Der Stillstand des Seins im Lager Mineo

von Antonio MazzeoFünf-Sterne-Hölle. Vergoldetes Gefängnis. Luxus-Lager. Ein Nicht-Ort, an dem die Identität ausgelöscht wird, Hoffnungen vernichtet werden, Abhängigkeiten und Qualen fortbestehen. So haben Menschrechtsaktivisten und einige Journalisten das Lager beschrieben. Im kommenden März vollendet das Zentrum für Asylbewerber (CARA) in Mineo – neorassistische und segregationistische Ausgeburt der Berlusconi-Maroni-Regierung – sein erstes Lebensjahr. Über fünftausend Personen, fünftausend Gesichter, fünftausend Körper, fünftausend Erlebnisse von Frauen, Männern, Mädchen und Jungen, haben bereits seine Tore durchschritten. Versagte Rechte. Verletzte Rechte. Für sie alle ist das Zentrum nur das Lager, ihr Lager. Ein Bild, das Prekarietät und unterbrochene Existenzen wachruft. Die schlimmste Erfahrung in der „Flüchtlingsaufnahme“ der Geschichte Italiens.
Die Forscherinnen Glenda Garelli und Martina Tazzioli, Autorinnen des Berichts „Esistenze sospese e resistenze al CARA di Mineo“ (Unterbrochene Existenzen und Widerstand im Zentrum Mineo), der kürzlich von „Storie Migranti“, der von Federica Sossi (Dozentin für Ästhetik an der Universität Bergamo) koordinierten Archiv-Website, veröffentlicht wurde, ziehen es vor, von „Lagerleben“ oder „prison yard“ zu sprechen. „In Mineo ist ein Zustand entstanden, der zugleich eine Unterbrechung der Existenz und die Fixierung an einen Ort ist“, schreiben Garelli und Tazzioli. „Durch die Arbeit der Institutionen und der Verwaltung wird das Leben der Personen in Erwartung und Isolation aufgehalten: die endlosen Bearbeitungszeiten der territorialen Kommissionen für die Auswertung der Anträge auf internationalen Schutz, die geographische Isolation des Riesenaufnahmezentrums, die nur unzureichende Anbindung an die angrenzenden Ortschaften, die fehlenden Programme für die Phase der Zweitaufnahme und die soziale Eingliederung, dies sind nur einige der Faktoren, die zur Unterbrechung der Existenzen der Personen geführt haben, die dorthin kamen oder immer noch dort wohnen.“
Die beiden Forscherinnen von „Storie Migranti“ sind jedoch der Ansicht, dass die „Widerstandsstrategien“ gegen den Zustand der Unterbrechung der Existenzen, der im sizilianischen Lager herrscht, anerkannt und legitimiert werden sollten. „Die Bewohner des Zentrums – schreiben sie – haben informelle Unterstützungs- und Handelsnetzwerke entwickelt und dabei manchmal offen gegen die Verwaltung ihrer Existenzen protestiert: Straßenblockaden gegen die Untätigkeit von Polizei und territorialen Kommissionen, provisorische Internetcafés, um mit der Außenwelt zu kommunizieren, Netzwerke für den Weiterverkauf und Handel mit den von der Zentrumsverwaltung erhaltenen Produkten, Kontrolle der Kleiderverteilung usw.“ Der Tagesablauf der Bewohner des Zentrums Mineo ist von Identifizierungs- und Registrierungsmaßnahmen bestimmt. „Mindestens siebenmal am Tag müssen die Migranten ihre Identitätskarte zeigen (für die drei Mahlzeiten, bei der Ein- und Ausgangskontrolle, um Guthaben zu bekommen, um im Basar einzukaufen und, einmal im Monat, um Kleider und das Set mit Körperpflege- und Reinigungsprodukten zu erhalten) und dabei verschwimmen die Funktionen der Aufnahme, Monetisierung und Kontrolle miteinander und verstärken sich gegenseitig.“
„Storie Migranti“ erinnert daran, wie seit Beginn der Einrichtung des Aufnahmezentrums bis Oktober 2011 der „Betrag für kleine persönliche Ausgaben“ verwehrt wurde, den der Zivilschutz im Nationalen Plan für die Bewältigung der sogenannten „humanitären Notsituation Nordafrika“ als obligatorisch vorsieht. Erst mit der Ankunft des neuen Betreibers (eine vorübergehende Vereinigung von Genossenschaftskonsortien, einer GmbH, unter der Leitung des sizilianischen Vereins „Sisifo“ von LegaCoop) wurde ein tägliches Taschengeld von 3,50 Euro eingeführt. Doch Glenda Garelli und Martina Tazzioli betonen, dass das Geld nicht in bar ausgezahlt wird, sondern in Form von Guthaben, das auf die Identitätskarte geladen wird. Das virtuelle Geld kann nur im Basar des Zentrums ausgegeben werden, der neben der Mensa und dem Büro des Betreibers liegt. Eine Verkaufsstelle, die nur drei Stunden pro Tag geöffnet hat: von 10 bis 11:30 Uhr vormittags für die Frauen, von 15 bis 17:30 Uhr nachmittags für die Männer. Nur diejenigen, die über eine „Familienkarte“ verfügen, können zu beiden Zeiten einkaufen. Im Basar gibt es jedoch nur wenig zu kaufen. Marlboro Zigaretten für 4,90 Euro pro Schachtel, Telefonkarten „Telecom Welcome“ für internationale Anrufe mit einem Wert von 5 Euro und Stempelmarken für Dokumente. „Das System mit dem Guthaben, das auf die Identitätskarten geladen wird, führt zu einem regelrechten informellen Wirtschaftskreislauf“, erklären die Forscherinnen. „Zigaretten und Telefonkarten werden innerhalb und außerhalb des Zentrums weiterverkauft, um Bargeld zu bekommen, was zu einer Minderung des realen Werts des täglichen Taschengelds führt. Marlboro werden für 2,50 – 3 Euro weiterverkauft, mit einem Verlust von 2,40 – 1,90 pro Schachtel; die Telefonkarten geben nie mehr als 2 Euro her. Gerade die Telefonkarten sind Anlass für Frustrationen: die meisten der Asylbewerber in Mineo haben ein Mobiltelefon der Telefongesellschaft „Wind“, doch die „Welcome-Karten“ funktionieren nur von Mobiltelefonen der Telefongesellschaft „Tim“, vom Festnetz oder von Telefonzellen (im Zentrum gibt es nur vier öffentliche Telefone für mehr als 1.600 Personen).“
Was zur dramatischen psychischen Aufreibung der Asylbewerber beiträgt, ist die Segregation und Isolation des Zentrums von der Stadt Catania (die mehr als 40 km entfernt liegt) und von der kleinen Ortschaft Mineo in den Hügeln (11 km entfernt). Die kostenlose Busverbindung zwischen dem Lager und dem Dorf, die nur einmal pro Tag bestand, wurde in den Weihnachtsferien ausgesetzt und ist seitdem nicht wieder in Betrieb genommen worden. Den „Gästen“ bleibt nur „eine Landschaft, die bewegungslos macht und Existenzen entleert“, „ein Gefängnis aus Orangen, das das Lager umgibt und gewissermaßen seine Distanz zu jedem anderen Ort hervorhebt“, schreiben Garelli und Tazzioli. „Orangen, Orangen über Orangen, du fühlst dich wie in einem Gefängnis aus Orangen“, beklagen einige der interviewten Frauen ihre Beklemmung.
Die Asylbewerber berichten, dass die Lebensmittel weiterhin sehr schlechter Qualität sind. „Viele erzählen von Lebensmittelvergiftungen (mit Einlieferungen ins Krankenhaus in Caltagirone) oder Verdauungsproblemen aufgrund der Art der verabreichten Kost, den Zutaten oder der fragwürdigen Aufbewahrung der Lebensmittel. Es gibt drei Mahlzeiten am Tag, Frühstück von 7 bis 9 Uhr, Mittagessen von 12 bis 14 Uhr, Abendessen von 18 bis 20 Uhr. Als das Zentrum vom Roten Kreuz geführt wurde, aßen die Asylbewerber immer Nudeln und nur einmal pro Woche ein Gericht mit Huhn. Jetzt gibt es mittwochs und sonntags Huhn; außer Nudeln wird auch Reis angeboten; frisches Obst und Gemüse ist jedoch weiterhin rar.“ Um dem zermürbenden Anstehen in der Mensa und der Ernährungsroutine zu entgehen, haben sich viele mit elektrischen Kochplatten ausgerüstet und kochen selbst. „Obschon es die formellen Regeln des Zentrums in Mineo verbieten, ist es nicht schwer, verderbliche Lebensmittel und auch Wein in das Zentrum zu bringen“, schreiben die Forscherinnen. „Die Asylbewerber beschweren sich auch über mangelnde Körperpflegeprodukte. Die Frauen klagen über die karge Ausstattung mit Hygienebinden (eine Packung mit 12 Binden pro Monat), ein ernstes Problem, auch weil viele der interviewten Frauen von verlängerten Zyklen von 6 bis 8 Tagen berichten. Die Männer hingegen betonen, dass ein Einwegrasierer pro Monat nicht ausreicht, und einige von ihnen verlangen auch Feuchtigkeitscremes.“ Doch ohne Erfolg.
Der Bericht von „Storie Migranti“ bestätigt auch, was Anwälte und Juristen der ehrenamtlichen und antirassistischen Vereine beklagen: die extrem langen Bearbeitungszeiten der territorialen Kommissionen, die die Asylanträge auszuwerten haben. Diese Verzögerungen haben im vergangenen Herbst dazu geführt, dass die Flüchtlinge sich gezwungen fühlten, Protestdemonstrationen zu organisieren und die großen Verkehrsadern zu blockieren, die in der Nähe des Aufnahmezentrums verlaufen. „Die meisten, mit denen wir gesprochen haben, hatten die Anhörung für den Antrag auf internationalen Schutz gehabt und waren dabei auf Kommissionen gestoßen, die aus einem einzigen Kommissionsmitglied und einem Dolmetscher bestanden, und sahen sich ständigen Unterbrechungen für Zigarettenpausen, Telefonate oder Toilettengänge ausgesetzt, durch die das Kommissionsmitglied oder der Dolmetscher die Erzählungen unterbrachen, die die Asylbewerber versuchten mühsam zu artikulieren“, schreiben die Forscherinnen. „Die mangelnde Aufmerksamkeit, die der Einzigartigkeit der Geschichten entgegengebracht wird, ist wie ein i-Tüpfelchen auf dem von den Kommissionen betriebenen System des Ausschließens, in dem ohne Rücksicht auf die Kriegserzählungen und -erlebnisse in letzter Konsequenz das Geburtsland das wichtigste Kriterium für die Gewährung internationalen Schutzes ist.“ Die Asylbewerber klagen über „die mangelnde Professionalität der Kommission“ und dass diese „nicht den Kompetenzstandards entsprechen“, die für deren Funktion erforderlich ist. „Es werden die falschen Fragen gestellt“, wiederholen sie. Die Kommissionsmitglieder bohren nur nach den Gründen, aus denen die Personen ihr Ursprungsland verlassen haben, und missachten dabei nicht nur das Phänomen der innerafrikanischen Migrationen, sondern weigern sich auch, die Gründe anzuhören, aus denen jemand, der zum Arbeiten in Libyen war, das Land verlassen musste, so die Asylbewerber. „Die Aufmerksamkeit der Kommissionen neigt dazu, sich auf die Daten zu konzentrieren und dabei die Inhalte der Geschichten außer Acht zu lassen“, fügen Glenda Garelli und Tiziana Tazzioli hinzu. „Es gibt Fehler bei der Transkription (insbesondere bei Personennamen), die nicht angefochten werden können: wenn die Asylbewerber die korrekte Transkription ihres Namens vorschlagen, hört man ihnen nicht zu. Jemand erzählt sogar, dass es Ablehnungen gegeben hat, weil der den Personen gegebene Name nicht mit dem im Terminal registrierten Namen übereinstimmte“. Asylbewerber und Verteidiger der Menschenrechte stellen auch die Professionalität einiger Dolmetscher ernsthaft in Frage. Es herrscht der allgemeine Eindruck, dass „nur ein geringer Teil der Erzählungen der Asylbewerber ins Italienische übersetzt wird, dass einige Dolmetscher Rassisten sind und die Geschichten der Personen neu interpretieren, und dass es Verständigungsprobleme auf Englisch und Französisch gibt (es fehlen Mediatoren für die Muttersprachen). Die interviewten Personen denken, dass ein Großteil der Ablehnungen nur darauf zurückzuführen ist, dass ihre Erzählungen nicht angemessen übersetzt bzw. nicht aufmerksam angehört wurden.“ Und so bleiben weiterhin Tausende Männer und Frauen in Haft in dem Gefängnis aus Orangen, Orangen über Orangen.
(aus dem Italienischen von Renate Albrecht)