Neues Verteilzentrum für Migranten in Priolo. Wieder einmal eine Notstands-Einrichtung

Borderline Sicilia hat in den letzten Tagen das neue Aufnahmezentrum für Migranten in der Contrada Mostringiano in Priolo (Ostsizilien) besucht, ein merkwürdiger Ort. Vielleicht eine Übergangseinrichtung, geleitet ohne jeglichen Vertrag mit der Präfektur oder der Kommune.
Die Verantwortlichen der Einrichtung gehören dem Verein Papa Francesco Onlus aus Priolo an. Dieser hatte Anfang August diesen Jahres seine Bereitschaft gegenüber der Präfektur erklärt, die Aufnahme zu übernehmen. Sie hatten auf eine Ausschreibung gehofft, die die Einrichtung als Aufnahmezentrum für Minderjährige und besonders Schutzbedürftige ausweist.
Doch bis heute, beschwert sich der Verein, habe es keine Formalisierung gegeben, es gab auch keinerlei Kontrollen vor der Arbeitsaufnahme. Die ersten Personen wurden ganz einfach am 8. August von der Präfektur zu ihnen geschickt.
Es gibt also keinen Vertrag, keine Übereinkunft, nicht einmal eine zeitweise. Das unterscheidet den Status von der Umberto I Schule in Syrakus, dort gibt es einen Vertrag zwischen dem Betreiber und der Präfektur, die für jede Anlandung erneuert wird. Erst während unseres Besuches haben die Verantwortlichen der Einrichtung eine offizielle Nachricht erhalten, dass es einen runden Tisch geben werde, und dass die Behörden ihnen die nötigen Hilfestellungen geben würden.

Ursprünglich war die Einrichtung Sitz eines Sicherheitsdienstes. Es handelt sich um eine kleine, zweistöckige Villa, die der Verein hergerichtet und möbliert hat, die Wände und die Außenüberdachung wurden bunt gestrichen. Bis zu 125 Personen können hier aufgenommen werden, auch wenn sie in den letzten Tagen „in absoluter Ausnahme“ mehrere Familien aufgenommen haben, die in drei Zelten des Zivilschutzes auf dem Gelände neben der Villa untergebracht wurden. Der Verein musste die Zelte mit eigenen Mitteln ausstatten, die Bevölkerung hat dabei geholfen. Der Leitung ist es wichtig zu betonen, dass diese Zelte derzeit nicht benutzt werden. Es befänden sich im Moment 50 unbegleitete Minderjährige und 10 Frauen mit ihren kleinen Kindern in der Einrichtung. Eines der Kinder, ein ganz kleines, macht gerade die ersten Laufversuche im Korridor des Erdgeschosses.

Wir begegnen diversen Minderjährigen, einigen sind Ägypter, andere aus Somalia und Eritrea. Halbwüchsige, mit denen wir ein bisschen reden. Sie scheinen ganz ruhig zu sein, es macht ihnen Spaß, den Mitarbeitern der Einrichtung zu helfen und die Gäste zu unterhalten, die auf die verantwortlichen Personen der Leitung warten.

Einige der Jungen sprechen ein wenig Italienisch. Alle sind neugierig und wollen lernen. Die Beziehung zu den Mitarbeitern scheint ausgezeichnet zu sein. Diese geben den Jungen Sprachunterricht, auch wenn sie keinerlei Qualifikation dafür haben.
Das Team besteht aus acht Mitarbeitern, einem Sozialarbeiter, einem Mediator/Dolmetscher, der nachmittags für zwei Stunden kommt, zwei Aushilfskräften in der Küche und einem Hausmeister. Es gibt kein medizinisches Personal, ein Rechtsbeistand ist nicht vorgesehen.

Wie die Leitung berichtet sind nur für einige der Jugendlichen die Vormundschaften eröffnet worden (für die, die aus der Umberto I Einrichtung kamen), doch es sei nicht immer möglich, mit den, allesamt privaten, Vormündern zu sprechen. Zudem informiert man uns, dass nicht alle Jugendlichen einen Vormund haben, vor allem diejenigen nicht, die zuletzt in Porto Palo di Capo Passero mit dem Boot angekommen sind. Die Leitung berichtet uns von einigen Bedenken ihrerseits über die Verwaltungspraktiken: oftmals werden bei den Ankünften der Migranten über See keine Anwesenheitslisten erstellt, so dass das die Einrichtung übernehmen und an die zuständige Ausländerbehörde weitergeben muss. Oftmals erfahren sie erst sehr kurz vorher, dass Migranten zu ihnen geschickt werden, so dass die Ankunft nicht richtig vorbereitet werden kann. Der Träger beschwert sich auch über schwere Mängel im Gesundheitsbereich. Wenn die Migranten in die Einrichtung kommen werden Besuche beim Kinderarzt ihres Vertrauens organisiert, der sich die Kinder anschaut, doch das geht alles über die eigentlichen Arbeitsaufgaben der Aufnahme hinaus. So ging es einem der Bewohner am Abend vor unserem Besuch schlecht, die Leitung hat den lokalen Gesundheitsdienst informiert und einen Krankenwagen angefordert, doch keinerlei Antwort erhalten. Sie haben sich dann an den Ärztlichen Notdienst in Priolo gewandt, da der dortig diensthabend Arzt nicht zu ihnen kommen konnte. Ein Freiwilliger der Einrichtung musste den Arzt abholen und ins Zentrum bringen. Dem Jungen wurde eine Syphilis diagnostiziert, doch der Arzt des Ärztlichen Notdienstes weigerte sich ein dem entsprechendes Attest da zu lassen. Wie der Leiter des Zentrums berichtete seien weitere Untersuchungen notwendig gewesen, die in diesem Moment nicht hätten gemacht werden können. So wird es zu einem Problem der Einrichtung, den Jungen unterzubringen und sich um seine gesundheitliche Versorgung zu kümmern. Die Leitung berichtete uns zudem, dass einige der von der Umberto I Schule zu ihnen verlegten Jugendlichen schon seit Monaten an Krätze gelitten hätten, ohne dass man ihnen in Priolo davon Mitteilung gemacht hätte. So konnte die Leitung nicht sofort die notwenigen Maßnahmen einleiten, um das Ansteckungsrisiko für die anderen Bewohner zu vermindern.

Im Laufe des Gesprächs erzählen uns die Vertreter des Vereins eine ungewöhnliche und beunruhigen Geschichte. So hätten sie am 17. August eine Mitteilung erhalten, dass demnächst ein Bus ankommen werde, der ca. 60 in Porto Palo di Capo Passero angekommene Eritreer zu ihnen bringe. Unter ihnen sollten sich mehrere Mütter und 10 unbegleitete Minderjährige befinden. Der Bus, der von den Ordnungskräften begleitetet wurde, ist nie in der Einrichtung angekommen. Der Leiter erzählte uns, dass er, unterwegs mit seinem eigenen Auto, gegen 19 Uhr das Blaulicht der Polizei bei einer Straßenblockade gesehen habe. Es schien, als hätten es 20 erwachsene Somalier geschafft, in eben diesen Bus zu gelangen. Auf der Fahrt sollen sie den Fahrer gezwungen haben anzuhalten, in dem sie einen Fahrgast mit einem Kind bedroht hätten. Als die Bustüren geöffnet wurden seien alle Passagiere, auch die unbegleiteten Minderjährigen, geflüchtet.
Im August, so die Leitung, seien sehr viele unbegleitete Minderjährige aus der Einrichtung verschwunden, vor allem die syrischen Jugendlichen.

Das Zeugnis des Betreibers von Priolo zeigt erneut, dass die Notstandspraxis im italienischen Aufnahmesystem vorherrscht. Die einzige Denkart gegenüber einer Bevölkerung, die sich langsam der Migration mit Verständnis und Menschlichkeit begegnet, vor allem in Bezug auf die Minderjährigen. Nach unserem Besuch wurden der UNHCR, das Rote Kreuz und Save the Children über die Situation in Priolo von uns informiert, um eine Aufnahme im Sinne der Menschenrechte und der Gesetze zu garantieren.

Die Redaktion von Borderline Sicilia Onlus

Aus dem Italienischen von Judith Gleitze