Special Abschiebungshaft (CIE) – Von Lampedusa bis Rom und Mineo: Eine Charta zur Schließung aller Haftzentren!

Meltingpot.org von Davide Carmemolla – Die Charta von Lampedusa fordert die sofortige Abschaffung der Abschiebungshaft und die Schließung aller Zentren, wie immer sie heißen mögen, und aller Auffanglager – seien sie nach geltendem Recht oder lediglich nach Dekreten und Regelungen, die der Verwahrung und Freiheitsberaubung der Menschen vorangehen, eröffnet. Sie fordert zudem die grundlegende Umwidmung der bis dato für diese Zentren zur Verfügung stehenden Mittel für soziale Einrichtungen, die allen dienen.
Von diesen Worten und diesen Prinzipien starten wir alle nach der außergewöhnlichen Erfahrung in Lampedusa, um ein klares Nein gegen alle Lager auszusprechen, in denen Migranten festgehalten, beleidigt und misshandelt werden. Die Charta von Lampedusa dient als Initialzündung für den Protest – für die Demonstrationen für die Schließung der Abschiebungshaft von Ponte Galeria in Rom am Samstag, 15. Februar, und des CARA (Zentrum für Asylsuchende) in Mineo am Sonntag, den 16. Februar. Zwei Demonstrationen, die den Erfahrungen aus Lampedusa Rechnung tragen und denen weitere Initiativen in ganz Italien folgen, um gegen Abschiebungshaft und die großen Auffanglager zu protestieren.

Schauen wir also noch einmal zurück auf die verschiedenen Orte der Haft in Italien, beginnen wir mit den sich immer mehr konkretisierenden Protesten gegen die Abschiebungshaft und die Ausgrenzung, hören wir die Stimmen der Aktivisten, die drei Tage auf Lampedusa verbracht haben, um die Charta di Lampedusa zu schreiben.

Rom: Zugenähte Münder, um endlich gehört zu werden
Ponte Galeria ist eine der wenigen noch aktiven Abschiebungshaften in Italien (von insgesamt 13). Aber auch hier scheinen die Tage gezählt. Seit einigen Wochen protestieren die Migranten und Migrantinnen gegen die inhumanen Verhältnisse im Lager, indem sie die Nahrungsaufnahme verweigern und sich die Münder zugenäht haben. Viele haben die entsetzlichen Bedingungen, unter denen die Migranten und Migrantinnen im Lager leiden müssen, bereits angeprangert und zu Gehör gebracht (darunter vor allem der Bericht von MEDU (Ärzte für Menschenrechte: “Die höchsten Schranken”). La Roma Meticcia hat für Samstag, 15. Februar, um 15:00 Uhr eine Demonstration in Richtung der Abschiebungshaft Ponte Galeria angekündigt, um deren endgültige Schließung zu fordern. “Denn die Abschiebungshaften”, so die Organisatoren, “lassen sich nicht reformieren, sie müssen endlich geschlossen werden.” Interview mit Giansandro Merli – ESC Infomigrante

Sizilien: Vom CARA in Mineo über Caltanissetta, Pozzallo und Messina bis hin zu den neuen Ausprägungen der “kreativen Verwahrung”
Sizilien war und ist ein deprimierendes “Labor”, was das Experimentieren mit den verschiedenen Methoden der Verwahrung und Freiheitsberaubung angeht. Das riesige Zentrum für Asylsuchende in Mineo, in dem 4500 Personen eingeschlossen sind, ist hier das gravierendste Beispiel, doch auch in vielen anderen Fällen wird geltendes Recht außer Kraft gesetzt – so auch im Zentrum für Asylsuchende in Caltanissetta. Mit einem zweifachen Ziel: Erhöhung des Gewinnes sowie Annullierung der Existenz der Migranten. Viele Auffanglager werden willkürlich eröffnet und wieder geschlossen, je nach dem, wieviele Migranten gerade ankommen. In den letzten Monaten wurden dabei neue Formen der Verwahrung in Schulen, ehemaligen Krankenhäusern und Sporthallen ausprobiert, die die Insel mit einem Netz von Verwahrungslagern überziehen.
Die antirassistischen Gruppen Siziliens rufen am 16. Februar um 10:00 Uhr zu einer regionalen Demonstration auf, um gegen das CARA in Mineo und für die Schließung aller Auffanglager zu protestieren. Interview mit Alfonso di Stefano, Elio Tozzi, Giovanna Vaccaro

Bologna: zwischen „verbotenen“ Aufschriften und dem Schatten der Neueröffnung
Die Abschiebungshaft in der Via Mattei in Bologna ist geschlossen. Jedenfalls im Moment. Laut offiziellen Quellen jedoch sind bereits Renovierungsarbeiten im Gang, um es wieder eröffnen zu können. Doch die Aktivisten vom TPO in Bologna halten dagegen: „Wir halten Wache, dass dieses Konzentrationslager nie wieder geöffnet wird, auch nicht mit einem frischen Anstrich humanitärer Garantien.“ Doch offensichtlich gibt es auch Anstriche, die der Regierung und den Ordnungskräften zuwider sind: Am 18. Dezember bei einer Versammlung von 250 Aktivisten, hatte lediglich der Versuch, „Nie wieder Abschiebungshaft“ an die Mauern des Lagers zu schreiben, einen massiven Einsatz von Polizei und Carabinieri zur Folge, deren Angriff auf die Demonstranten zu einer gebrochene Hand und einer Kopfverletzung führten. Interview mit Neva Cocchi – cs TPO

Gradisca: Endgültige Schließung
Es wäre falsch, eine „Hitliste des Schreckens“ für die Abschiebungshaften in Italien zu erstellen, nichtsdestotrotz muss die Abschiebungshaft in Gradisca als Schauplatz einige der verabscheuungswürdigsten Formen von Verwahrung und Gewalt hervorgehoben werden. Es ist außerdem eine Grenze innerhalb der Grenze, eine doppelte Schicht von Gittern und Mauern. Hier wie in Bologna haben die Proteste der Migranten die Schließung des Lagers zur Folge gehabt, aber die Migranten sind in andere Verwahrungslager, vor allem nach Trapani gebracht worden (wo das Auffanglager von Milo von März an acht Monate geschlossen sein wird, um jedoch dann wiederzueröffnen. Laut des Präfekten von Trapani „wird es dann einem Gefängnis ähneln, aber auch mehr Sicherheit bieten“.)
Auch in Gradisca besteht die Gefahr einer Wiedereröffnung der Abschiebungshaft oder einer Erweiterung des angrenzenden CARA. Wie die Rete del Friuli Venezia Giulia gegen Abschiebungshaft (Netzwerk des Friaul Julisch Venezien gegen die Abschiebungshaft) bestätigte, „ist es nicht eindeutig, ob die Abschiebungshaft etwa einer Modernisierung und – unmöglichen – „Humanisierung“ unterzogen wird. Dem darf nicht einmal der kleinste Handlungsspielraum gegeben werden, ganz im Gegenteil muss das Auffanglager für immer geschlossen bleiben.“
Am 16. November zog eine große Demonstration durch Gradisca bis zur Abschiebungshaft, wo in allen Sprachen „Freiheit“ auf die Mauern des Lagers geschrieben wurde. Denn die Freiheit kann nur außerhalb dieser Mauern existieren. Interview mit Genni Fabrizio – Tenda per la pace e i diritti

„Lasst uns rein in die Abschiebungshaft“
In Lampedusa versammelten sich auch die Organisatoren der Kampagne „Lasst uns rein in die Abschiebungshaft“ (im Italienischen ein Wortspiel, da CIE Abschiebungshaft bedeutet, lasciateCIEntrare übersetzt: „lasst uns hinein“ heisst, Anm. der Redaktion). Es folgt das Interview mit ihrer Sprecherin Gabriella Guido.

Viele Stimmen und viele Aktivitäten, die das fordern, was in der Deklaration von Lampedusa geschrieben steht: Niemand darf unter keinen Umständen seiner persönlichen Freiheit beraubt werden. Am 15. und 16. Februar werden die Demonstrationen in Rom und in Mineo diese Forderung laut machen und die Mauern zum Einsturz bringen, die das Verbot zu leben von der Freiheit zu leben trennen.

Aus dem Italienischen von Janika Gelinek