Einwanderungsschalter CS: Caltanissetta ist am Ende

Seit Jahren kümmern wir uns hier um Fremde, deshalb haben
wir das Privileg zu hören, wie diese fremden Augen unsere Stadt sehen. Im Laufe
der letzten zehn Jahre hat sich das Stadtbild
verändert. Zuvor war Caltanissetta ein gleichgültiger Ort, der sich für
seine Gleichgültigkeit schämte. Dann musste wohl oder über reagiert werden,
denn Gleichgültigkeit gilt als schlecht, als etwas für das man sich schämen
muss. Doch die Schwelle der Scham stieg langsam an, und Caltanissetta’s
Einwohner schämten sich immer weniger über den kulturellen Verfall ihrer Stadt.

Seit geraumer, viel zu langer Zeit gibt es Favelas in
Caltanissetta. Orte und zwar nicht wenige, in denen Menschen ohne Nichts leben.
Wir sind müde geworden dies zu wiederholen. Caltanissetta hat sich weiterhin
auf eine Position gerückt, auf die sie nicht gehört; die Postition einer
Millionenmetropole mit Favelas. Das Problem jedoch ist: Caltanissetta ist bloß
ein Städtchen; wenig schön und wenig heiter, im sizilianischen Innland. Eine
Stadt mit 60.000 Einwohnern, die nur schwer überlebt (Ironie des Schicksals,
dank der Ausländer). Aber mit Favelas.

Wir, und nicht nur wir sind in die Favelas gegangen, um uns
die Scheusale anzusehen. Was wir vorgefunden haben, brauchen wir denen, die
nichts sehen und hören wollen nicht zu erzählen. Aber eine Sache sollte
trotzdem gesagt werden: wir haben Kranke getroffen, die sich selbst überlassen sind
und Geschichten gehört, von angeforderten Krankenwagen, die nie eingetroffen
sind, von Hilferufen an die Ärzte von Pian del Lago, die ungehört blieben. Uns
wurde von schwachsinnigen Kinder erzählt, die mit
Orangen nach Ausländern schmeissen, wenn sie ihnen auf der Straße begegnen. Vor
einigen Wochen, am Morgen des 23. November, hat sich dann das Unfassbare ereignet. Ein Team von Ärzte ohne
Grenzen ist in die Favelas gekommen, um die dort lebenden Menschen zu besuchen.
Die Organisation ‚Ärzte ohne Grenzen‘ ist in Kriegsgebieten im Einsatz, in Flüchtlingslagern und in Caltanissetta.
Eine Stadt, in der kein Krieg herrscht und es keine Flüchtlingscamps gibt; wie
auch immer man es sonst nennen mag. Eine Stadt im Zentrum einer Insel die im
Zentrum des Mittelmeeres liegt. Eine Stadt in einem der reichsten Länder der
Welt. Der Besuch von Ärzte ohne Grenzen hat ein für alle Mal bestätigt, dass es
auch beim Gesundheitsschutz auf die richtige Hautfarbe und die richtigen Papiere ankommt.

Bist du Weißer, rufst du den Krankenwagen. Wenn nicht,
hoffst du bis zum Eintreffen des Teams von Ärzte ohne Grenzen
durchzuhalten.

Die Redaktion von Borderline Sizilien

Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner