Das SPRAR von Aidone

Wir lernen das SPRAR* von Aidone durch ein zufälliges Treffen mit einigen Begünstigten in einer Straße im kleinen Stadtzentrum kennen. Sie erklären uns, dass ihr größtes Problem die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz ist: im Juni 2014 sind sie nach Italien gekommen, im September 2015 hatten sie eine Anhörung bei der territorialen Kommission und letzten Dezember haben sie deren endgültige Entscheidung empfangen. Nach 18 bis 19 Monaten Wartezeit befinden sie sich also wieder am Anfang. Für die Anhörung bei der Kommission, um dort Asyl zu beantragen, wurden sie von einem Rechtsberater unterstützt, der im SPRAR* mitarbeitet und der ihnen auch bei ihrer Ankunft die ersten Informationen vermittelte.

„Wenn du nach Italien kommst, dann sagen sie dir, dass innerhalb von sechs Monaten dein Antrag auf Asyl ausgewertet wird. Wir haben anderthalb Jahre gewartet, eine Ablehnung bekommen und nun, nach fast zwei Jahren, sind wir immer noch nur am Warten.“, sagt einer von ihnen.
Selbst wenn es offensichtlich ist, dass das Hauptproblem dieser Asylsuchenden (wie für alle jene, die wir beim Monitoring in den verschiedenen Provinzen Siziliens) die Wartezeiten sind, bitten wir sie darum, uns auch über Punkte im Zusammenhang mit der Aufnahmeunterkunft zu erzählen.
Einer von ihnen empfängt Hilfe vom SPRAR*, während die anderen beiden im Projekt für außerordentliche Aufnahmezentren (CAS*) untergebracht sind. Pro Woche erhalten sie in Form von Bons ein Taschengeld von 17.50 Euro und das schürt ein bisschen ihre Unzufriedenheit, denn sie würden Bargeld bevorzugen.
Sie wohnen in Unterkünften, die sie als Krankenhäuser beschreiben, und sie können für sich das kochen, was sie möchten, indem sie mit 20-Euro-Gutscheinen, die sie wöchentlich erhalten, selbstständig einkaufen gehen können. Auch das ist Grund für Unzufriedenheit und als wir sie fragen, warum, antworten sie uns schlichtweg mit der Frage, wie viel wir denn für den Wocheneinkauf ausgeben. Wir müssen zugeben, dass er uns mehr als drei Euro am Tag kostet. Auch für Kleidung bekommen sie alle sechs Monate Gutscheine im Wert von 80 Euro, mit denen sie dann die Klamotten kaufen können, die sie möchten. Eine SIM-Karte erhalten sie nicht und um sie sich trotzdem zu besorgen nutzen sie das Taschengeld.
Letzten Endes kommen sie wieder darauf zurück zu bekräftigen, dass das wirkliche Problem die Dokumente sind, die sie nicht haben und von denen sie nicht wissen, wann und ob überhaupt sie diese bekommen.
Einer von ihnen begleitet uns zu dem Büro, wo auf uns jene Erzieherin wartet, die sich um Integrationsangelegenheiten kümmert und die wir bereits kennen gelernt hatten, als sie einen von ihnen zur Bank begleitet hatte und sich gerne auf ein Treffen mit uns einließ. Als wir beim Büro ankommen, treffen wir auch auf die Psychologin und die Rechtsberaterin und haben somit die Gelegenheit, mit einem großen Teil des Teams zu sprechen.
Die Kooperative Don Bosco leitet in Aidone das Projekt SPRAR*, in welchem 48 Begünstigte unterkommen und ein anderes Projekt außerordentlicher Aufnahmestellen, welches 40 von ihnen empfangen hat. Beiden Aufnahmearten sind die gleichen Dienste garantiert, mit Ausnahme von Projekten für die Vermittlung in den Arbeitsmarkt (welches nur den SPRAR*-Empfängern gewährleistet wird) und von der Unterscheidung in die verschiedenen Konventionen des SPRAR* und des CAS*, wie lange man sich jeweils von der Aufnahmestruktur entfernen darf.
In beiden Fällen handelt es sich um eine dezentrale Einrichtung, da die Gesamtzahl der 88 Aufgenommenen (die auch zwei Familien zu sechs Personen beinhaltet) auf 18 Wohnungen verteilt ist, die alle im Zentrum des Orts gelegen sind.
Die Herkunftsstaaten der Begünstigten sind größtenteils Mali, Senegal, Gambia, Ägypten, die Elfenbeinküste und Ghana, es gibt jedoch auch Asylsuchende aus Bangladesh.
Was uns von den zuvor getroffenen Bewohner*innen über dasTaschengeld erzählt wurde, wird von den Sachbearbeiter*innen bestätigt, die außerdem spezifizieren, dass diese Gutscheine in verschiedenen Kategorien von zugelassenen Geschäften eingelöst werden können: in Tabakgeschäften, Restaurants, Supermärkten, Bars.Eine Sim-Karte ist lediglich direkt bei der Ankunft in der Einrichtung ausgeteilt worden, denn hier ist keine wöchentliche Versorgung vorgesehen, weder in den Richtlinien des SPRAR* noch in jenen der außerordentlichen Aufnahme.
Uns wird also weiter der Gebrauch dieser Einkaufsgutscheine beschrieben, eine Art, die Eigenständigkeit der Bewohner*innen auch im kleinen Rahmen zu erhalten, wie zum Beispiel bei der Wahl des Essens. An diesem Punkt kommen wir ins Staunen über die Summe ihres Wertes und man erklärt uns, dass, wenn man die verschiedenen Bons anhäuft, man in jeder Wohnung auf eine Summe kommt, die einen großzügigen Einkauf erlaubt. Für die Wohngemeinschaften, in denen sich eine geringere Anzahl an Menschen ansammelt, werden zusätzlich Lebensmittel zur Verfügung gestellt. Außerdem wird jedes Appartement zum Einzugszeitpunkt der Bewohner*innenmit einem Grundeinkauf ausgestattet, die jegliche Produkte für den notwendigen Gebrauch beinhaltet (Öl, Salz, Mehl, etc.). In jedem Fall werden die Bons ausschließlich für den Kauf von Lebensmitteln gebraucht, Hygiene- und Haushaltsprodukte werden getrennt davon verteilt.
Das Team besteht aus einer Psychologin, zwei Erzieherinnen (eine, die sich um den Italienischkurs kümmern und eine für Integrationsaktivitäten Verantwortliche), einem Rechtsberater, einem Sprach- und Kulturmittler, einem Verwaltungsleiter und einem Vorsitzenden, der auch andere Aufnahmeprojekte SPRAR*/CAS* leitet und die von derselben Kooperative in der Piazza Armerina geführt werden.
Zu den aufgeführten Hauptberuflichen gibt es auch zwei Freiwillige des Zivildienstes und ein zweiter Mediator als Praktikant. Es handelt sich hierbei um einen Begünstigten des SPRAR* selbst, der, indem er gute Fähigkeiten bei der Vermittlung und den Sprachkenntnissen (auch im Italienischen) vorzeigen konnte und weil er einen Kurs zur Sprach- und Kulturmittlung besucht hatte, nun innerhalb des Einrichtung Erfahrungen in der Projektarbeit sammelt, mit Hinblick auf eine wünschenswerte zukünftige Übernahme.
Jeden Tag drehen die Arbeiter des Teams zwei Beobachtungsrunden in den Wohnungen, während das Büro täglich von 9 Uhr bis abends geöffnet ist.
Die Integrationsaktivitäten sind meistenteils örtlichen Vereinen angetraut worden, deren Projekte von der Kooperative ausgewählt und finanziert werden und das Ziel verfolgen, die Bewohner*innen in sportliche Aktivitäten wie Fußball und Basketball mit einzubeziehen, sowie in Handwerksarbeiten und Theatergruppen. Letzen Sommer haben einige von ihnen in Sommercamps für behinderte Gruppen mitgearbeitet.
Die meiste Aufmerksamkeit unter den Integrationsaktivitäten wird der Einbeziehung in Arbeitspraktika gewidmet (auch wenn diese leider nur den Bewohner*innen des SPRAR* zusteht): während des ersten Jahres wurden gut 45 Projektarbeiten initiiert, welche Arbeitserfahrung in verschiedenen Beschäftigungsbereichen anbieten konnten. 2015 hingegen haben sich die Möglichkeiten der Vermittlung der Bewohner*innen drastisch reduziert und es kamen lediglich 17 Projektarbeiten zustande; dies in Folge des Europäischen Plans zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit „Garanzia giovane“, welche vielen kleinen Handwerksbetrieben der Zone Pseudo-Arbeitsmöglichkeiten bot, die dann deren Bekannte und Verwandte bezahlt wurden.
Die Beteiligung an den vielen Integrationsaktivitäten ist auch nur relativ gering, denn für die Bewohner*innen hat doch die Notwendigkeit, eine Arbeit zu finden und die Selbständigkeit Priorität, auch wegen der langen Wartezeiten. In der Kommission von Enna besteht ein Rhythmus von 12 Anhörungen am Tag, mit Einzelgesprächen und gemeinsamer Entscheidungsfindung, und der Prozentsatz an Ablehnungen ist sehr hoch.
Am Ende fragen wir noch, ob wir die Wohnungenbesichtigen können und werden somit in ein Mehrfamilienhaus mit drei Wohnungen begleitet, in dem ausschließlich SPRAR*-Bewohner*innen untergebracht sind.
Wir treten also ein in ein großes, anständiges Appartement, lediglich die Sauberkeit der Treppen lässt ein wenig zu wünschen übrig. Es wird von sechs recht jungen Männern bewohnt. Sie haben alle Betten in ein Zimmer geräumt, um so Platz zu machen für einen Gebetsraum, der mit Teppichen geschmückt ist. Sie nehmen uns mit Freude auf und scherzen mit einer der Mitarbeiterinnen. Auch sie erzählen uns von dem Problem der Wartezeit und der Ablehnungen, denn diese Probleme peinig sie am meisten. Wir bitten sie öfters darum, uns von der Einrichtung zu erzählen, doch auch sie beklagen sich bloß über das Wasser, welches oft abgeschaltet ist. Das hat offensichtlich mit der Versorgung von Seiten der Kommune zu tun und ist nicht Verantwortlichkeit der Einrichtung, das wissen sie und lachen sogar darüber. Die Atmosphäre ist ohne Unterbrechung gelassen und trotz der Sorgen scheinen die Jugendlichen fröhlich. Wir fragen immer wieder, doch sie haben uns weiter über das Projekt nichts zu sagen und fangen stattdessen an, uns über unsere Arbeit zu befragen. Sie bitten uns, weiterhin über diesen kritischen Punkt der langen Wartezeit zu berichten und sagen uns, dass die Monitoringarbeit, die wir machen, wichtig ist, denn vielen Menschen innerhalb der Zentren geht es schlecht. Wahrscheinlich aufgrund ihres Alters, und trotz der Probleme die sie selbst zu bewältigen haben, schaffen sie es noch, an andere zu denken.

Giovanna Vaccaro
Borderline Sicilia

*CAS – centri di accoglienza straordinaria: außerordentliche Aufnahmezentren
*SPRAR: Sistema di protezione per rifugiati e richiedenti asilo: Schutzsystem für Asylsuchende und Geflüchtete, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis

Übersetzung aus dem Italienischen von Sophia Bäurle