnen zu helfen, weder die libyschen Attentäter noch die italienischen Auftraggeber.“

Ich nicke, und ich verstehe, dass er sich wahrscheinlich auf das x-te Massaker bezieht, bei dem wir mehr als 50 Menschen haben sterben lassen. Das Alarm Phone wurde auch um Hilfe gebeten, und dessen Tätigkeit ermöglicht es uns, annähernde Kenntnis von Informationen zu erlangen, die das Massaker in Libyen und auf See bestätigen.

Kürzlich erreichte uns die Nachricht, dass drei weitere Jungen, Samuel, Solomon und Melake, an TBC gestorben sind, nachdem sie die Reise der Hoffnung versucht hatten und von der libyschen Küstenwache in eines der 5-Sterne-Hotels, die auch von Italien finanziert werden, zurückgebracht worden waren. „Alberto, jetzt wird es ein Massaker an Brüdern geben, die, wenn sie nicht kämpfen, mit einem Schuss getötet werden. Und da steht ihr hinter diesem Abzug, ihr habt es zugelassen, dass wir in die Hölle zurückgebracht werden. Jetzt werdet ihr weiterhin sagen, dass Libyen sicher ist, sie benutzen meine Brüder, um euren Ölkrieg zu kämpfen, es wird ein Massaker mit euren Waffen geben, und meine Brüder werden sterben.“ Nach Quellen des UNHCR wurden einige Migrant*innen mit militärischen Uniformen ausgestattet und ihnen wurde Freiheit im Tausch für den Kampf versprochen – offensichtlich also keine freie Wahl. Unter ihnen seien auch viele Minderjährige.

Der gutherzige Riese senkt den Kopf und weint, bedeckt sein Gesicht, will sich nicht zerbrechlich zeigen, will nicht die Last von 20 Jahren voller Schmerzen teilen. Die Stille schafft Raum zwischen dem Klang von Tränen, und so lege ich meinen Kopf auf seinen und sage ihm, dass er völlig Recht hat, wütend zu sein, aber dass wir weiterhin Gerechtigkeit fordern und mit der Leidenschaft kämpfen müssen, die er und viele andere für das Leben zeigen. Ein Leben, das ständig gefährdet und verachtet wird von unseren Herrschenden, die für eine Handvoll Stimmen weiterhin vorgeben es wäre nichts, ohne Scham für die Widersprüche, die sie verkörpern: Einerseits fördern sie „traditionelle Familien“ mit einem beschämenden Kongress wie dem in Verona und andererseits wollen sie die Familien an Bord der Alan Kurdi trennen. Sie wollten nur Frauen und Kinder an Land bringen, während die Väter auf dem Schiff bleiben sollten.

Drei Stunden voller Leben mit einem kleinen großen Mann und mit einem erneuten Termin, um zusammen zur Polizei zu gehen, mit dem Versprechen, uns zu sehen, wenn er wegen der Olivenernte nach Campobello kommt, und mit der üblichen Bitte: „Bruder, hör nicht auf zu kämpfen, schließlich seid ihr viel mehr, als ihr denkt. Lasst diesen Mob nicht gewinnen. Ich kann nicht mehr im Schatten und in Angst leben, dafür reicht mir die Nacht.“
Bis bald, Khadim.

Alberto Biondo
Borderline Sicilia

Übersetzung aus dem Italienischen von Gabriella Silvestri