Die ehemalige Kaserne Gasparro und der Rione Bisconte: Zerfall und Verwahrlosung

Die Lage in der ehemaligen Kaserne Gasparro im Stadtviertel Bisconte in Messina verschlechtert sich zusehends, insbesondere jetzt nachdem seit Ende September zu dem schon vorhandenen Aufnahmezentrum eine neue Einrichtung hinzugekommen ist – Container und Fertighäuser, die offiziell als Hotspot* dienen.

Messina – Die Einrichtung der ehemaligen Kaserne in Bisconte

Hier gibt es zwei Einrichtungen, die von zwei verschiedenen Genossenschaften geführt werden. In der Mitte des Areals befindet sich das außerordentliche Aufnahmezentrum (CAS*), das von der Genossenschaft Senis Hospes geführt wird und das bis zu 200 Bewohner*innen in drei großen Räumen aufnehmen kann. Auf der anderen Seite des Metallzaunes, der die beiden Einrichtungen trennt, befindet sich der Hotspot*, der von der Genossenschaft Badia Grande geführt wird und der aus Fertighäusern für insgesamt 250 Menschen besteht. Um in den Bereich zu gelangen, wo sämtliche Identifizierungsaktivitäten verlagert wurden, die zuvor direkt nach der Ankunft am Hafen von Messina stattfanden, muss ein von Polizeikräften überwachtes Tor durchquert werden.

Der Kontakt zwischen den Bewohner*innen der zwei Zentren ist faktisch nicht vorhanden. In der Tat haben wir festgestellt, dass die Migrant*innen kaum wissen, was auf der jeweils anderen Seite des Zaunes passiert. Im CAS* werden hauptsächlich Männer aus den Gebieten südlich der Sahara untergebracht, die als potenzielle Asylsuchende klassifiziert wurden. Im Hotspot* dagegen, der zurzeit leer steht, waren überwiegend Männer und Familien aus Nordafrika untergebracht, d.h. Menschen, die als Wirtschaftsgeflüchtete klassifiziert wurden und daher mit einem Ausweisungsbescheid rechnen müssen.

Obwohl die Arbeiten an den Gebäuden gerade erst beendet wurden, kann man durchaus sehen – sogar von außen -, dass die Sicherheitsbestimmungen offensichtlich ungeeignet sind: Es gibt tatsächlich nur einen Notausgang und wenn man bedenkt, dass die Anzahl der Bewohner*innen auf mehr als 600 angestiegen ist, wird sofort klar, dass es fast unmöglich ist, im Notfall angemessen zu reagieren. Außerdem, wie uns von mehreren Bewohner*innen berichtet wurde, stehen im CAS* die Stockbetten so nah beieinander, dass der Zugang äußert erschwert wird und darüber hinaus dadurch die Privatsphäre gleich Null ist. Schlussendlich wird die Unwirksamkeit der Arbeiten ganz klar durch die Erzählungen vieler Bewohner*innen des CAS* belegt. Aufgrund starker Regenfälle wurden neulich die Räume überschwemmt und deswegen mussten viele Migrant*innen auf Feldbetten in großen Zelten schlafen.

Schon durch eine flüchtige Betrachtung von außen fällt die Bedenklichkeit der Organisation der Einrichtungen auf: Gemeinschaftsräume existieren nicht; die Migrant*innen müssen ihre Wäsche auf dem Zaun aufhängen; einige Toiletten sind chemische Klos und – wie uns berichtet wurde – steht Warmwasser nur für einige Stunden am Tage zur Verfügung. Außerdem werden Kleidung und Schuhe nur bei der Ankunft verteilt und die Migrant*innen bekommen im Laufe ihres Aufenthaltes nichts Neues zugeteilt. In der Tat sieht man in der Stadt Bewohner*innen des CAS*, die trotz des Rückgangs der Temperaturen immer noch Sommerkleidung tragen. Dieser Aspekt ist bedenklich nicht nur wegen der Entmenschlichung der Migrant*innen, sondern auch bezüglich der Hygiene. Etliche junge Migrant*innen haben uns Hautrötungen gezeigt und sich über auf dem ganzen Körper verbreiteten Juckreiz beschwert.

Aus den gesammelten Aussagen geht ferner das Problem der Verspätung im Ausfüllen des Antrags auf Asylschutz hervor. Solange diese Prozedur nicht eingeleitet wurde, dürfen die Asylsuchenden sich nicht im it. Gesundheitssystem anmelden. Somit haben sie zu ärztlicher Behandlungen und Medikamente nur als zeitlich begrenzt wohnhafte Ausländer*innen* Zugang. Aber auch hier werden die Migrant*innen nicht von den Mitarbeiter*innen der Aufnahmeeinrichtung unterstützt. Uns wurde erzählt, dass mehrere junge Männer, die krank waren, eine Lösung außerhalb des Zentrums suchen mussten, beziehungsweise warten mussten, bis sie in eine andere Einrichtung verlegt wurden.

Die Wartezeiten sind extrem lang und hinzu kommt ein schwerwiegender Mangel an rechtlichem Beistand: Anhand der gesammelten Aussagen vergehen mindestens drei Monate nach dem Einzug in das CAS* bevor der Asylantrag gestellt wird. Das Warten scheint die einzige Vorgabe zu sein, ohne jegliche Hinweise oder Erklärungen.

In diesem Durcheinander, wo die Aufnahme schlecht funktioniert und das Wohl der Bewohner*innen immer erst an zweiter Stelle steht, fällt die Ausgabe des Taschengeldes auch nicht positiv auf. Wir haben schon öfters festgestellt, dass die Einrichtungen auf Sizilien immer wieder Phantasie beweisen, wenn es darum geht, die berüchtigten 2,50 € pro Tag an die Asylsuchende auszuzahlen. Manche haben sich für Zigaretten entschieden, andere für Pre-Paid-Karten, die ausschließlich an den Snack-Automaten in den Zentren funktionieren. Senis Hopes hat sich hingegen für die Variante „Essensgutscheine“ entschieden. Die Konsequenzen dieser Entscheidung sind katastrophal: In den Supermärkten bilden sich unglaublich lange Schlangen und das hat in einigen Fällen dazu geführt, dass die Ladeninhaber*innen sich weigern, die “Essensgutscheine” zu akzeptieren. Es scheint schwierig mit 2,50 € etwas Vernünftiges einzukaufen und daher werden die Gutscheine weiter verkauft, um sich dann mit dem gewonnenen Geld das zu kaufen, was man möchte. Das erzeugt also, könnte man/frau sagen, Schwarzmarkt, aber auch Betteln, weil die 2,50 € nicht reichen, um über dem Notminimum hinaus irgendeinen Bedarf zu decken.

Die Bewohner*innen der ehemaligen Kaserne sind gezwungen tagtäglich mit den negativen Aspekten einer notdürftigen Aufnahme zu leben, in einer Ungewissheit, in der das Warten ohne Ende zu sein scheint. Dieses ewige Warten fördert die Bereitschaft der Mehrheit der Gäste, das Zentrum zu verlassen, um der Apathie zu entkommen, aber gleichzeitig erschwert dieser Schritt weiter den Weg der Anerkennung des Asylschutzes und dem damit verknüpften Integrationsprozess. Schwer zu sagen, ob das nur die Folge oder sogar das Ziel des Wartens ist. Es ist ein Teufelskreis, der auf der einen Seite nur Illegalität und auf der anderen Seite Hass, Xenophobie und Vorurteile produziert.

Diese Lage spiegelt sich in den verschiedenartigen Protesten, die sowohl von den Bewohner*innen des Viertels Bisconte, als auch von den Migrant*innen durchgeführt wurden, um ihren Missmut zu äußern.

Obwohl er von den Medien nicht wahrgenommen wurde, fand der letzte Protest der Migrant*innen am 6. November aufgrund der Überschwemmung des Zentrums statt. Der Protest fruchtete jedoch nicht, die Lage hat sich nicht geändert.

Der Unmut der Bewohner*innen dieser Gegend wurde zuletzt am 19. Oktober geäußert, als diese auf die Straße gingen und mit Müllcontainern den Platz vor der ehemaligen Kaserne blockierten, woraus sich eine stark angespannte Stimmung entwickelt hat. Ziel des Protests war das Erreichen größere Sicherheit und Schutz für die Bewohner*innen des Viertels, die unter anderen schon seit langen um die Wiedereinschaltung der Straßenbeleuchtung kämpfen. Die Bewohner*innen fühlen sich durch die Präsenz der nicht willkommenen Migrant*innen immer mehr bedroht.

In der Tat wurden das CAS* und der Hotspot* in einem Viertel angelegt, das schon seit Langem mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat: Bisconte ist ein Gebiet, das von den Institutionen vernachlässigt wurde und das schon seit Langem und mit Nachdruck, leider ohne Erfolg, nach einer Aufwertung verlangt.

Es ist nicht hinzunehmen, dass immer wieder Entscheidungen getroffen werden, die paradoxerweise bar jeder Vernunft sind, wo hingegen schon der gesunde Menschenverstand Lösungen vorschlägt, die ein gutes Funktionieren der Aufnahme garantieren und den erhofften Weg der Integration begünstigen würden.

Im Fall von Bisconte hat eine vorherige und notwendige Bewertung der Realität des Viertels komplett gefehlt: In einem Kontext, der von sich aus durch Vernachlässigung und

Zerfall gekennzeichnet war, wurden sogar zwei Einrichtungen eröffnet, die in sich weitere Schwierigkeiten und Problematiken bargen, die den im Viertel schon vorhandenen Missmut noch gestärkt haben.

Viola Gastaldi
Sara Ravasio

Borderline Sicilia

* CAS- Centro di accoglienza straordinaria – Außerordentliches Aufnahmezentrum

* Hotspot – Ein Registrierzentrum für Flüchtlinge im Schengener Raum

* STP (Straniero Temporaneamente Permanente = zeitlich begrenzt wohnhafte Ausländer*innen

Aus dem Italienischen von A. Monteggia übersetzt