Gründe einer Flucht: Die abgewiesene Aufnahme

Flore
Murard Yovanovitch – Es
sind angeblich über 150 Flüchtlinge aus dem Erstaufnahmelager
(CPSA) von Pozzallo, in der Provinz von Ragusa, geflohen. Entgegen einer maximalen Aufnahmekapazität von 130
Plätzen, hatte das Zentrum nach der letzten Ankunft von 208
Flüchtlingen am Samstagnachmittag mehr als 400 „untergebracht“.
Gelegen in einem Hafen, in einer Freizone, erhebt sich die Zollhalle
hinter einer weiteren Einzäunung, Toren und Stacheldraht. Diese
Gitter habe ich letzten 3. September während eines erlaubten Besuch
überschritten.

Ein
glühend heißer Hof. Der Schlafsaal, ein riesiger Raum von 400 auf
dem Boden ausgefransten Matratzen, ohne Bettbezug, wo Männer jeden
Alters und jeder Herkunft, sogar Minderjährige zusammen schlafen,
Kopf an Fuß. Nachts kommt man zwischen Getümmel, Schreien, Musik
und Gewalttätigkeiten nicht zum schlafen. Ein kleiner durchsichtiger
Pavillon der Polizei, sogar in dem Ruheraum und 24 Stunden
Videoüberwachungsmonitor im Büro des Zentrumdirektors. Das waren
die letzten Sicherheitsmaßnahmen für ein Lager das schon Krawalle
in der Vergangenheit erlebt hatte.

Keine
Kantine, das Mittagessen – „Makkaroni“ jeden Tag – wird sitzend
auf den wenigen im Schatten stehenden Bänken eingenommen. Weder
funktioniert die Wäscherei, noch der Friseurdienst, keine
Privatsphäre in den Duschräumen und minimale hygienische Standards.
Ein einziger Sprachmittler in arabisch für 200 Flüchtlinge, keiner
für Englisch, zwei Sozialarbeiter, zwei vom Zentrum angestellte
Ärzte, die im Turnus arbeiten, von denen einer auch der von der
Hafenwacht, autorisierte Arzt ist, der für die sanitären Kontrollen
auf den Schiffen (und daher mit den vielen Landungen beschäftigt )
zuständig ist. Aber es gibt keine psychologische und
posttraumatische Betreuung für die Flüchtlinge, die Trauma erlebt
haben. Die Unterkunft ist bis auf das minimalste unter allen
internationalen Standards reduziert und verletzt verschiedene Artikel
der Ausschreibeklausel (zur Führung des CPSA im November 2008).

Dem
Zentrum in Pozzallo fehlt es vor allem dramatisch an einem
rechtlichen Beistand und einer Orientierungshilfe für die
Flüchtlinge und potentielle Asylantragssteller. An diesem extremen
Ufer des südöstlichen Siziliens landen in der Tat nicht nur
Wirtschaftsflüchtlinge aber Flüchtlinge aus den Konflikten in
Äthiopien, Eritrea, Somalia und jüngst auch aus Ägypten.

Menschen
die in ihren Herkunftsländern, Opfer von Verhaftung und Verfolgung
wurden und die zu Fuß durch die Sahara und dann durch das Post
Ghaddafi Lybien, das die Subsaharier schwarzer Hautfarbe
diskriminiert und verfolgt, geflohen sind; manche die sogar Monate
oder Jahre in den berüchtigten Lagern interniert wurden und flohen
indem sie sich einschifften. Und hier sind sie, diese verletzbaren
Subjekte, ohne rechtlichen Schutz noch richtige Information über
ihren Status.

Als
einziges „Dokument“: die Plastikarmbänder am Puls mit dem
Identifikationskodex (der zum Essen, Wiederaufladungen und den
Ausgängen dient), diese Ziffer die den Platz deines Namen und
Identität eingenommen hat. „So nennen sie dich im Lager: K68“,
verrät Mohammed, ein 20-jähriger Eriträer.

Die
Aufenthaltszeiten sind sehr sehr lang, über die gesetzlich
vorgeschriebenen hinaus. Eine Einrichtung das CPSA, wäre aufgrund
der Regelung gemäß dem Immigrationsgesetz (Art.23) „zur Aufnahme
der Flüchtlinge entsprechend der für ihren Transfer in andere Lager
knappen, notwendigen Zeit (circa 24/48 Stunden) bestimmt“.
Stattdessen sind manche Flüchtlinge seit mehreren Monaten im Lager.
Sie werden wegen der Verzögerungen der Asylprozedere, der
Langsamkeit der territorialen Kommission und dem Mangel an Plätzen
in anderen Unterkunftseinrichtungen des SPRAR (dem Schutzsystem für
die Asylantragssteller und Flüchtlinge) in dieser Einrichtung
aufgehalten. Schlimmer und entschieden illegal ist die Aufenthalt von
mehreren Duzend von unbegleiteten Minderjährigen, Ägyptern und
Somaliern im Lager seit mehr als zwei Monaten, welche mich fragen „wo
ist die Schule? Ich will italienisch lernen“ Wer weiß ob auch sie
geflohen sind.

Tage des Wartens, ohne jegliche erholende Wirkung. Absolute
Ungewissheit. Frauen, Somalierinnen die gramgebeugt Stunden auf den
Matratzen verbringen erzählen mir: “Wir schlafen, essen,
schlafen“.

Im
Dunkeln über das eigene Schicksal. „Ich weiß nicht wann sie mich
weiterleiten, ich bin hier seit 22 Tagen und sehe immer andere
Transfers. Sie haben mir nichts von meinen Dokumenten gesagt, ich
habe keinen Anwalt gesehen. Keiner der das Wort „Asyl“
ausgesprochen hätte.

Ali
ein Flüchtling aus Darfur fügt hinzu, „Bekommst du essen, über
das du dich beschwerst?“ sagen sie ihm hier drinnen: sie haben
keine Idee, dass wir nicht nach Italien kommen um unser Leben zu
verbessern, aber das wir um unsere Haut zu retten geflüchtet sind“.
Andere, so wie die Eriträer hingegen wollten eigentlich kein Asyl in
Italien beantragen, da sie Verwandt ein anderen europäischen Ländern
haben.

Jamal:
„Kaum das wir vom Boot ausgestiegen waren, haben sie uns, obwohl
ich mich weigerte gewaltsam die digitalen Fingerabdrücke,
abgenommen. Weil ich in die Schweiz wollte, wo ich meine Verwandten
habe; ich will nicht in Italien bleiben“. Während meines Besuchs
anderen Tags, wirft sich eine Frau gegen das Gitter, das sie
überwindet und sich beim Herabfallen einen Knöchel verdreht während
sie von der Polizei verfolgt wird, die mir später erklärt das sie
minderjährig ist.

Pozzallo: Bis letzten Sonntag, ungefähr 400 Flüchtlinge und mögliche
Asylantragssteller, seit Monaten in einem informellen Aufenthaltsort,
der in der Tat ein Ort der Abschiebung geworden ist. Diese kollektive
Flucht bezeichnet das Versagen des Unterkunftssystems, das in
Sizilien von Präfekten und Quästoren verwaltete wird, die mit
Gegenmethoden gegen die illegale Immigration, die über dem Recht des
Flüchtlingsschutzes stehen und somit die Erpressung und die
sogenannte „Klandestinität“ schüren, von der alle sagen, dass
sie diese bekämpfen wollen.

Erschienen
in der nationalen Ausgabe von Unità, den 10. September 2013,
S.12, „Flucht aus dem Lager von Pozzallo“

(Aus dem Italienischen von Alessandro Pastore)