Das Aufnahmezentrum für Asylantragssteller von Mineo: Symbol des Scheiterns

von Elio Tozzi, ­ scienzaepace.unipi.it

Das Aufnahmezentrum für Asylantragssteller von Mineo, in der Provinz Catania (Sizilien) ist Symbol für das katastrophale italienische Aufnahmesystem. Versunken in den Feldern der Ebene von Catania und weit weg von bewohnten Orten liegt die ehemalige Residence degli Aranci (Residenz der Orangenbäume), einst luxuriöse Residenz für die Familien der auf Sigonella (Militärflugplatz der US Navy und der italienischen Luftwaffe) stationierten Soldaten und heute das größte Aufnahmezentrum für Asylantragssteller (CARA) Italiens und Europas. Im März 2011 plötzlich aus den Boden gestampft für die sogenannte „Emergenza Nord Africa“ (Notstand Nordafrika), galt das CARA von Mineo von Anfang an als ganzer Stolz der Aufnahme all’italiana, als Exportmodel für ganz Europa.
Zugleich wurde es auch als „Ghetto“, „vergoldeter Käfig“, „5 Sterne­Hölle“ oder „Vorhölle“ bezeichnet. Obwohl das CARA seit seiner Eröffnung offiziell über zweitausend Aufnahmeplätze verfügt, sind dort derzeit ungefähr viertausend Asylantragssteller untergebracht.

1. „Emergenza Nord Africa“: die Idee zum „Dorf der Solidarität“
Ende 2010 löste die „Jasminrevolution“ in Tunesien einen Domino­Effekt auf die ganze Maghreb Region, sowie auf den Nahen und Mittleren Osten aus. Jene Revolutionen brachten das geopolitische Bühnenbild des gesamten Mittelmeerraums durcheinander und beeinflussten, aufgrund ihrer geografischen Lage, zwangsläufig auch Italien. Ab Februar 2011 waren die Insel Lampedusa sowie auch die Insel Malta einem beträchtlichen Strom von Ankünften ausgesetzt, Boote, die zu Beginn von der tunesischen Küste abfuhren. Heute können wir mit Gewissheit bestätigen was bereits vor nunmehr zwei Jahren deutlich zu erkennen war: die katastrophale Szenerie, angedroht von der zu jener Zeit im Amt tätigen Regierung und entsprechend unterstützt vom Geplauder in den nationalen Fernsehkanälen, war übertrieben und wahrscheinlich zielgerichtet, um die Idee eines nie da gewesenen Notstandes zu erschaffen. Auf der einen Seite rechtfertigte sie die Anwendung außerordentlicher Handlungen, die es ermöglichten geltende Regeln zu umgehen, auf der anderen Seite stand sie für politische Willensstärke, die sich der illegalen Einwanderung widersetzte.

Der erste Schritt in diese Richtung war die Verabschiedung des Dekretes des Ministerpräsidenten vom 12. Februar 2011 (D.P.C.M del 12 febbraio 2011) vollendet. Dieses Dekret rief „den Notstand in Bezug auf den außergewöhnlichen Zustrom von Staatsbürgern nordafrikanischer Staaten, auf nationalem Gebiet“ aus. Hierzu ist es notwendig daran zu erinnern, wie von Anfang an auf den Unterschied zwischen tunesischen Staatsbürgern – die oft als „clandestini“ (Illegale) und seltener als „Wirtschaftsmigranten“ bezeichnet wurden und so schnell wie möglich abgeschoben werden sollten – und allen anderen „Flüchtlingen“, die möglicherweise Anrecht auf internationalen Schutz haben, hingewiesen wurde. Die Kriminalisierung und der Ge­ und Missbrauch des Ausdrucks „clandestino“ zeigen eine Konstante in der jüngsten Einwanderungspolitik. In diesem Fall hat sie zu einer schnellen und automatischen Ausgrenzung der Tunesier aus der Kategorie der potenziellen Antragssteller auf Internationalen Schutz geführt. Schließlich wurde am 18. Februar 2011 die Verfügung des Ministerpräsidenten Nr. 3924 (O.P.C.M n 3924) erlassen, welche „die dringende Verfügung des Zivilschutz, zur Bewältigung des humanitären Notstands“ enthält. Artikel 1 des Erlasses ernannte den Präfekten von Palermo, Giuseppe Caruso, zum bevollmächtigten Kommissar. Dieser hatte somit für die Realisierung folgender Punkte zu sorgen:
a) Bestimmung der Tätigkeitsprogramme, auch vorläufige Pläne, zur Überwindung des Notstandes;
b) Zählung der auf italienischem Territorium gelandeten nordafrikanischen Bürger;
c) Treffen von Maßnahmen, die sich darauf konzentrieren Einrichtungen und Zonen zur Verwaltung des Notstandes zu identifizieren und auszustatten, sowie bestehende Einrichtungen ausbauen.

Es ist interessant zu beobachten, dass der Ministerialerlass Nr. 3925 (O.P.C.M. n. 3925), der nur fünf Tage nach Erlass Nr. 3924 verfügt wurde, in Artikel 17 eine Reihe von bedeutenden Änderungen einführt. Die Einfügung unter Artikel 1, Paragraph 2, Letter c) stach besonders hervor: „ebenda einschließlich Erwerb, auch durch Pachtvertrag, von Einrichtungen bestimmt zur Überwindung des humanitären Notstandes, auch in Abweichung von Artikel 2, Paragraph 222 des Gesetztes Nr. 191 vom 23. Dezember 2009.“ Außerdem wurde Letter d) hinzugefügt welche besagt: „Anwendung, in Übereinstimmung mit dem Innenministerium, Abteilung für Bürgerfreiheit und Einwanderung, von möglichen Maßnahmen zur Neuverteilung der Asylantragssteller innerhalb der Erstaufnahme Zentren (CARA) auf nationalem Gebiet.“ Es ist deutlich erkennbar, dass jene Änderungen eingeführt wurden, um der Gründung des „Dorfes der Solidarität“ in Mineo zuzustimmen. Es sollte Sinnbild sein für die Reaktion der Regierung auf die Emergenza Nordafrica und insbesondere auf den Notstand Lampedusa, dessen Zentrum übervoll mit jungen Tunesiern war.
Die Entscheidung, die Residence degli Aranci in der Contrada Cucinella der Gemeinde Mineo, die sich im Besitz der Pizzarotti A.G. befindet und bis vor kurzem Unterkunft der amerikanischen in Sigonella stationierten Soldaten war, zu nutzen kam so plötzlich wie entschieden. Am 14. Februar 2011 befanden Innenminister Maroni und Ministerpräsident Berlusconi bei einem Lokalbegehung die Residence als geeigneten Ort für die Gründung des „Dorfes der Solidarität.“ Wegen ihrer Eigenheiten, so Maroni, schien die Struktur geeigneter für die Aufnahme von Asylantragsstellern zu sein als für die Aufnahme von „clandestini“. Asylantragssteller aus verschiedenen CARA (Aufnahmezentrum für Asylantragssteller) des Landes sollten in das „Dorf der Solidarität“, das stets als zukünftiger Stolz des italienischen Aufnahmesystems beworben wurde, verlegt werden. Jenes „Dreieck­System“, wie es der für den Notstand beauftrage Kommissar, Präfekt Caruso, in einem mit uns geführten Interview bezeichnete, sollte in den CARA die nötigen Plätze für die Neuankünfte aus Lampedusa frei manchen und zudem jene Asylantragssteller, die mit Gewissheit in Italien bleiben, belohnen, in dem man sie von den heruntergekommenen (anderen) CARA in ein ausgezeichnetes Zentrum verlegt – in das Zentrum von Mineo. Jenseits der Rhetorik der Regierung schien diese Lösung jedoch vielmehr ein anderes Ziel zu verfolgen, dies wurde unter anderem vom stellvertretenden Chef der Abteilung für Bürgerfreiheit und Einwanderung des Innenministeriums, Dr. Postiglione unverhohlen erklärt: die Leerung italienischer Aufnahmezentren für Asylantragssteller, um sie in Identifikations­ und Abschiebezentren (CIE Centri di identificazione ed espulsione) umzuwandeln. Diese Richtung wurde vom Erlass des Ministerpräsidenten Nr. 3935 (O.P.C.M n 3935) vom 21. April 2011 bestätigt, in welchem angeordnet wurde, die vorübergehend in Betrieb genommenen Aufnahmezentren von Santa Maria Capua Vetere (Provinz Caserta) – ehemalige Kaserne Andolfato ­, Palazzo San Gervasio (Provinz Potenza) und das Zentrum von Kinisia, Trapani, in Identifikations­ und Abschiebezentren umzuwandeln.

Zur Realisierung des „Dorfes der Solidarität“ musste sich die Regierung aber auch dem Widerstand der 15 Bürgermeister des Calatino (Teil der Provinz Catania im Osten Siziliens) stellen, deren Ansichten bis dahin ignoriert worden waren. Als Mittel der Überzeugung diente der Regierung vor allem die zum Projekt gehörende Sicherheits­Charta. Sie beinhaltet die Aufstockung der Polizeikräfte und die Installation von Video­Überwachungs­Systemen und sollte so die Ordnung und Sicherheit der Bürger sowie der zukünftigen „Gäste“ garantieren. Der von der Regierung genutzte Sicherheitsansatz wurde zum Teil von den Bürgermeistern der Region unterstützt, da sie selbst vom Problem der Sicherheit betroffen waren. Das Versprechen der Regierung, den Sicherheits­Pakt zu unterzeichnen unterstützt durch den Wunsch einiger Bürgermeister, die „Möglichkeiten“ welche die Öffnung des Zentrums mit sich bringe, voll auszunutzen, führte zu keinem einstimmigen Beschluss. Ein Drittel der calatinischen Gemeinden (Castel di Ludica, Caltagirone, Grammichele, Ramacca und Mineo) blieben fest entschlossene Gegner des Projektes und bekräftigten ihren Standpunkt in einem Brief an Innenminister Maroni:

„Das Model Mineo entspricht nicht der Idee, die wir bewusst entwickelt haben, die auf der Erfahrung mit effektiver Integration basiert und die bereits in unseren Gemeinschaften angewandt wird. Die Tatsache, dass mindestens 2000 Personen an einen Ort gebracht werden sollen, welcher nicht über die nötigen Dienste verfügt und keine richtige Eingliederung ermöglicht, gefällt uns nicht. Dieser Zustand der Absonderung könnte einerseits zu sozialen Revolten führen und andererseits einige von ihnen dazu bewegen, die Sicherheitslage vor Ort auf die Probe zu stellen, auch wenn die überwältigende Mehrheit friedlich ist und die besten Absichten verfolgt.“

Am Ende des Briefes würde präzisiert dass: „echte Aufnahme ausschließlich in einem Netz aus Beziehungen und Diensten erfolgen kann, welche den Einwanderern helfen sich zu integrieren. Nur die Eingliederung kleiner Gruppen in die Gemeinschaft ist eine wirkliche Chance.“

Diese Stimmen jedoch gehörten bereits der Minderheit an. In Mineo zum Beispiel, hatte sich ein Bürgerausschuss „für das Dorf der Solidarität“ gebildet. Für seine Anhänger stellte das neue CARA in Mineo das „Tor nach Europa“ dar. Abgesehen von der vorhersehbaren Rhetorik verdeutlichten die Flugblätter, die zur Unterschriftensammlung verteilt wurden, vor allem die Vorteile die das CARA mit sich bringen würde: Arbeitsaufträge für lokale Dienstleistungsunternehmen, mindestens 300 Anstellungen für Sozialarbeiter und mehr Sicherheit in der Region. Hier ein Slogan als Beispiel:

„Unsere Stadt scheint unweigerlich zum langsamen Niedergang ­ beinahe zum Aussterben ­ verurteilt zu sein. Um dies zu verhindern wollen wir, dass das „Dorf der Solidarität“ zu einer Chance für die Zukunft der Jungendlichen in Mineo wird.“

Interessanterweise trug die Unterschrift auf dem Flugblatt des Ausschusses den Namen der Genossenschaft „Sol.Calatino“. Sie war eine jener Genossenschaften, welche einige Monate später das Rote Kreuz als Betreiber des CARA ablösten, und sie ist zur Zeit Teil des Zusammenschlusses von Unternehmen, die das Zentrum leiten.

Das Dekret Nr. 16355 vom 2. März 2011, unterzeichnet vom bevollmächtigten Kommissar für die Emergenza Nordafrica, und in Folge am 4. März 2011 ergänzt vom Dekret Nr. 17132, beschließen die Nutzung der Residence degli Aranci bis zum 31. Dezember 2011. Am 20. März 2011, zwei Tage nach der effektiven Öffnung des „Dorfes der Solidarität“, unterzeichneten der Präfekt von Catania, der Präsident der Provinz Catania und die Bürgermeister der 15 calatinischen Gemeinden den ersehnten Sicherheits­Pakt. Der Pakt zielte fast ausschließlich auf das Sicherheitsproblem und erteilte keine speziellen Anweisungen bezüglich der zukünftigen „Gäste“ der Einrichtung. Der Pakt nimmt Bezug auf eine optimale Betreuung und auf Möglichkeiten der sozialen Eingliederung jedoch immer in Hinblick auf die Sicherheit und auf „die positiven sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen für die Lokalbevölkerung.“ Jeder Einsatz der Partner, „die Integration der Fremden (…) die Ausarbeitung von Ausbildungstätigkeiten (…) die erfahrungsmäßige Kenntnis des Gebiets und der lokalen Kultur“ voranzutreiben, wurde von Artikel 3 sanktioniert . Um jegliche Missverständnisse zu vermeiden trug Artikel 3 die Überschrift „Einwanderung und Sicherheit.“ Hinsichtlich des Aufgabenbereichs der Struktur wurde bestätigt, dass nur jene Asylantragssteller aufgenommen würden, welche bereits „vor geraumer Zeit den juristischen Weg des Asylverfahrens begonnen haben.“ Letztere hätte dann schrittweise übersiedelt werden sollen, ohne die maximal Kapazität von 2000 Personen zu überschreiten. Jene wichtigen Versprechen wurden von der Regierung sofort gebrochen. Am 24. März, nur vier Tage nach Unterzeichnung, stellten sich Verwalter und mehrere Bürgermeister der Region Calatino in einer Menschenkette vor den Eingang des „Dorfes der Solidarität“. Sie versperrten den Polizeikräften den Weg, die die Übersiedelung von 498 Tunesiern aus Lampedusa durchführen sollten. Die lokalen Verwalter sprachen von einer großen Farce, von einem großen Bluff der Regierung, die aus Mineo schon bald ein Lager machen würde. Das bereits erwähnte Dekret vom 30. März zeigt die Doppeldeutigkeit der Residence degli Aranci und formalisiert die Enttäuschung über den Sicherheits­Pakt. Das Zentrum von Mineo wird darin sowohl als Aufnahmezentrum für Asylantragssteller (CARA) als auch als Aufnahme Zentrum (CDA) bezeichnet.

2. Unter Führung des Italienischen Roten Kreuz
Kraft Artikel 3 des Erlasses des Ministerpräsidenten Nr. 3924, wurde der bevollmächtigte Kommissar beauftragt, für die humanitäre Hilfe und Betreuung notwendige Zusammenarbeit zwischen dem Italienischen Roten Kreuz, dem UN Flüchtlingshilfswerk und der Internationalen Organisation für Migration zu aktivieren. Dem Italienischen Roten Kreuz wurde die Führung des „Dorfes der Solidarität“ bis Ende Juni 2011 anvertraut. Sein Verwaltungsstil zeichnete sich durch seinen Notfall-Charakter und seine Militarisierung. Die ständigen und massiven Patrouillen innerhalb aber auch außerhalb des Zentrums ähnelten mehr dem Bild eines Überwachungsgefängnis als dem Bild einer Oase des Friedens. Die Überwachung wurde zum Teil mit der immensen Zahl von überführten Gästen entschuldigt, die innerhalb kürzester Zeit eintrafen. Zwei Wochen nach der effektiven Öffnung des Zentrums, am 18. März 2011, zählte man bereits 1595 „Gäste“. Im Gegensatz zu den Vorhersage, die im Sicherheits­Pakt festgehalten sind, wurde die Übersiedelung der Asylantragssteller sowie der jungen Tunesier alles andere als schrittweise vollzogen. Die angewandte Methode zur Übersiedelungen von den verschiedenen CARA in das „Dorf der Solidarität“, erweckte ebenfalls Ratlosigkeit. Diese Übersiedelungen wurden von den maßgebenden Vereinen als „Deportationen“ definiert. Der italienische Flüchtlingsrat (CIR-Consiglio italiano per i Rifugiati) brandmarkte, dass die Durchführung der Übersiedelungen mittels „einer Entscheidung von absoluter Dringlichkeit, direkt vom Innenministerium und ohne jegliche Planung und Absprache mit den lokalen Behörden“ erfolgte. Im selben Bericht kritisierte der Direktor des italienischen Flüchtlingsrats, Christopher Hein, das fehlende Inkenntnis­setzen der betroffenen Asylantragessteller. Im besonderen berichtete Hein über den Fall der Übersiedlung vom CARA in Rom am 21. März, welche nicht freiwillig, sondern unter Androhungen erfolgte. Der Umzug von einem Zentrum ins andere riss die Asylantragssteller nicht nur aus dem sozialen Netz, in dem sie über Monaten gelebt hatten, sondern verursachte weitere Vergehen: die „Abgelehnten“ (Asylantragssteller, die einen negativen Bescheid erhalten hatten) waren, wollten sie in Berufung gehen, weit entfernt vom zuständigen Gericht und für jene, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatten, verlangsamte sich die Prüfung ihrer Anfrage beträchtlich, da auch die Zuständigkeit der Kommission verlegt werden musste und die nötigen Dokumente nur mit Verspätung weitergeleitet wurden. Zudem passierte es oft, dass die aus anderen Zentren übersiedelten Antragssteller bei der Einbestellung in die Kommission von den gerade aus Libyen über Lampedusa in Mineo eingetroffenen Antragssteller für internationalen Schutz, „übersprungen“ wurden. Dieser Zustand war Quelle beträchtlicher Spannungen, welche manchmal in Raufereien zwischen den Antragsstellern selbst mündeten. Im Inneren des „Dorfes der Solidarität“ herrschte im Übrigen ein surreales Klima, eine scheinbare Ruhe, welche das allgemeine Leid fast aller Gäste verbarg.
Der anfänglichen Notstands­phase folgte in der Tat keine Planung mit dem Ziel die geforderten Bedingungen zu erfüllen. Für die „Gäste“ vergingen die Tage im CARA nur langsam. Endlose Warteschlangen charakterisierten die wenigen „Tätigkeiten“ des Tages, wie das Aufsuchen der Mensa oder das Durchführen eines Telefongesprächs. Der totale Mangel an entspannenden Tätigkeiten, die Unmöglichkeit eine Zeitung zu lesen, das Fehlen einer Internetverbindung und Probleme mit dem Satellitenempfang gaben den Antragsstellern immer mehr das Gefühl, in Isolation abgeschnitten von der Außenwelt zu leben.

Der geografische Standort der Residence degli Aranci, zwar eingebettet in glänzenden Orangenhainen, aber 11 Kilometer entfernt vom bewohnten Zentrum von Mineo, trug dazu bei, dem Gefühl der Isolation noch mehr gerecht zu werden. Die mangelnde Organisation bei der Verkehrsverbindung mit den nahegelegenen Ortschaften verursachte beträchtliche Unannehmlichkeiten. Zum Zeitpunkt der Öffnung des Zentrums gab es weder öffentliche noch private Verkehrsverbindungen nach Mineo oder in andere Dörfer des Calatino. Dies schränkte die „Freiheit“ der Antragssteller auf Internationalen Schutz, das CARA tagsüber verlassen zu können, effektiv ein. Letztere waren zu einem „Spaziergang“ von über 20 Kilometer Länge gezwungen, wollten sie sich ins Dorf begeben. Der Zubringerdienst wurde weder im Voraus noch bei Eröffnung geplant. Da sich das Rote Kreuz, die Präfektur und das Innenministerium bezüglich der Kompetenzen gegenseitig den „schwarzen Peter“ zuschoben, konnte der Dienst nicht vor Sommer in Betrieb genommen werden. Erst ab dem Monat Juni wurden Zubringerdienste gegen Bezahlung angeboten. Das Problem dabei waren nicht die Kosten des Fahrscheins, sondern vor allem die Tatsache, dass das Rote Kreuz in der Zeit, in welcher das CARA unter seiner Führung stand, im Unterschied zu allen anderen CARAs in Italien nie das vorgesehene Taschengeld für die kleinen täglichen Ausgaben an die Antragssteller auf Internationalen Schutz aushändigte.

Dem bisher beschriebenen totalen Mangel an Tätigkeiten ist es nötig hinzuzufügen, dass es innerhalb des „Dorfes der Solidarität“ fast keine Betreuung und Rechtsberatung gab. Das Fehlen eines Informationsdienstes und einer Rechtsberatung verweigerte den Antragsstellern auf Internationalen Schutz das Recht auf Erhalt von korrekten Informationen über das Asylverfahren in einer ihnen verständlichen Sprache. Dem muss hinzugefügt werden, dass kraft des Rundschreibens Nr. 1305 vom 1. April 2011 Anwälten oft der Zutritt zu den Einrichtungen verwehrt blieb, da dieses ausschließlich Organisationen, welche im Rahmen des Übereinkommens mit dem Innenministerium tätig sind, Zutritt zu den „Einwanderer -Zentren“ gestattet. Tatsächlich gibt es zahlreiche Zeugenaussagen, in denen Anwälte, die Bedingungen unter welchen sie gezwungen waren mit ihren Klienten zu kommunizieren, anklagten. Die Antragssteller erwarteten dringend ein Dokument, eine Anhörung vor der Territorialkommission oder den Gerichtstermin für das Berufungsverfahren: alle waren in ständiger Erwartung. Es ist kein Zufall, dass das „Dorf der Solidarität“ oft als „Vorhölle“ bezeichnet wurde. So auch im Fall des Berichts von Ärzte ohne Grenzen, der sinnbildlicher Weise wie folgt betitelt wurde: „Von der Hölle in die Vorhölle“ („Dall’inferno al limbo“). Beobachter stellten zahlreiche Fälle von Depression, Absonderung und Verwirrung fest. Hierzu sollte daran erinnert werden, dass es im Zentrum keinen Überwachungsdienst, mit der Aufgabe sogenannte verletzliche Fälle zu erkennen und entsprechend zu verfolgen, gab. Der Bericht bestätigte zudem, dass das ermüdende Warten der „Gäste“ eine Quelle der Verzweiflung war. Dies verursachte verschiedene auch extreme Reaktionen. Auf der einen Seite wurden in den ersten vier Monaten nach Inbetriebnahme sieben versuchte Selbstmorde registriert, auf der anderen Seite gab es jene die sich der ausbreitenden Resignation widersetzten. Die erste Revolte brach am 10. Mai 2011 aus, als zahlreiche „Gäste“ die, am Zentrum vorbeiführende, Staatsstraße Catania-­Gela besetzten. Der Erfolg der Demonstration zeigte sich am 19. Mai als, nach Monaten der leeren Versprechungen, bei der Residence degli Aranci eine Unterkommission der Territorialkommission von Siracusa eingesetzt wurde. Einmal eingesetzt, fuhr die Unterkommission mit durchschnittlich zwei Anhörungen pro Tag fort. Dies bedeutete allerdings, dass es im besten Fall ein Jahr gedauert hätte, bis alle offen stehenden Anträge geprüft worden wären. Die darauf folgende Demonstration vom 6. Juni, die von den Ordnungskräften mit mehr Entschlossenheit unterdrückt wurde, konnte trotzdem bezwecken, dass die Kommission von Siracusa von nun an drei Mal wöchentlich die Unterkommission vor Ort unterstützte, mit dem Ziel ungefähr achtzig Anhörungen pro Woche durchzuführen. Diese sicherlich positive Reaktion war jedoch auch nicht ausreichend, um die offen stehenden Anträge in kürzester Zeit zu prüfen. Der internationale Flüchtlingstag am 21. Juni gab Anlass für die erneute Blockade der Staatsstraße Catania­Gela, genau genommen zur dritten Demonstration in etwas mehr als einem Monat. Die Gründe dafür waren dieselben: übermäßig lange Wartezeiten bei der Überprüfung der Anträge und das Fehlen von Kriterien bezüglich der Priorität, nach der die Anträge überprüft werden. Unter der Leitung des Roten Kreuz wurde den „Gästen“ im wesentlichen Unterkunft, Verpflegung und medizinische Grundversorgung garantiert. Es wurde allerdings versäumt, weitere Grunddienste wie sprachliche und kulturelle Mediation, Rechtsbetreuung und Beratung anzubieten, welche im Entwurf der Ausschreibung zur Führung von Aufnahmezentren für Einwanderer festgelegt worden waren. Die Verantwortlichkeit für die sehr schlechten Aufnahmebedingungen im CARA von Mineo, welche wohl unter den in der sogenannten Direktive zur Aufnahme (2003/9 CE) festgelegten Mindeststandards lagen, war zum größten Teil der Regierung zuzuschreiben. In diesem Sinne genügt die Erinnerung an Artikel 7 des Erlass Nr. 3948 des Ministerpräsidenten vom 20. Juni 2011 (O.P.C.M n 3948 ). Darin wurden die Akteure dazu ermächtigt, „Verträge oder Abkommen mit öffentlichen und privaten Unternehmen abzuschließen, (…) solange diese gleichwertige Dienstleistungen garantierten wie in der Ausschreibung des Innenministeriums zur Verwaltung der Aufnahmezentren für Asylantragssteller und dem Handbuch zur Inbetriebnahme und Verwaltung von Aufnahme­ und Eingliederungseinrichtungen für Antragssteller und Inhaber von Internationalem Schutz vorgesehen.“

Gut drei Monate nach Öffnung des Zentrums wurde zum ersten Mal auf zentraler Ebene und mit unentschuldbarer Verspätung ausdrücklich auf die bereits erwähnte Ausschreibung Bezug genommen.

3. Unter Führung der Genossenschaft „CARA Mineo“
Am 18. Oktober 2011 ging die Führung des CARA in Mineo vom Roten Kreuz, welches weiterhin für die Gesundheitsversorgung verantwortlich blieb, über auf die Genossenschaft Cara Mineo. Diese Genossenschaft, in Form einer vorübergehenden Vereinigung von Unternehmen, war zusammengesetzt aus: Sisifo S.C.S. (Leitung der Körperschaft), Sol. Calatino S.C.S., La Cascina Global Service, La Casa della Solidarietà S.C.S. (das Haus der Solidarität) und dem Senis Hospes S.C.S.. Von Anfang an definierte die Genossenschaftsverwaltung die Führung des Zentrums als Herausforderung, als eine Art Mission mit dem Ziel das CARA von einem Ort der verlorenen Zeit in ein Umfeld zum Aufbau der Zukunft seiner „Gäste“ umzuwandeln. Es war ihr Bestreben, „das Tor Europas“ zu werden, ein großes „Kompetenzzentrum“ im Dienste des Mittelmeerbeckens. Das Dekret des Ministerpräsidenten vom 6. Oktober 2011 (D.P.C.M del 6 ottobre 2011) verlängerte die Emergenza Nordafrica bis zum 31. Dezember 2012 und gewährte den Verantwortlichen somit genügend Zeit, um an der Herausforderung zu arbeiten.
Um den detaillierten „Ausschreibung zur Führung des Aufnahmezentrums für Immigranten von Mineo“ nach zu kommen, aktivierte die neue Leitung verschiedene Dienste: legale, psychologische und soziale Betreuung; Italienischkurse; Ausbildung und Job Center sowie sprachlich­kulturelle Mediation. Zudem wurde den Asylantragsstellern endlich das ihnen zustehende „Taschengeld“ von 2,50€ pro Tag ausgehändigt. Es handelte sich dabei um virtuelles Geld, das jedem Gast auf seine Magnetkarte „geladen“ wurde. Somit konnte das Taschengeld ausschließlich am Bazar innerhalb des CARA und in einigen Supermarktketten in den umliegenden Dörfern ausgegeben werden. Die leitende Körperschaft entschied erneut die Ausschreibung zur Führung des CARA ­ Maßnahme Nr. 35 vom 16. März 2012 des Verantwortlichen für die Führung des Aufnahmezentrums für Asylbewerber. In der Zwischenzeit, wie der Verantwortliche On. Giuseppe Castligione bestätigte, erkannte die Stadt Mineo und die angrenzenden Gemeinden das wirtschaftliche Potenzial des CARA im Bereich der Arbeit und Entwicklung der Region.

In einem Gebiet mit anhaltend schlechten Arbeitsmarktsituation und in einem Klima der Krise repräsentierte das Aufnahmezentrum eine Arbeitsmöglichkeit für viele junge Menschen. Zudem war es eine enorme Ressource für das ganze Calatino. Diese Tatsache wurde vom Betreiber nie abgestritten, im Gegenteil sie wurde als einer der unbestreitbaren Erfolge der Erfahrung mit dem „Dorf der Solidarität“ beansprucht. Aus diesem Grund strebten sowohl die Genossenschaft Cara Mineo als auch die Betreiber die Bildung einer öffentlichen Genossenschaft bestehend aus lokalen Körperschaften an. Diese sollten in die Verwaltung des Zentrums mit eintreten, um den Überhang von der Notstandsphase in eine strukturelle Phase, zu garantieren.
Es ist im Übrigen erwähnenswert, dass das bevorstehende Ende der Emergenza Nordafrica auch die Schließung des „Dorfes der Solidarität“ bedeuten konnte. Am 18. November 2012 wurde sogar der spontane und keiner Partei angehörende Ausschuss „Pro Cara in Mineo“ gegründet. Sein Ziel war es, die Öffentlichkeit für die Bedeutung des CARA, welche es für die ganze Region darstellte, zu sensibilisieren. Die einzige „Pro Cara in Mineo“ Initiative, die uns bekannt ist, war ein Fackelzug am 26. November 2012 in Mineo, an dem auch die Italienische Arbeitervereinigung (UIL) teilnahm. Das Ziel der Initiative war der Schutz der Arbeitsplätze der über 250 Mitarbeiter des Zentrums, welches als „unantastbare Ressource“ definiert wurde. Was danach folgte ist allen bekannt. Das Aufnahmezentrum von Mineo hat nicht nur das Ende der Emergenza Nordafrica (28. Februar 2013) überlebt, sondern ist nun, nach seiner definitiven „Stabilisierung“, Teil des bruchstückhaften Italienischen Aufnahmesystems. Es genügt in diesem Sinne sich an das Schreiben 47208 vom 2. Oktober 2013 zu erinnern, in welchem die Präfektur Catania, auf Anweisung des Innenministeriums, die Genossenschaft „Calatino Terra d’Accoglienza” („Calatino Land der Aufnahme“) darum bittet, eine Struktur, tauglich zur Aufnahme von 3000 Einwanderern zu schaffen. Dafür würde ein dreijähriges Abkommen (erneuerbar für weitere drei Jahre) unterzeichnet, das der Genossenschaft die Leitung jenes Zentrums zusichern würde. Seit 1. Januar 2013 ist die Genossenschaft „Calatino Terra d’Accoglienza”, zusammengesetzt aus den Gemeinden Mineo, San Michele di Ganzaria, Vizzini, San Cono, Ramacca, Raddusa, Licodia Eubea, für die Verwaltung des Aufnahmezentrums für Asylantragssteller verantwortlich. Die Leitung hingegen ist dank mehrerer Verlängerungen noch immer in den Händen der Genossenschaft Cara Mineo, seit 1. Januar 2013 allerdings gemeinsam mit dem Unternehmen Pizzarotti & C. A.G. Dieses Unternehmen, Eigentümer der Residence degli Aranci, hat allein in den zwei Jahren 2011­2012 bereits mindestens acht Millionen Euro (360.000 Euro im Monat) kassiert. Das unbestreitbare Geschäft in Verbindung mit der Leitung des CARA von Mineo war von Anfang an zentraler Grund für den erbitterten Zeitvertreib unter den verschiedenen politischen Kräften in Mineo wie auch in anderen Gemeinden des Calatino.

Infolge unzähliger Blockaden der Staatsstraße Catania Gela, beherrschte die dramatische Situation der im Zentrum von Mineo untergebrachten Asylantragssteller, die Schlagzeilen. Bei der bisher letzten Demonstration am 19. Dezember 2013 wurden im wesentlichen dieselben Anliegen vorgebracht wie bereits bei der ersten Demonstration am 10. Mai 2011:

  • abnormal lange Wartezeiten bis zur Einberufung bei der Territorialkommission, welche für die Bearbeitung der Asylanträge zuständig ist;
  • ungenügende Anzahl von Anhörungen pro Woche, bei der besagten Kommission;
  • eine hohe Rate von Ablehnungen des Asylantrages;
  • im Falle einer Berufung, endlose Wartezeit bis zur Vernehmung vor Gericht;
  • unzureichende medizinische Versorgung im Verhältnis zur Zahl der zu versorgenden
  • Personen;
  • Taschengeld (meist ersetzt durch Zigaretten oder Karten zum Aufladen (Telefongesellschaft Wind) des Mobiltelefons);
  • sehr schlechte Anbindung der öffentlichen Verkehrsmittel an urbane Zentren.

Es ist an dieser Stelle erwähnenswert, dass sich durch die zahlreichen Manifestationen zunehmend Gefühl der Intoleranz gegenüber den Asylantragsstellern von Seiten vieler Bewohner der Gemeinden, allen voran Mineo, festgestellt werden konnte. Das Risiko, dass jene Abneigung instrumentalisiert werden könnte ist ernst und nicht zu unterschätzten. Leider banalisieren, mit einigen Ausnahmen, Medien, Politiker und die Führung des CARA das Problem. Sie vereinfachten es durch die oberflächlichen Unterteilung in zwei gegensätzliche Lager: „für das Aufnahmezentrum“ und „gegen das Aufnahmezentrum“. Unserer Meinung nach muss das Problem aber von allen Seiten beleuchtet werden. Einmal ist da der staatliche und regionale rechtliche Rahmen, der ein chaotisches und bruchstückhaftes Aufnahmesystems zur Folge hat, geleitet von Präfekten welche systematisch zum Notfallplan greifen. Das CARA von Mineo ist sicherlich Sinnbild für dieses „System“ aber es ist nicht das einzige Beispiel, denken wir nur an die diversen Zentren, die im vergangenen Jahr eröffnet wurden:
Die ehemalige Schule Umberto I in Siracusa, die Zeltstadt am PalaNebiolo in Messina, die zum Glück geschlossenen Tore der Turnhalle am Sportplatz von Pozzallo und das Sportstadium „Palaspedini“ in Catania, und so weiter. Dazu kommt noch die Idee zur Errichtung eines „Mega CARA“, wie im bereits erwähnten Schreiben 47208 der Präfektur von Catania bestätigt wird.
Zum anderen ist die Situation vor Ort nicht weniger komplex und scheint auf dramatische Weise mit wirtschaftlichen und politischen Interessensansprüchen verbunden zu sein. Stolz präsentiert die Genossenschaft Cara Mineo über ihre verschiedenen Kommunikationskanäle ­ von sozialen Netzwerken über den Blog bis hin zur Zeitschrift CARA News ­ ihr „Werk“. Dabei definiert sie das CARA von Mineo als größtes Unternehmen im Calatino, als größte Fabrik von menschlichen Beziehungen, als einen Ort der Liebe, Solidarität und Integration. Zudem machen die politischen Förderer der Genossenschaft auf die Bedeutung aufmerksam, die das Zentrum erreicht hat, indem es zum wichtigsten wirtschaftlichen Triebwerk der Region sowie zu einer Arbeitsquelle für ungefähr 300 Sozialarbeiter aus der Gegend wurde.
Das Lager der „Gegner“ ist hingegen alles andere als homogen: da gibt es jene, welche die Revolten der Einwanderer instrumentalisieren und auf die Politik des Schreckens zurückgreifen; jene die ausschließlich die Ämterpatronage der Leitung des Zentrums bei der Einstellung von Mitarbeitern anfechten; jene die nur dagegen sind, dass das CARA in einer privaten Struktur wie dem Pizzarotti & C. A.G. untergebracht ist, welche dadurch Millionen von Euro verdient. Außerdem die Gruppe der Bauern, welche die Schäden in den Orangenhainen gegenüber dem Zentrum anklagen; und zu guter Letzt die direkt Betroffenen, die über 4000 Asylantragssteller, die nichts zu sagen haben. Den Letzteren bleiben nur extreme Gesten, um auf ihre Lebensbedingungen aufmerksam zu machen. Oft wählten sie dazu die Form friedlicher Proteste wie die Demonstration am 19. Dezember 2013, bei denen die Medien allerdings nur die Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Ordnungskräften hochspielten und dabei „vergaßen“ über die anschließende Versammlung in der Gemeinde Palagonia zu berichten, in der die Demonstranten den Bürgern und dem Bürgermeister die Gründe der Protestaktion erklärten.
Manchmal kam es auch zu extremen Taten, wie im Fall von Mulue Ghirmay, einem 21 Jahre alten Eritreer, der sich am vergangenen 14. Dezember im Zentrum von Mineo das Leben nahm.

Das CARA von Mineo ist unserer Meinung nach einen katastrophale Erfahrung und sollte so bald als möglich geschlossen werden. Wir halten eine würdevolle Aufnahme, welche die geltenden Mindeststandards respektiert, in Strukturen einer solchen Größenordnung weder für vorstellbar noch für realisierbar. Anders als von der leitenden Genossenschaft erklärt, glauben wir nicht, dass ihr primäres Ziel die Integration der Asylantragssteller ist. Alle beschriebenen Aktivitäten finden im Inneren des Zentrums statt, während externe Initiativen in einen prall gefüllten Kalender eingetragen werden, bei denen aber die Genossenschaft entscheidet, welche und wie viele Personen daran teilnehmen dürfen und vor allem welches Bild vom Aufnahmezentrum übermittelt werden soll. Ein Beispiel dafür ist der kürzlich fertiggestellte Dokumentarfilm „Io sono io e tu sei tu“ (Ich bin ich und du bist du), der ausschließlich innerhalb des CARA gedreht wurde. Produziert wurde das Projekt von der Stiftung Fondazione Integra, welche direkt auf Sisifo S.C.S, der führenden Körperschaft in der Genossenschaft Cara Mineo zurückgeführt werden kann. Das erklärte Ziel des Films ist es „ein Model der Aufnahme zu fördern, dessen Strukturen den humanitären Notstand in Italien scheitern ließen.“ Am 2. Januar 2014 wurde in Mineo eine außerordentliche Gemeinderatssitzung abgehalten, bei der Anna Aloisi in ihrer Doppelrolle als Bürgermeisterin von Mineo sowie als Präsidentin der Genossenschaft „Calatino Terra d’Accoglienza” die jüngsten Neuigkeiten erläuterte. Darunter stechen hervor:

  • die bevorstehende Einsetzung zweier Kommissionen in Catania, welche mit der Territorialkommission von Siracusa zusammenarbeiten werden und Anhörungen von Asylantragsstellern, untergebracht im CARA von Mineo, durchführen werden;
  • die Genehmigung der Finanzierung von drei Millionen Euro zu Gunsten des calatinischen Gebiets im Parlament;
  • die Wiederaufnahme des Projekts „Sichere Straßen“ durch das das Heer angefordert wird, um in der Zone für Sicherheit zu sorgen.

Die Entscheidung, auf einen Militäreinsatz zurückzugreifen, um somit die Sicherheit des Gebiets zu garantieren sowie die Summe von drei Millionen Euro scheinen erneut kurzzeitliche Notfalllösungen zu sein, die darauf abzielen, die Unduldsamkeit der calatinischen Bevölkerung zu besänftigen und ihnen eine erhöhte Sicherheit zu garantieren. In die selbe Richtung kann auch der Plan zur Einführung zweier Kommissionen in Catania gedeutet werden, welche zur Reduzierung der Bewohnerzahl des CARA führen sollte. In diesem Fall zumindest, wenn auch viel zu spät, handelt es sich sicherlich um eine positive Lösung, da sich die Zeiten zur Überprüfung der Ansuchen der Gäste des Zentrums auf Internationalen Schutz, beschleunigen müssten.

Nach all dem, was bis jetzt ans Tageslicht kam, finden wir, dass die „Zeitbombe“ noch nicht entschärft ist und auch in Zukunft nicht entschärfen werden kann, solange sich die Herangehensweise aller Verantwortlichen nicht ändert.

Die Redaktion von Borderline Sicilia

Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner