Quarantäneschiffe: ein Modell, das für Rückführungen gedacht ist. Einblicke einer Rechtsberaterin

Artikel vom 25. November 2021

Micromega.net – Quarantäneschiffe für Migrant*innen werden genutzt, um tunesische Bürger*innen rückzuführen und Menschen aus dem Maghreb Aufforderungsbescheide zum Verlassen des Landes auszuhändigen

„Quarantäneschiffe sind dafür geschaffen, schnelle Rückführungen von Tunesier*innen zu erwirken und andere Menschen aus Nordafrika zu verbannen, es gibt keine andere Erklärung. Ich weiß es, weil ich einen Monat lang auf einem dieser Schiffe gewesen bin, und die Ereignisse weiterhin durch Informationen, die ich von Bord erhalte, verfolge. Mit den Schiffen wird Zeit gewonnen, um Daten der Tunesier*innen, Ägypter*innen, Algerier*innen und Marokkaner*innen aufzunehmen, und sie direkt bei der Anlandung, oder nach einer kurzen Zeit im Abschiebelager (CPR*) zurückzuführen.“

Daniela (Fantasiename) ist Rechtsberaterin. Vor ihrer Arbeit auf Quarantäneschiffen war sie lang in Aufnahmezentren tätig, sowie bei Organisationen, die sich mit dem Rechtsschutz von migrierenden Menschen befassen.

„Der Missionsleiter hat mich einmal gefragt, warum ich so viel Zeit mit den Tunesier*innen verliere, da sie sowieso alle bald rückgeführt werden. Ich sollte mich lieber auf die Menschen aus der Sub-Sahara Region konzentrieren,“ erzählt uns Daniela als wir uns treffen, um dieses Interview aufzuzeichnen. Sie hat uns kontaktiert, nachdem sie den ersten Teil unserer Recherchearbeit zu Quarantäneschiffen gelesen hat. Auch andere Menschen, die mit ihr an Bord waren, haben das getan – manche, um das zu bestätigen, was wir in den Interviews wiedergegeben hatten. Andere, um dem komplexen Puzzle, das während der pandemischen Notsituation entstanden ist, weitere Teile hinzuzufügen. Es bleiben jedoch immer noch viele offene Fragen.

„An Bord werden selbst die Grundregeln zur Covid-Infektionsprävention nicht eingehalten. Zum Beispiel sollten die Kabinen für vier Personen in den Fähren nur von einer bis maximal zwei Personen belegt werden, dennoch sind oft 3-4 Personen darin, sie sind voll,“ erzählt uns die Rechtsberaterin. „Das Gleiche gilt für die Essensausgabe: alle stehen eng beieinander in der Schlange – perfekte Bedingungen für eine Ansteckung.“

Warum gibt Italien deiner Meinung nach zwei Millionen pro Monat für jedes Schiff aus, das für die Quarantäne der Migrant*innen vorgesehen ist?

„Weil sie dadurch Zeit gewinnen, um alle Menschen zu identifizieren, die aus dem Maghreb kommen, und gleichzeitig Charterflüge zu organisieren für die Rückführungen, oder eben die Aufforderungsbescheide zum Verlassen des Landes zu verteilen. Italien hat eine Vereinbarung für schnelle Rückführungen mit Tunesien getroffen. Algerien, Ägypten und Marokko werden jedoch als sichere Herkunftsländer eingestuft, genauso wie der Senegal und Ghana, deswegen werden Aufforderungsbescheide verteilt. Das Problem dabei ist, dass wenn du aufgrund deiner sexuellen Orientierung oder als Teil einer Minderheit verfolgt wirst, es unmöglich ist, diese Tatsachen in so kurzer Zeit geltend zu machen.“

Der Aspekt, den Daniela anspricht, ist zentral, um das Aufnahme- und Asylmodell zu verstehen, das sich im Namen des Ausnahmezustands der letzten Jahre in der Praxis sehr verändert hat. Wo zuvor individuelle Anträge gestellt und geprüft werden mussten (wie es die internationalen Vereinbarungen vorsehen), werden jetzt schnelle Ablehnungen verteilt, und als Grund wird die Herkunft eines Menschen angegeben. Diese neue Herangehensweise, die mit der „Ausnahmesituation“ gerechtfertigt wird, nimmt in keinster Weise individuelle Gründe in den Blick, die mit persönlicher Verfolgung, oder eben mit der Zugehörigkeit zu einer Minderheit zusammenhängen.

80% der im Jahr 2020 zurückgeführten Menschen sind Tunesier*innen. Das alles geschieht in kürzesten Zeiträumen, so schnell wie Flüge organisiert werden können.

„Die Rechtsberatung war am Anfang gar nicht vorgesehen, sie wurde erst im Nachhinein erkämpft mit dem Einsatz der ASGI*. Die Arbeit an sich hat sich mit der Zeit sehr verändert, und unser Aufgabenbereich zunehmend ausgehöhlt,“ erzählt uns Daniela. Anfangs konnte sie beispielsweise mittels anonymisierter Personencodes weitergeben, wer beabsichtigte, politisches Asyl zu beantragen. „Es war nicht rechtsverbindlich, aber es war schon einmal eine erste Liste, die an Bord aufgenommen wurde. Wahrscheinlich haben die Präfekturen die Methode geändert, weil sie so viele Anträge zu bearbeiten hatten. Die Absicht dahinter ist es, vor einer Antragstellung abzuschrecken. Jetzt werden die Asylanträge nämlich von Polizist*innen am Hafen eingesammelt. Die Kulturmittler*innen tun es den italienischen Institutionen gleich und animieren die Menschen, etwas zu unterschreiben, ohne dabei zu erklären, dass es sich dabei um eine Verzichtserklärung eines Asylantrags handelt.“

Danielas Erfahrung an Bord ist noch nicht lange her. So hat sie sehr viel zu erzählen, auch Dinge, die sie bisher für sich behalten hat und jetzt aber zur Sprache bringen will: „Weißt du, es gibt nicht viele Möglichkeiten das anzuzeigen, was an Bord geschieht. Die Medien kümmern sich nicht groß um dieses Thema und sind nicht leicht zu erreichen. Wenn die Regierung meint, dass dieses Quarantänesystem nützlich ist, sollten sie erfahren, dass bei vielen Anlandungen die Fährgesellschaft GNV weder Kabinen noch Decks gut sterilisiert. So wurden viele Menschen an Bord negativ getestet, die kurze Zeit später, ohne erklärlichen Grund positiv werden: das hängt oft damit zusammen, dass bei einer Anlandung positiv Getestete dabei waren, und bei der Einschiffung einer anderen Gruppe nicht ordentlich sterilisiert wurde.“

Daniela erzählt uns auch von der Prostitution und dem Menschenhandel, von den ivorischen Frauen*, die mit der Zeit diejenigen aus Nigeria ersetzt haben. Die Ausbeutung ist die gleiche geblieben: „Sie haben sich schon an Bord prostituiert. Abends war vor ihren Kabinen immer eine Schlange an Männern, die darauf warteten, Geschlechtsverkehr zu haben.“ Die ivorischen Frauen* reisen immer in Begleitung von Männern, die Mitglieder der Organisation sind, die für ihre Sklaverei verantwortlich ist. Sie erpressen sie, indem sie die Familie, die in der Elfenbeinküste geblieben ist, bedrohen. Die Sklaverei der Prostitution beginnt schon bevor diese Frauen* an Land gehen.

In einem unserer ersten Interviews im Rahmen dieser Recherchearbeit hatte uns der Psychologe Fabrizio von der Schwierigkeit erzählt, Frauen*, die Opfer von Menschenhandel sind, zu helfen. Es sind beispielsweise keine separaten Räume vorhanden, die nach Geschlecht getrennt sind, sondern nur Kabinen auf dem gleichen Deck. Zusätzlich zur Begünstigung von Menschenhandel und der Sklaverei von Frauen werden auf diese Art die Regeln zur Covid-Infektionsprävention nicht eingehalten, ja sogar die Infektion noch begünstigt.

Während ihrer Zeit an Bord hat Daniela auf eigene Faust Daten recherchiert zu den Anlandungen und den Einschiffungen auf den Quarantäneschiffen. Sie ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tunesier*innen viel Zeit an Land verbringen, ungefähr die Länge einer Quarantäne in den Aufnahmezentren, bevor sie an Bord kommen. Wer allerdings aus Herkunftsländern ankommt, die als unsicher eingestuft werden, wird fast sofort eingeschifft. „Wer aus Tunesien kommt, macht zwei Mal Quarantäne und wird dann zurückgeführt“, sagt Daniela.

Das italienische Innenministerium kündigt derweil an, dass an einem Dekret gearbeitet wird, das die Migrationsströme aus Tunesien und Libyen anlässlich der Saisonarbeitsperioden regeln soll. Diese Länder gelten aus unterschiedlichen Gründen als instabil, Arbeit ist dort knapp.

Libyen hat einen 10-jährigen Bürgerkrieg hinter sich und sucht Stabilität in dem Wahlgang, der in den nächsten Wochen stattfinden soll. Tunesien ist politisch sehr instabil, zudem hat Corona den Tourismus und die informellen Wirtschaftssektoren zum Halten gebracht – zwei Wirtschaftszweige, die für den Landeshaushalt wichtig sind. So versuchen die Mittelschicht und Ärmere über das Meer nach Europa zu kommen, und über Italien hauptsächlich nach Frankreich zu gelangen.

Was sie allerdings hier vorgefunden haben, ist ein Modell, das zur augenblicklichen Rückführung gedacht ist.

 

Valerio Nicolosi

 

*CPR: Centro di Permanenza per il Rimpatrio – Abschiebegefängnis
*ASGI: Associazione per gli Studi Giuridici sull’Immigrazione – Verein für juristische Studien zur Immigration

 

Übersetzung aus dem Italienischen von Alina Dafne Maggiore