Tagebuch auf Lampedusa[InFestival]: Solidarität muss praktisch werden


Präsentation des Alarmnetzwerkes

Das letzte
und Abschlusspodium zur VI Edition des Filmfestivals „LampedusaInFestival“
diskutierte am Dienstagabend noch einmal in internationaler Runde, wie Solidarität
in die Praxis umgesetzt werden kann, sprich, wie wir Aktivist_innen und die
Zivilgesellschaft zusätzlich aktiv werden können, abgesehen von Demonstrationen
und Solidaritätsbekundungen mit Migrant_innen und Geflüchteten.

Alternatives
Alarmnetzwerk

Das erste
Projekt, dass sich mit praktischer Hilfe und Unterstützung für Geflüchtete beschäftigt
und an diesem Abend vorgestellt wurde, war das „Alternative Alarmnetzwerk“, präsentiert von Judith Gleitze von borderline-europe/Borderline Sicilia.
Das Alternative Alarmnetzwerk möchte eine Not-Hotline werden, an der sich
verschiedene NGO’s und die Zivilgesellschaft beteiligen können. Am 11. Oktober
2013, kurz nach dem Unglück vom 3. Oktober 2013, spielte sich eine weitere
Tragödie auf dem Mittelmeer, an der Grenze zu Europa ab. Ein Flüchtlingsboot
mit über 400 Menschen an Bord gerät in Seenot. Obwohl die Menschen an Bord
mehrere Notrufe an die Küstenwache von Italien und Malta absenden, erreichen
Rettungskräfte die Unglücksstelle erst nachdem das Boot schon eine Stunde
gesunken war. Mindestens 200 Menschen mussten deswegen sterben, nur 212
Menschen konnten noch gerettet werden. Die Notrufe der Geflüchteten wurden
nicht ernst genommen. Was wäre aber gewesen, hätten die Geflüchteten zusätzlich
eine Not-Hotline, die von der Zivilgesellschaft betrieben wird, anrufen können.
So dass daraufhin die Zivilgesellschaft bei der Küstenwache hätte anrufen
können und Druck auf die Behörden und die Politik hätte ausüben können? Damit
die Zivilgesellschaft nicht erst handeln kann, wenn Schiffe bereits
untergegangen und Menschen bereits gestorben sind, möchte das Alternative Alarmnetzwerk
in Echtzeit helfen und so versuchen den Tot von Geflüchteten auf dem Weg nach
Europa zu verhindern. Im AUFRUF für das Alternative Alarmnetzwerk befindet sich
eine genaue Beschreibung des Projekts und wie dessen Umsetzung in die Praxis
funktioniert.

„Ein
solches alternatives Alarm-Netzwerk wäre nur ein erster aber dringend
notwendiger Schritt auf dem Weg zu einem euro-mediterranen Raum, der nicht von
einem tödlichen Grenzregime geprägt ist sondern von Solidarität und dem Recht
auf Schutz und dem Recht auf Bewegungsfreiheit.“

CUCULA – designed by Enzo Mari made by Refugees

Ein
weiteres spannendes Projekt ist CUCULA, ein Projekt von Designer_innen,
kreativen und aktiven Menschen aus Berlin in Zusammenarbeit mit Geflüchteten
der Berliner Oranienplatz-Bewegung. Mit ihrer Designfirma möchten die Menschen
von CUCULA Geld verdienen, indem sie Möbel zum Verkauf herstellen, das wiederum
in ihr Bildungsprogramm für Geflüchtete fließt. CUCULA ist also eine
Non-Profit-Organisation, die zwar Geld mit ihren Erzeugnissen verdient, sich
daran aber nicht selbst bereichert, sondern das erwirtschaftete Geld in ihre
Bildungsprojekte (z.B. Sprachkurse) reinvestiert und somit unabhängig arbeiten
kann. Die Aktivistin Corinna Sy ist Designerin und Mitbegründerin des Projekts.
Bei ihrem Engagement auf dem Berliner O-Platz habe sie in Gesprächen mit
Geflüchteten mitbekommen, dass es für die Menschen besonders wichtig ist zu
arbeiten, einen Job zu haben, eine Beschäftigung, ganz praktisch aktiv werden
zu können. Viele der Geflüchteten sind handwerklich begabt und so kam die Idee
auf eine Firma zu gründen, die Möbel herstellt, die mensch im Alltag nutzen
kann – einfach etwas Praktisches herstellen. Mit dem Geld der verkauften Möbel,
so die Idee, könnte man dann in ein Bildungsprogramm für Geflüchtete
investieren, Sprachkurse und Weiteres anbieten. Mittlerweile hat die Initiative
die exklusiven Rechte an den Entwürfen des bekannten italienischen
Möbeldesigners Enzo Mari, der die Idee der Initiator_innen CUCULA’s so gut
fand, dass er deren Ambitionen damit unterstützten wollte.

Initiator_innen von CUCULA

Bis jetzt
sind fünf Männer vom Oranienplatz an der Initiative beteiligt und stellen die
Möbel – „designed by Enzo Mari made by refugees“ – her. In den 70er Jahren
entwarf Enzo Mari ganz einfache Konzepte von Möbeln, die leicht nachzubauen
sind, um sich damit für Empowerment (Ermächtigung) und DIY (do it yourself)
einzusetzen. Genau darum geht es auch bei CUCULA: Empowerment- und
DIY-Aktivismus.

Lampedusa
in Hamburg – Widerstand, Erfahrungen und Aktivismus

Auch Asuquo
Okou Udo, der Sprecher der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ war Teil der VI
Edition des Filmfestival „LampedusaInFestival“ 2014. In seinem Vortrag am
Dienstagabend spricht er über Widerstand, seine persönlichen Erfahrungen in
Europa und über sein Leben als politischer Aktivist in Hamburg.

Er selbst
sei 2011 auf Lampedusa angekommen, beginnt Asuquo Okou Udo seinen Vortrag. Er
sei also dieses Jahr das zweite Mal auf dieser Insel. Diesmal in einer ganz
anderen Rolle. In Nigeria war er Journalist. Als er in Europa, auf Lampedusa
ankam war er plötzlich „Flüchtling“ – das wäre nie sein Traum gewesen. Seine
Reise geht von Lampedusa, durch Europa und Deutschland bis nach Hamburg. Dort
vor etwa zwei Jahren angekommen, schließt er sich der Gruppe „Lampedusa in
Hamburg“ an. Die Repressionen in Deutschland wollte er sich nicht gefallen
lassen. Widerstand zu leisten sei wichtig für ihn aber es sei auch nicht
einfach. „Das Gesetz ist gegen uns“, sagt er. Mit den Protesten in Hamburg
möchte die Aktivist_innen-Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ die Mauer zwischen
Geflüchteten und Politiker_innen zerstören. „Wir sind keine Kriminellen“,
betont Asuquo Okou Udo, „wir sind Menschen und wir können arbeiten.“ Allerdings
werden Geflüchtete u.a. aufgrund der Dublin-VO stigmatisiert, sind rechtlos in
Deutschland, haben weder das Recht auf Wohnen, noch auf Arbeit. „Mit „Lampedusa
in Hamburg“ haben wir ein politisches Symbol etabliert“, das sei ihm besonders
wichtig. Der Widerstand ginge weiter und es gäbe viele Unterstützer_innen und
großen Support aus der Hamburger Zivilgesellschaft. Über seine Erfahrungen in
Europa sagt er nur, es sei schwer als „Ausländer“ in Europa. „Du fühlst dich
ausgeschlossen, du wirst diskriminiert, rassistisch angegriffen außerdem lebst
du isoliert.“ Als Aktivist kämpft er jeden Tag. Aber dieser Kampf sei wichtig.
Es sei wichtig aktiv zu werden. Die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ plant viele
Veranstaltungen und ist tatsächlich ein politisches Symbol in Hamburg, in
Deutschland und darüber hinaus geworden.


Asuquo
Okou Udo von „Lampedusa in Hamburg“

Die nächste
Veranstaltung findet am 10. und 11. Oktober 2014 in Hamburg statt: „Der
Emancipation Day 2014 zeigt den andauernden Protest und Kampf der Bewegung und
symbolisiert die Entschlossenheit der Lampedusa-Flüchtlinge aus dem NATO-Krieg
2011 in Libyen sich selbst von Unterdrückung, Diskriminierung und Ausbeutung zu
befreien.“


Es gibt
selbst organisierte Konzerte, Theater, Ausstellungen, Diskussionen, Workshops
und Debatten. „Damit kämpfen wir auch gegen koloniale Bevormundung von Außen“,
sagt Asuquo Okou Udo, „indem wir selbst, als Gruppe, Veranstaltungen planen und
durchführen.“

Autonome
Schule Zürich – „Solidarität muss praktisch werden“


Aktivist_innen der Autonomen Schule Zürich

Diesen
Leitspruch hat die Autonome Schule Zürich (ASZ) mehr als
verinnerlicht. Seit 2009 kämpfen die Aktivist_innen der ASZ für: ein
Bleiberecht für Alle, Recht auf Arbeit, Recht auf Wohnen und das Recht zu
heiraten. 2009 beginnt ihr Kampf, als die Schweizerische Politik damit anfängt
Geflüchteten und Asylbewerber_innen sämtliche soziale Rechte zu entziehen. Begonnen
hat ihr Kampf mit 30 Personen, mittlerweile sind 300 Menschen Teil der Schule.
In fünf Jahren ist die ASZ 14 Mal umgezogen, wurde 14 Mal von der Polizei aus
besetzten Gebäuden geräumt. Die ASZ ist ein Ort der Begegnung, des Austauschs,
des Lernens und der Zusammenarbeit. In der ASZ gilt:

„Wer
hier ist, ist auch von hier!“

Mittlerweile
gibt es 86 Moderator_innen (das Wort Lehrer_innen wollen sie damit umgehen),
die diverse Kurse für Geflüchtete aber auch darüber hinaus für interessierte
Menschen anbieten. „Die ASZ ist ein Ort für Menschen aus der ganzen Welt“, so
die Refrent_innen auf Lampedusa. Es ginge darum zusammen zu lernen, mit- und
voneinander. In der ASZ treffen sich Geflüchtete, Asylbewerber_innen, Menschen
mit Aufenthaltsstatus, Schweizer_innen, Menschen aus verschiedenen europäischen
Ländern und Viele mehr. Es gibt verschiedene Arbeitsgruppen, die über das bloße
Angebot von Sprachkursen (in diversen Sprachen, z.B. Kurdisch, Englisch,
Mandarin) weit hinaus gehen. Es gibt eine Computergruppe, es gibt verschiedene
Sportangebote, es gibt jeden Freitagabend eine Kinovorstellung, es gibt eine
Bibliotheksgruppe, eine Gruppe, die das Gemeinschaftsleben organisiert, eine
Rechtshilfegruppe, Öffentlichkeitsarbeit etc. Mit der Zeitung, die die ASZ mit
einer Auflage von 20.000 Exemplaren zweimal im Jahr herausbringt, betreibt die
autonome Schule Diskursarbeit und begreift ihre Zeitung als Emanzipation gegen
den öffentlichen, meist stigmatisierenden Diskurs, gegen Migrant_innen. Darüber
hinaus will die ASZ mit Demonstrationen, Besetzungen und Performances den
„Staat stressen“. Die ASZ kämpft außerdem gegen die aggressive Polizei in
Zürich und in der Schweiz allgemein, vor allem gegen das rassistische „Racial
Profiling“.

Verbunden
mit ihrem Kampf für die Rechte von Migrant_innen in der Schweiz kämpft die ASZ
auch gegen die Gentrifizierung und ist Teil des Bündnisses „Wem gehört
Zürich?“, im Zuge des Bündnisses „Wem gehört die Stadt?“

Bildung kann niemals neutral sein. Entweder ist sie ein
Instrument zur Befreiung des Menschen, oder sie ist ein Instrument seiner
Domestizierung, seiner Abrichtung für die Unterdrückung.“ (Paulo Freire) –
so
der Leitspruch der autonomen Schule in Zürich.

Die letzte Podiumsdiskussion um die Frage, wie Solidarität
in die Praxis umgesetzt werden kann, war ein positiver und ermutigender Abschluss
für das Festival und ein Empowerment-Prozess an sich, darüber hinaus eine
Abschlussdiskussion die Perspektiven und Ansätze bot für den weiteren
gemeinsamen Kampf für ein menschenwürdiges Leben für Alle und den Kampf gegen
das Grenzregime Europas.

Das Ende von „LampedusaInFestival“ bildete damit nur eine
weitere Kreuzung auf dem Weg des Kampfes gegen die Stigmatisierung und
Diskriminierung von Migrant_innen, eine weitere Kreuzung auf dem Weg des
Kampfes gegen Rassismus und tödliche Grenzen, auf dem Weg zum Ziel der
Bewegungsfreiheit für alle Menschen.

Text und Fotos: Alexa Magsaam // borderline-europe