Zwei Jahre Gefängnis wegen Menschenhandels: In Wahrheit waren sie nur Migranten auf der Suche nach einem besserem Leben.

Artikel vom 13. April 2022

Espresso.repubblica.it – Das Berufungsgericht in Palermo hat 14 Migranten freigesprochen, die 2016 mit sieben Schlauchbooten mit Afrikaner*innen an der sizilianischen Küste anlandeten. L´Arci*: „In den letzten 10 Jahren wurden 2.500 Personen zu Unrecht verhaftet.“

Sie waren keine Schlepper sondern Migranten die von den eigentlichen Schleppern an der lybischen und nordafrikanischen Küste gezwungen wurden, die mit Menschen beladenen Schlauchboote zu fahren. So endet eine Odyssee für 14 Migranten, die 2016 aus Gambia, aus dem Senegal, von der Elfenbeinküste, aus Ghana, aus Guinea und aus Sierra Leone an der sizilianischen Küste ankamen. Am 23. Mai jenen Jahres wurden sie direkt von der Polizei unter dem Vorwurf des Menschenhandels verhaftet, nachdem Zeug*innenaussagen darauf verwiesen hatten, dass sie die Boote steuerten.

Das Berufungsgericht in Palermo hat Ebrina Fofana, Fall Ibrahima, Mamadi Jarju, Mahamadou Balde, Emanuel Niikwi, Bilson Kofi, Mouhamed Fall, Mustefa Sarr, Alex Janga, Jegan Jobe, Mohamed Akim Karam, Mohamed Fall, Draman Bah und Ngala Tun nun freigesprochen: „Ein Urteil, das unsere Argumentation voll und ganz bestätigt, dass es sich nämlich nicht um Schlepper handelte, sondern um verzweifelte Personen, die unter Gewalt und Drohungen dazu gezwungen wurden, die Schlauchboote zu fahren.“ so der Anwalt Matteo la Barbera, welcher die Berufung in zweiter Instanz begleitete.

Ein eindrücklicher Nachweis der wirklichen Situation der Migranten, ist die Zeugenaussage während des Prozesses durch den Vizepolizeidirektor Carmine Mosca: „Die bekannten Schlepper krimineller afrikanischer Organisationen sind sich darüber im Klaren, dass sie, sobald sie in Italien ankommen, meistens verhaftet werden. Somit haben die Schlepper in letzter Zeit eine andere Methode angewandt: Sie bleiben im Hintergrund. Im Wesentlichen bereiten sie die Abfahrt vor, arrangieren die Schlauchboote und machen sie startklar, bereiten die Ankunft der Migrant*innen an der lybischen Küste vor, halten sie wochen- oder sogar monatelang im ’seif-house‘, oder mesdre auf Arabisch, fest und nutzen ihre Lage somit ökonomisch wie physisch aus.

Dann schließlich nachts wenn es die Bedingungen auf dem Meer zulassen, bringen sie sie zur Küste, lassen sie in die Boote steigen, die meistens Gummiboote sind, und lernen improvisatorisch einige Migrant*innen an, das Boot zu steuern. Dann werden sie bis zu den Grenzen der internationalen Gewässer geführt, da offensichtlich eine klare Komplizenschaft mit den lybischen Kontrollbehörden existiert und dort ihrem Schicksal überlassen.“ Für die Richter*innen war es demnach erwiesen, dass die 14 Migranten gezwungen wurden und aus Not gehandelt haben. Freigekommen 2018, haben sie nun auch in der Berufung einen Freispruch erwirkt.

Sara Traylor vom Arci* Porco Rosso, welche die Angelegenheit seit dem Beginn begleitet, kommentiert hierzu: „Dieses Urteil ist ein großartiger Sieg. Vor allem ist es das für unsere Freund*innen, die nun endlich ihr Leben fortsetzen können, ohne fürchten zu müssen, die nächsten 10 Jahre im Gefängnis zu verbringen. Dies ist auch ein Schritt vorwärts in einem größeren Kampf. Seit 2013 wurden mehr als 2.500 Migrant*innen nur dafür kriminalisiert, dass sie ein Boot erfolgreich nach Europa gesteuert haben. Wir müssen verstehen, dass die Gewalt an den Grenzen nichts Anderes als das Produkt der Abschottungspolitik Europas ist und dass die sogenannten ‚Schlepper‘ als Sündenbock benutzt werden, um ein verschobenes und unvollständiges Narrativ mit gravierenden Konsequenzen zu schaffen.“

 

Antonio Fraschilla

 

*Arci: Associazione ricreativa e culturale italiana – Verband der Förderung von Kultur, Bildung, Frieden, Menschenrechten und Wohlfahrt

 

Aus dem Italienischen übersetzt von Elias Miehe