Die unendlichen Massaker und die perfekte Linie der Kontinuität

Dieses Jahr wurde die Heuchelei der Gedenkveranstaltung zum 3.Oktober vom x-ten Massaker auf See aufgedeckt, welches erneut wenige Meilen von der Insel von Lampedusa entfernt geschah, nur wenige Tage nach dem der rote Teppich wieder eingerollt wurde.

11Lampedusa – Foto von Silvia Di Meo

Ein Massaker von Frauen und Kindern, das nicht einmal viel Trauer ausgelöst hat, da die Krokodilstränen bereits bei den unnützen und sterilen Gedenkveranstaltungen vergossen wurden. Die Menschen sterben heute weiterhin, aber diese realen Fakten lösen keine Reaktionen aus, trotz der Veranstaltung von klischeehaften Festlichkeiten für die bereits schiffbrüchigen Menschen.

Es gibt nur einen kleinen Teil der Zivilgesellschaft, der nicht aufgeben möchte und gemeinsam mit denjenigen einen menschlichen Weg weitergehen möchte, die die libysche Hölle erlebt haben. Und dieser Teil prangert die perfekte Kontinuität der Regierungen an, die Verantwortlichen und die Auftraggeber*innen all dieser Toten zu sein, von der Wüste bis zum Meer. Daher ist der letzte Bericht von der Tageszeitung Avvenire zum libyschen Menschenhändler, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat und am gleichen Tisch mit italienischen Behörden saß, so wichtig: weil dieser Bericht die direkte Verantwortung einer Politik beleuchtet, welche – nur um sich die blutverschmierten Hände zu waschen – die ganze Drecksarbeit an andere delegiert und Schleuser*innen in ein Subjekt verwandelt, welches auf institutioneller Ebene handelt, welches frei in Italien herumspaziert, welches die Zentren besucht und vereinbart, wie viel Geld und Waffen Italien an Libyen übergeben muss. Diese Bestätigung beweist, was die Zivilgesellschaft seit Jahren meldet.

Und während dies die Bedingungen sind, nach denen die Grenzen verwaltet werden, zeigt die Funktionsweise des Aufnahmesystems weiterhin, wie schon immer, große Schattenseiten. In letzter Zeit werden in der sizilianischen Provinz die Zuschläge für die Verwaltung von außerordentlichen Aufnahmezentren (CAS) erteilt.

Die öffentlichen Bekanntmachungen für die Leitung des CAS in Palermo stehen kurz davor, zu erscheinen und es gibt eine Reihe von unklaren Zusammenhängen: das Konsortium Umana Solidarietà (dt. Menschliche Solidarität) und die Kooperative Azione Sociale (dt. Soziale Aktion) wurden zu einer Anhörung einberufen, um Klarheit über ihre Angebote zu erhalten, die als übertrieben niedrig eingeschätzt wurden. Für die Azione Sociale wurde niemand vorstellig, sodass die Kooperative von der Ausschreibung ausgeschlossen wurde. Für das Konsortium Umana Solidarietà kam der Regionalmanager Paolo Ragusa, Ex-Präsident von Sol. Calatino, der bereits wegen Fälschung und illegaler Bieterabsprache angeklagt wurde im Zusammenhang mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Catania zu der Vergabe des Auftrags von 2011 bis 2014 für das Aufnahmezentrum von Mineo.

Ins Spiel kommen auch die Kooperative Liberitutti aus Turin, und ein neues Konsortium (CSQ) von alten und neuen Kooperationen, die schon verschiedene Zentren in der Region Trapani verwaltet haben. In der Zwischenzeit haben die Verantwortlichen der Genossenschaft, die das Zentrum Azad-Elom betreiben, vor einigen Tagen den Bewohner*innen und den Angestellten mitgeteilt, dass sie schließen würden. Allerdings scheint sich doch noch etwas getan zu haben, denn nun hat die gleiche Kooperative die Ausschreibung gewonnen. Dies ist nicht das erste Mal, dass mit der Schließung Angst verbreitet wird, und die Angestellten und Bewohner*innen das Zentrum verlassen. Es ist eine Tatsache, dass heute im Vergleich zu früher weniger Dienstleistungen in diesem Zentrum geboten werden, da die zuständigen Mitarbeiter*innen verschwinden und ihre Stellen unbesetzt bleiben. Auch andere Kooperativen scheinen, laut der Aussagen der Asylsuchenden die im Aufnahmeverfahren sind, die nächsten Schließungen anzukündigen (das außerordentliche Aufnahmezentrum von Pozzo die Giacobbe und vor allem San Francesco, aber auch die Zentren von Corleone und Villafrati).

In diesem Moment erscheinen in ganz Sizilien öffentliche Ausschreibungen (außer in Catania, aufgrund des Stillstands in Mineo und in Enna) und wir stellen eindeutig eine klare Kontinuität zur Vergangenheit fest: die alten Kooperativen bleiben bestehen oder ändern einfach ihren Namen, um ihr Äußeres zu verändern. Der Verein Badia Grande hat die Ausschreibungen für die Leitung aller großen Zentren gewonnen: das Haftzentrum von Milo, den Hotspot von Pozzallo, Lampedusa und Messina. Die Verwaltung des Haftzentrums von Caltanissetta wurde hingegen einer zeitlich begrenzten Unternehmensvereinigung erteilt, bestehend aus den Firmen Essequadro aus Caltanissetta und Ad Majora.
Lediglich die Ämter von Trapani und Agrigento werden keine öffentlichen Ausschreibungen machen, dafür aber mit den Vereinen neu verhandeln, die aktuell die außerordentlichen Aufnahmezentren verwalten und Interesse an Neuverhandlungen mit neuen Bedingungen gezeigt haben.

Nun, es ändert sich wenig: die gleichen Schwierigkeiten wie immer, wenige Kontrollen, ein Mangel an Fachkräften, sodass Unbehagen, Vernachlässigung und Flucht verursacht werden. Heutzutage bedeutet Kost und Logis zu stellen, die Menschen in die Unsichtbarkeit zu verweisen.

Es bringt nichts, drumherum zu reden: das ganze System ist dazu vorbestimmt, den Menschen die ankommen das Leben schwer zu machen, damit sie so schnell wie möglich wieder gehen. Wenn sie nicht in Libyen oder im Meer sterben, kümmern wir uns darum, ihre Hoffnungen zu zerstören. Wir kümmern uns darum sie unsichtbar und zu Sklav*innen zu machen. Und während wir auf offizielle Antworten warten, die diese ohrenbetäubende Stille der unangenehmen Wahrheiten durchbrechen, werden wir versuchen unseren Weg weiter zu gehen. Uns daran erinnern, wer gestorben ist und wer weiterhin stirbt. Wir werden alle Menschen, die angegriffen werden, weil sie sich diesem mafiösen System widersetzen, weiterhin verteidigen, sowie alle Journalist*innen die den Mut haben, ihren Job zu machen.

Alberto Biondo
Borderline Sicilia

Übersetzung von Angela La Cognata