Messina: große Zeltstadt für Migrant*innen in der Ex-Kaserne „Gasparro“ – Ausschreibung bereits im Amtsblatt der Republik mit einem Auftragsvolumen von 1.932.000 Euro und dennoch…

aus Stampalibera.it

Es wird nur noch ein paar Monate dauern für die Umfunktionierung der Ex-Kaserne Gasparro in Messina (im Viertel Bisconte) in eines der größten „Aufnahmezentren“ Italiens für Migrant*innen, die auf eine eventuelle Umplatzierung in andere Aufnahmezentren Europas oder (für die überwiegende Mehrzahl von ihnen) auf die Abschiebung in ihre Herkunftsländer warten.

Dutzende Zelte und Container sollen neben dem Kasernengebäude installiert werden, wo seit drei Jahren bis zu 200 junge Migrant*innen untergebracht werden. Dadurch kann die Zahl der „Gäste“ verdrei- oder vierfacht werden. Das berüchtigte und gescheiterte Aufnahmemodell von „Mineo“ wird damit unweit des historischen Zentrums von Messina aufs Neue angewendet.


Foto: Enrico di Giacomo – stampalibera.it

Am 13. Juni 2016 wurde folgende Ausschreibung in der Gazzetta Ufficiale, dem Amtsblatt des italienischen Staates, publiziert: „Lieferung, Installation, Transport, Montage und Demontage einer zeitlich befristeten Infrastruktur bestehend aus Zelten, vorfabrizierten Bauteilen, Zäunen, Toren, Unterständen, Möblierung und Beschilderung für die Aufnahme von Migranten auf dem Gebiet der Kaserne Gasparro in Messina“. Laut der Ausschreibung soll der Vertragspartner den Unterhalt der Einrichtung für zwei Jahre sicherstellen. Der Gesamtbetrag beträgt 1.932.000 Euro plus Mehrwertsteuer, davon gehen 1.921.000 Euro an die Lieferung und die Erstellung der Einrichtung und der Rest an die sonstigen betrieblichen Aufwendungen und an die Sicherheit. Der letzte Eingabetermin für die Offerte des Auftrages war am 1. Juli. Aber bis heute ist nicht bekannt, ob das Verfahren für die Vergabe abgeschlossen wurde. Die Arbeiten sollten innerhalb von 70 Tagen nach Vertragsunterzeichnung ausgeführt werden.


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Das Innenministerium hat dafür die Invitalia S.p.A. ausgewählt, die nationale Agentur für die Förderung von Investitionen und Entwicklung der Unternehmen, die zu 100% vom Ministerium für Wirtschaft gestützt wird, die als Zentrale für die Ausschreibung arbeitet. Der alleinige Verantwortliche für das Verfahren ist der Anwalt Cristiano Galeazzi.

Invitalia S.p.A. unter dem Vorsitz von Claudio Tesauro (er ist gleichzeitig Präsident der NGO Save the Children Italia, Mitglied des Verwaltungsrates von TNT Post Italia S.p.A. und bis 2013 Mitglied des Aufsichtsrates von Save the Children International) hat zuvor zusammen mit der Innenministeriumsabteilung für Bürgerrechte und Immigration eine Konvention unterschrieben, die beinhaltet, „die Verbesserung des Aufnahmesystems und die Hilfeleistungen für Migrant*innen zu unterstützen“.

Zu diesem Zweck hat Invitalia im Februar eine Ausschreibung veröffentlicht „zur notwendigen Erhebung und funktionalen Projektierung für die Anpassung und Umwandlung der Räumlichkeiten der Ex-Kaserne Gasparro in ein Empfangszentrum für Migrant*innen“.

Für die Projektleiter*innen wurde eine Entschädigung von 138.000 Euro festgelegt, eine Summe, die um mindestens 149.000 Euro zu tief angesetzt sei – so heißt es im Schreiben an Invitalia vom 4. April 2016 der Architektenvereinigung der Provinz Messina, unterschrieben haben ihr Präsident Giovanni Lazzari und der Koordinator für öffentliche Arbeiten Filippo d’Arrigo.

Am 7. April wurden die Forderungen der Architektenkammer zurückgewiesen und die Agentur hat unter dem Vorsitz von Claudio Tesauro das Datum des 14. April 2016 der Eingabefrist erneut bestätigt.

Der Ordnung halber sei erwähnt, dass am 20. April auch die nationale italienische Kammer der Architekt*innen, Landschaftsarchitekt*innen, Planer*innen und Konservator*innen (CNAPCC) von Rom interveniert haben. Sie haben vergeblich gefordert, dass „mit einem Aufschub nötige Abklärungen getroffen werden müssen zur Neuformulierung der Ausschreibung. Andernfalls sollten alle Möglichkeiten geprüft werden, um die Wiederanwendung der bisher geltenden Gesetze zu erreichen“.


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Außencontainer für Bäder und Duschen – Foto Enrico di Giacomo – stampalibera.it


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Auf diesem Areal der Ex-Kaserne Gasparro werden Dutzende Zelte und Container installiert – Foto Enrico di Giacomo – stampalibera.it


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Eigentlich hätte die Wahl der Projektverantwortlichen zur Hoffnung auf eine Wiederinstandsetzung und Verbesserung der bereits bestehenden Gebäude Anlass gegeben, die sich auf dem großen Areal der ehemaligen Kaserne der italienischen Streitkräfte befinden. Die Ausschreibung vom 1. Juli zeigt nun aber die zynische Absicht der Regierung das Ganze wiederum als Notfallmaßnahme zu behandeln, was das unsichere und prekäre Unterbringungssystem für Geflüchtete in Messina weiterhin fortführt. Noch schlimmer ist die Tatsache, dass sich das Ganze im Schweigen und somit mit der Zustimmung der Präfektur von Messina zuträgt, die sich im Oktober 2013 zur Einrichtung der Zwillings-Zeltstadt auf dem Baseballfeld der Universität des Viertels Conca d’Oro sehr kritisch geäußert hat. Auch die Gemeinderegierung von Messina blieb stumm, obwohl sie sich damals für die Umwandlung der Infrastruktur der Ex-Kaserne in ein erschwingliches Wohnquartier eingesetzt hatte.


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In der Ausschreibung werden keine genauen Zahlen genannt. Aber es ist durchgesickert, dass der Hub von Bisconte zwischen 500 und 1000 Migrant*innen aufnehmen soll.

Die Europäische Union, die Agentur Frontex und die italienische Regierung sind daran, die Modalitäten zu überprüfen, mit denen in den kommenden Jahren den „Migrationsflüssen“ zu begegnen ist. Es ist absehbar, dass die Ex-Kaserne in Messina die gleichen Funktionen wie Mineo, Pozzallo und Lampedusa übernehmen wird, das bedeutet, die Halbgefangenschaft der Migrant*innen, die auf ihre Umplatzierung oder Abschiebung warten.

Im europäischen Umfeld sind diese Einrichtungen mit dem beunruhigenden Begriff „hotspot“ versehen worden. Unter der gerichtlichen Zuständigkeit von Frontex und der europäischen Polizeibehörde EASO (European Asylum Support Office) werden die Migrant*innen sofort einem Identifizierungsverfahren zugeführt (Fotographie, Fingerabdrücke, auch gewaltsam) „mit dem Ziel eines screenings, das die asylberechtigten von den abzuschiebenden Personen unterscheidet“.


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Seit Monaten wird Bisconte unter augenfälliger Missachtung der Gesetze und des internationalen Rechts durch einen eigentlichen Coup der Präfektur von Messina (und der offensichtlichen Komplizenschaft der Kommunalbehörden) in ein Erstaufnahmezentrum für unbegleitete Minderjährige zurückverwandelt.

Bröckelnde Mauern, Metallzäune überall, Außencontainer mit Toiletten und Duschen (siehe Foto), nur drei Säle, zum Wohnen eingerichtet mit hundert Kajütenbetten dicht nebeneinander, machen aus dieser Einrichtung ein Monument der Schande ganz Italiens, was die Solidarität und Aufnahme von Migrant*innen betrifft.

Ein „Lager“, das an böse Zeiten erinnert, wo Überbelegung, Mangelhaftigkeit und geschlechtliche Vermischung überhand nehmen und die Tage der jungen „Gäste“ mit dem vergeblichen Warten auf nichts vorbeigehen. Eine Vorhölle, ein Nichtort, an dem Menschen unerträglich lange, für Monate und Monate festgehalten werden. „Die Absonderlichkeit der Einrichtung und der Mangel an Dienstleistungen, die dieses Zentrum charakterisieren, sind Zeichen für ein Aufnahmesystem, das nicht nur die Gesetze und Menschenwürde missachtet, sondern das zudem schwerwiegende Konsequenzen für das Leben der Migrant*innen hat“, berichtet die Nichtregierungsorganisation Borderline Sicilia, nach ihrem dortigen Besuch im März 2016. Gleiches berichten Journalisten, Parlamentarier und andere Nichtregierungsorganisationen, wie die Kampagne LasciateCIEntrare, die Gruppe Migralab „A. Sayad“ und Arci, die Associazione Ricreativa e Culturale Italiana.


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Seit dem 1. Dezember 2016 wird das Zentrum von den beiden Kooperativen Senis Hospes von Senise, Potenza und Domus Caritatis in Rom betrieben und vom Unternehmer der Gesamtrenovation Benedetto „Benny“ Bonaffini vertreten, dem Ass im Migrant*innenbusiness von Messina. Die beiden Kooperativen haben Ende Juni die Ausschreibung der Präfektur für erwachsene Migrant*innen gewonnen (sie erhalten 30 Euro pro Tag und Bewohner*in während eines Jahres). Aber die Übergabe fand erst vor einem Monat statt. Die Offerte der beiden Kooperativen war um 10.7% günstiger (26.79 Euro statt 30 Euro pro Migrant*in) und die technischen Posten brauchten nur 53.4 Punkte von den 60 budgetierten. Neben all der Mängel in den „Lagern“ von Bisconte und Annunziata sind die zwei Kooperativen auch im Zentrum von gerichtlichen und journalistischen Untersuchungen. Vom vorherigen Betreiber haben sie zudem hunderte von unbegleiteten minderjährigen Migrant*innen übernommen, deren Aufnahmebedingungen weit strengeren Regeln unterstellt sind und für die nicht weniger als 45 Euro pro Tag budgetiert sind.


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In den Szenarien des „Notfalles“ ist, wie alle wissen, alles möglich, auch die fundamentale Missachtung der Menschenrechte, der Einhaltung von Gesetzen und des gesunden Menschenverstandes. Mit dem Hub-Hotspot 2017 kandidiert Messina für ein rücksichtsloses Experimentierlabor, wo die Identität und Bedürfnisse der Personen zunichte gemacht werden.

Antonio Mazzeo

Übersetzung aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne