Die Schlacht von Lampedusa, 2. Teil

Von Alessio GenoveseIn diesen Tagen haben wir die Vorkommnisse von Lampedusa verfolgt, in Angst um das Schicksal Hunderter von Tunesiern, die illegal festgehalten, brutal massakriert und ungerechtfertigter Weise nach Tunesien zurück geschickt wurden. Schon seit Monaten geht es so zu, gleichzeitig herrscht völlige Gleichgültigkeit bei den Italienern und Unfähigkeit der Medien, die sehr gut darin sind, die Notiz des Tages zu verhüllen, ohne jemals auf die Fakten zu sehen und auf die Folgen, die sie haben könnten. Das, was wir auf Lampedusa gesehen haben, ist nicht normal – jedenfalls nicht für ein demokratisches und zivilisiertes Land.Die Feindseligkeit, welche die Ordnungskräfte gegenüber den Journalisten und Aktivisten an den Tag gelegt haben, ist ein Symptom eines kranken Systems, in dem niemand mehr den Kontrolleur kontrolliert. Die Wut der Lampedusaner dagegen, die sich in Hass gegenüber den Immigranten verwandelt hat, bedeutet den Anfang eines Krieges, der im Innern dieser Zivilgesellschaften ausgetragen werden wird. Denn es gibt nicht eine tunesische Zivilisation und eine lampedusanische Zivlisation, es gibt nur eine einzige mediterrane Zivilisation. An keinem anderen Ort als in Lampedusa begreift man, dass der Krieg um die Zivilisation ein Kunstmittel der aktuellen Kommunikation ist. Die Verschärfung des Tones in der Politik, welche die Debatte ihres Sinnes entleert, indem sie sie bis zur Unendlichkeit ausdehnt, hat uns völlig vom generellen Schlendrian abgelenkt. In diesem Stadium sind es immer die Gleichen, welche einen Vorteil aus der Situation ziehen: Atemlose Politisierer und Geschäftemacher der letzten Stunde, welche einst am Tisch der Geschichte gerichtet werden. Auf der anderen Seite erheben diejenigen, welche die Opfer der Geschichte zu sein scheinen, den Kopf und kämpfen darum, ihre Freiheit wieder zu gewinnen. Vielleicht stimmt es, dass die Tunesier, die auf Lampedusa landen, eine Schlacht schlagen. Sie haben sich entschieden, dem Feind mit bloßen Händen zu begegnen, mit ihren Körpern und offenem Visier. Sie schlagen eine kulturelle Schlacht. Es geht darum, eine Definition, ein Konzept niederzuschlagen: Das Konzept einer Grenze, so wie wir sie heute kennen.Vielleicht ist ihnen gar nicht bewusst, was sie tun, und sie attackieren genau die Essenz der Moderne des Rechtsstaats. Das ist nicht der Krieg, zu dem der Bürgermeister von Lampedusa, Dino de Rubeis, aufgerufen hat. Auf diese Weise werden die Lampedusaner Lampedusa nicht “retten”. Sie müssen sich nicht verteidigen. Rom, die Regierung und das Ministerium, die Nachrichten-Redaktionen in Fernsehen und Zeitungen. Sie sind es, die ein Klima des Kriegs und der Angst im Hinblick auf den Anderen, den Fremden, hervorgerufen haben. Lampedusa ist “der äußerste Zipfel Italiens unter Waffen”, so rezitiert es das Denkmal für die Gefallenen, das über dem Hafen der Insel emporragt. Die Grenze, die zur Landesgrenze wird, bis zu den Zähnen bewaffnet. Übungsfeld für den Krieg, der später kommen wird. Den sie gegen uns führen werden, diejenigen, die von der Allergie des arabischen Frühlings angesteckt werden. Diejenigen, die es leid sind, ohne Zukunftsperspektiven in einem mittelmäßigen Land zu leben. Diejenigen, die vom Süden in den Norden ziehen und von dort ins Ausland. Die jungen Leute, die bis zum Alter von 50 Jahren junge Leute bleiben, und diejenigen, die von Praktika und Ehrenamt leben. Was würde passieren, wenn sie uns mit ihnen reden lassen würden? Was würde passieren, wenn sie erführen, dass unsere Geschichten ebenso gehen wie die der jungen Tunesier? Wovor haben sie Angst?
Lampedusa war in diesen Tagen ein Beispiel für das, was in Italien jeden Moment passieren könnte. Wir haben die Männer von der Guradia di Finanza (Zollpolzei mit bundespolizeilichen Aufhaben) gesehen, wie sie mit ziemlich trendigen Uniformen spazieren gingen. Da gab es das T-shirt mit der Aufschrift “G8 2001, ich war da” auf dem rechten Ärmel und das mit einem Detail mehr auf der Rückseite “Söldner”.Den Journalisten wurde es verwehrt, ihrer Arbeit auf korrekte Weise nachzugehen. Lampedusaner und Ordnungskräfte haben verhindert, dass sie mit den etwa 300 Tunesiern sprechen könnten, die in einem friedlichen sit-in am Ortseingang saßen, indem sie die Kameraleute und Fotografen bedrohten, einschüchterten und sie sogar schlugen. Die veröffentlichten Bilder gingen durch eine doppelte Kontrolle vor und nach den Fakten. Die einzigen, die alles fotografiert und gefilmt haben, sind die Polizisten. Eine äußerst sorgfältige Selektion hat den Teil entfernt, in dem man Gesichter und Verhalten der dreinschlagenden Lampedusaner sehen konnte. Man sah die Szenen nicht, bei denen Männer in Uniformen der “Lampedusa Accoglienza (Aufnahme)”, der Genossenschaft, die ihre Dienste im Aufnhamelager Contrada Imbriacola leistet, die die Tunesier mit Stöcken, Eisen und Steinen schlugen. Und die Zeitungs-Redaktionen suchten und wollten nur diesen Aufnahmen, “auf denen die Tunesier die Lampedusaner angegriffen haben”, “das mit dem Jungen, der mit einem Feuerzeug versucht hat, die Gasflaschen zum Explodieren zu bringen”. Bilder, die es nicht geben konnte, denn die Tatsachen haben sich anders zugetragen.
In Lampedusa haben wir die Tunesier nach den Angriffen vom 21. September mit sichtbaren Zeichen von Schlägen und erfahrener Gewalt abfahren sehen. Wir haben sie gesehen, wie sie im Gänsemarsch zwischen zwei Polizisten auf ein Flugzeug und auch auf ein Schiff zu gingen. Niemand bekam die Gelegenheit, sie zu fragen, wie sie zu den Verletzungen an ihren Beinen und Armen gekommen seien. Alles vertuschend wurden die Verlegungen und Rückschickungen vorgenommen. Die Gesetzwidrigkeiten und der Missbrauch, die sie erfahren haben, werden keine Folgen haben. Jedenfalls denken das die kurzsichtigen Maulwürfe, die uns regieren, und diejenigen, die die Befehle befolgen, ohne sich noch um die Gesetze Gedanken zu machen. Sie wissen nicht, dass das, was in Lampedusa passiert ist, nicht nur dem Ankommen von Flüchtlings-booten kein Ende setzen wird – die tunesischen Häfen sind voll von Personen, die auf ihre Abfahrt warten – sondern dass das ernsthafte Risiko der Entwicklung einer Spirale der Gewalt gegen Italiener in Tunesien besteht. Was würde passieren, wenn auch sie, die Tunesier, damit anfingen, uns zu hassen? Die Firmen, die Unternehmen und die Italiener, die in Tunesien leben? Was werden die Hunderte von Familien sizilianischer Herkunft im Viertel “Klein-Sizilien” in La-Goulette zu ihren tunesischen Nachbarn, Kollegen und Angestellten sagen? Kann sich Italien all das erlauben? Die Vergeudung von Geld und die Konsequenzen, welche diese Politik der Handhabung der Immigration haben könnte im Hinblick auf die Beziehungen zwischen den Ländern, sollte Anlass zum Denken an die Langzeitfolgen sein.
Die Aufgabe eines Journalisiten besteht darin, von Tatsachen zu erzählen, mit den Menschen zu reden, hin zu gehen und mit den eigenen Augen zu sehen – und menschlich zu bleiben. Nur so konnten wir Mehdi kennen lernen. Einen Schüler von 19 Jahren in der letzten Klasse des naturwissenschaftlichen Gymnasiums. Mehdi schafft sich Platz inmitten der Menge, nähert sich lächelnd und wiederholt ein paar Male: “Wähle eine Zahl, wähle eine Zahl…” (das Spiel funktioniert folgendermaßen: Du wählst eine Zahl und multiplizierst sie mit 2. Zähle X dazu und teile durch 2, dann subtrahierst du die Zahl, die du zuerst gewählt hast, und das Resultat wird die Hälfte von X sein). Mehdi hat einen Bruder, der seit Jahren in Legnano arbeitet und mit seiner Familie lebt, seine Schwester lebt seit 15 Jahren in Nizza. Er träumt davon, nach Frankreich zu gehen, um dort mit seiner Schwester zu leben und sich an der Mathematischen Fakultät einzuschreiben. Er schwört, dass er – wenn sie ihn nach Tunesien zurück schicken, es weitere 100 Male versuchen wird, wieder nach Europa zu kommen. Das ist seine Schlacht.