Ihnen ist das Feiern verboten

Erinnert ihr euch an Jamel, Loti, Nashreddine, Nassim, Rabah und Ramsi?

Diejenigen in unserem Land, welche seit jeher gegen kriminelle Gesetze und willkürliche Haft kämpfen, erinnern sich bestimm an sie.
In der Nacht vom 28. zum 29. Dezember 1999 waren im Zentrum für befristeten Aufenthalt CPT* Serraino Vulpitta in Trapani bei einer Feuersbrunst sechs Personen zu Tode gekommen.
Unterschiedliche Namen, unterschiedliche Regierungen, aber alle sind sich einig in der Politik der Grenzschließung. Nur nichts verkünden oder unternehmen, was dem Geist der Konsumgesellschaft widerspricht, die unsere in ihren Ängsten immer häufiger gefangenen Familien beherrscht, und Menschenleben in Libyen kostet, auf dem Meer und in der Wüste, im Namen eines vorgetäuschten Wohlstands. Heutzutage wird hemmungslos und ohne Scham den Schiffen mit geretteten Menschen an Bord die Anlandung verweigert und mitten im Meer zurückgelassen als Emblem des Untergangs unserer Menschlichkeit.

Ja, die 33 von der Sea Watch geretteten Personen können nicht feiern. Die NGO hat die Sünde begangen, diese Vergessenen unserer Geschichte nicht sterben zu lassen: es sind Frauen, Männer und Kinder, die wir schon lange geopfert haben. Seit Weihnachten sind sie den Wellen und der Kälte des Mittelmeeres ausgeliefert – doch von der Kirche haben wir keine Exkommunikationen der Ausführenden dieser Verbrechen vernommen!

Wir wollten nicht, dass die 2216 Personen, die 2018 auf der Mittelmeerroute den Tod gefunden haben, die Festtage erleben können. Die Schätzung für das Jahr 2018 wurde von der Internationalen Organisation für Migration veröffentlicht. Es ist mehr als unangenehm zu hören, dass diese Menschen aufgrund von 378 Konflikten weltweit migrieren, wegen der 186 gewaltvollen Auseinandersetzungen und der zwanzig bestehenden Kriege. Verantwortlich ist auch der Verkauf von Waffen, die wir zivilisierte Länder auf der Welt verteilen um Demokratie mit Toten zu exportieren.

S. kann nicht feiern. Er ist noch nicht volljährig und ringt seit zehn Tagen mit dem Tod, nach dem er auf dem Fahrrad von einem Auto angefahren wurde. Er war Gast in einem Aufnahmezentrum für Minderjährige in Marsala. Seit dem Inkrafttreten des neuen Sicherheitsgesetzes war er ständig in Angst und darum von morgens bis abends auf Arbeitssuche. Er war verzweifelt alles zu verlieren, wofür er in Libyen gelitten hatte. S. ist im Spital, aber die Ärzte haben seinem Bruder und den Verantwortlichen seines Aufnahmezentrums keine Hoffnungen gemacht. Der Bürgermeister Marsalas, sein Tutor, hat keine Zeit gefunden, ihn zu besuchen.

Der ebenso minderjährige K. hat zu Weihnachten nicht gefeiert. Das gleiche menschenverachtende Gesetz hat ihn gezwungen, Freunde, Beziehungen und Zukunftspläne aufzugeben. Er ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen und da er am 1. Januar (wie so viele!) 2019 volljährig geworden wäre hätte er seinen Status als Minderjähriger und die Aufenthaltserlaubnis verloren. Darum hat er sich entschieden, unsichtbar zu werden und weiter zu reisen in ein anderes Land.

Es sind viele, die in den letzten Monaten freiwillig die Aufnahmezentren verlassen haben. Anderen ist ihre Aufenthaltserlaubnis widerrufen worden, vor allem im Zeitraum zwischen der Verkündung des Sicherheitsdekretes und seiner Umwandlung in ein Gesetz. Einige Präfekte haben von der Verwirrung profitiert und unzählige Personen auf die Straße gesetzt. Es wird geschätzt, dass 43’000 Personen mit einer Spitze zwischen August und Dezember 2018 ihren Aufnahmestatus verloren haben.
Einige Beispiele: In den Monaten zwischen August und Dezember ist die Zahl der in Aufenthaltszentren untergebrachten Menschen in Palermo von 1750 auf 1300 gesunken. Die Abschiebungen haben um mehr als das Doppelte zugenommen (von 560 im Jahre 2017 auf 1250 im Jahre 2018). In Trapani sank die Zahl der Aufnahmen von 1600 auf 900 zwischen Juli und Dezember.

Wer zweifellos feiern kann sind die Mafia, die Ausbeuter, die Schlepper, denen diese Gesetze in die Hand arbeiten. Denn die Unsichtbaren verschwinden nicht einfach, wie manche hoffen. Sie bleiben in unserem Land oder in Europa, wo sie ebenda in Armut leben werden, zur Freude derer, die von ihrer Armut profitieren. Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge schätzt, dass bis im Jahre 2020 in Italien 700’000 Unsichtbare leben werden, die ausgebeutet, gedemütigt und zu Propagandazwecken missbraucht werden können.

Trotz aller Propaganda können wir nicht davon absehen zu schreiben, dass die Menschen nach Italien kommen. Am 28. Dezember hat die Küstenwache von Trapani 43 Migrant*innen aus Tunesien gerettet, die alle in die Abschiebezentren der Insel gebracht wurden. Dieses Jahr wurden 241 nicht offiziell registrierte Anlandungen mit geschätzten 8000 Migrant*Innen gezählt – alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ohne mediale Begleitung, um weiter die Propaganda zu begünstigen.Trotz aller Propaganda können wir nicht davon absehen zu schreiben, dass die Menschen nach Italien kommen. Am 28. Dezember hat die Küstenwache von Trapani 43 Migrant*innen aus Tunesien gerettet, die alle in die Abschiebezentren der Insel gebracht wurden. Dieses Jahr wurden 241 nicht offiziell registrierte Anlandungen mit geschätzten 8000 Migrant*Innen gezählt – alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ohne mediale Begleitung, um weiter die Propaganda zu begünstigen.

Aber die Aufnahmepolitik ist gescheitert: viele Betreiber fühlen sich gesetzlich dazu berechtigt, die Leistungen in ihren Zentren weiter zu reduzieren – die Qualität der Verpflegung, der Kleidung und der allgemeinen Lebensbedingungen wird schlechter. Das pocket money, „Taschengeld“, ist nun mehr ein Optional zur Unterstützung der „Gäste“ der außerordentlichen Aufnahmezentren, wie beispielsweise im Betrieb der Kooperative „Pozzo di Giacobbe“ in Palermo. Diese einzige finanzielle Unterstützung für die Migrant*Innen und ihre Familien wird seit fünf Monaten nicht mehr ausbezahlt. Kooperativen schließen ihre Zentren für unbegleitete Minderjährige aus „technischen Gründen“ und versetzen die Jugendlichen von einem Tag auf den anderen in eine andere Stadt, ohne ihren individuellen Integrationsweg zu berücksichtigen, ohne Tutoren, die sie begleiten. Die Kooperative Azione Sociale hat ihr Haus in Catania vorübergehend geschlossen und die Jugendlichen von dort nach Palermo gebracht – so kann sie Kosten für Personal und Unterhalt sparen.

Weitere Unrechtmäßigkeiten werden bei den Einträgen in die staatlichen Register festgestellt: Unzähligen Migrant*innen werden die ihnen gesetzlich zustehenden Rechte verweigert, da die Vorgaben des neuen Dekrets, das inzwischen ein Gesetz geworden ist, in Hinblick auf Asylsuchende weit ausgelegt werden. Das ist täglich feststellbar in Gemeinden wie Palermo, Castelvetrano, Marsala und in vielen anderen.
Viele Migrant*innen hatten 2018 keinen Grund ein Fest zu feiern. Es war ein katastrophales Jahr, was die Rechte betrifft. Aber wir haben die Möglichkeit, die Karten neu zu mischen. Lassen wir uns vom Vertrauen in die Zukunft der Migrant*innen anstecken – sie verlieren ihre Hoffnung nicht – wünschen wir also allen ein 2019, das reich ist an Zukunft, Rechten und Gerechtigkeit!

Alberto Biondo
Borderline Sicilia

 

* CPT Serraino Vulpitta di Trapani – Centro di Permanenza Temporanea / Zentrum für befristeten Aufenthalt (die Vorgänger der heutigen Zentren für die Rückführung CIE)

Übersetzung aus dem Italienischen von Susanne Privitera