Die Ankünfte in Pozzallo

Gestern
Nachmittag gegen 15:30 Uhr lief ein maltesischer Öltanker im Hafen von Pozzallo
ein: An Bord waren 208 Migranten, ausschließlich Männer, zum Teil aus Gambia
und Mali. Alle Männer waren trotz der vielen Stunden auf hoher See bei guter
Gesundheit. Die Migranten wurden von einem Frachtschiff gerettet und in der
Nähe der Ölplattform Vega der Firma Edison, etwa 12 Meilen vor dem Hafen von
Pozzallo, auf das Frachtschiff umgeschifft.
Nach dem die
Migranten an Bord medizinisch untersucht wurden, wurden sie auf der Mole als
Flüchtlinge registriert und ihnen wurde ein Identifizierungs-Armband umgelegt,
sie wurden in einem Sanitätszelt erneut untersucht und von der Polizei
durchsucht. Die Migranten wurden in das Aufnahmezentrum in Comiso und das CPSA
(Zentrum zur Ersten Hilfe und
Erstaufnahme) nach Pozzallo,
wo jetzt schon 500 Migranten untergebracht sind, verteilt. Weitere 100
Personen sind gegen 19:30 Uhr im Hafen von Pozzallo auf einem panamaischen
Frachtschiff (Evicement III) angekommen.

Auf dem Hafenkai
herrschte die übliche Show: Vier Fernsender, davon ein russischer, waren
vertreten, um die Anlandung und die polizeiliche Durchsuchung zu filmen. Die
Reporter trugen alle einen Mundschutz und schienen nicht gut informiert zu sein
über die Dynamiken und den gewohnten Ablauf der Anlandungen. Nichtsdestotrotz
filmten sie und interviewten die zuständigen Behörden. Eine sehr nette,
russische Journalistin versicherte mir, dass im Erstaufnahmezentrum in Pozzallo
alles in bester Ordnung, sauber und ordentlich sei. Die Migranten seien froh,
endlich in Pozzallo angekommen zu sein, nach all dem was sie bereits erlebt
hätten. Für sie sei jeder Ort besser als der, den sie gerade verlassen haben.
Pozzallo sei das Gegenteil von Mineo, das sei nämlich die Hölle auf Erden. Es
fällt mir nicht schwer ihr zu glauben.

Obwohl ich
erleichtert bin zu hören, dass die Situation im Zentrum für erste Hilfe und
Erstaufnahme in Pozzallo für die Flüchtlinge menschenwürdig und angenehm ist,
weiß ich, dass die Organisation des Zentrums genau wie in anderen Zentren auch
kompliziert ist. Laut der Vereinbarung zwischen der Präfektur und dem Betreiber
des Zentrums hat die Einrichtung 80 Angestellte, von denen nur zwei Sozialarbeiter
und einer Kulturmittler sind. Die anderen Mitarbeiter wenden sich auch oft
Aufgaben wie psychologischer Beratung oder kultureller Mediation zu, obwohl sie
dafür nicht die geeignete Ausbildung haben und laut Vertrag als normale
Sozialpflegehelfer arbeiten.

Durch das Fehlen
von professionellem Personal sind die Mitarbeiter oft auf bestimmte Situationen
nicht vorbereitet und können nicht entsprechend reagieren. Das führt dazu, dass
sich die Aufnahme nur auf die Ausgabe von Essen sowie auf die Verteilung von
materiellen Gütern wie Kleidung, Schuhen und Telefonkarten beschränkt. Wir
haben schon oft gehört, sei es von den Migranten als auch von den Mitarbeitern,
dass es zwischen den Nutzern der Einrichtung und den Mitarbeitern keinerlei
Beziehung gibt. Gründe dafür sind erstes sprachliche Barrieren aber auch
schlichtweg Desinteresse.

Uns wurde aber auch
gesagt, dass andererseits die Personen, die in engem Kontakt mit den Migranten
stehen, oft sehr gestresst sind. Vor allem die Mitarbeiter, denen bewusst ist,
was ihre Rolle in den Aufnahmezentren ist und welche wichtige Funktion sie
einnehmen und die dadurch die Probleme und Mängel des System begreifen, sind
hohem Stress ausgesetzt. In dieser angespannten Situation ist das Risiko, dass
es zu Burnout oder Mobbing kommt sehr hoch. Die Mitarbeiter werden nicht
entsprechend unterstützt, es mangelt an Professionalität und die Mitarbeiter
werden nicht angemessen psychologisch und technisch geschult. Das führt zu
starken Stress, Motivationsverlust, Desinteresse für die Situation der Flüchtlinge,
Auftreten von Nervosität und Fahrigkeit sowie Zynismus angesichts der eigenen
Arbeit.

Den Mitarbeitern
ist oft nicht bewusst, wie wichtig ihre Arbeit angesichts der Not der Migranten
und diejenigen, die das nötige Know-How mitbringen, können trotzdem nicht
professionell arbeiten und somit den Migranten helfen, weil ihnen die
Unterstützung durch den Betreiber oder andere Mitarbeiter fehlt.

Angesichts des
Ausnahmezustands und der häufigen Ankünfte werden die Standards der Aufnahme
immer weiter runtergeschraubt. Es scheint fast schon absurd sich in diesen
Tagen über die Qualität der Anlandung und Aufnahme Gedanken zu machen. Man
sollte sich aber daran erinnern, dass die „Nutzer der Einrichtungen“, wie sie
oft genannt werden, Menschen sind, die starke Traumata erlitten haben und die
in hohem Maße vulnerabel sind. Diese Menschen müssen früher oder später
außerhalb der Aufnahmezentren leben, eine Arbeit finden und sich in unserer
Gesellschaft zu Recht finden. Die Mitarbeiter in den Aufnahmeeinrichtungen
haben eine große Verantwortung, weil sie die Schlüsselfiguren der ersten
Aufnahme und damit der erste Stein für die Integration sind.

Die Redaktion
von Borderline Sicilia

Aus dem Italienischen
von Lisa Groß